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Ich weiß, was ich nicht sagen darf

An Einfallsreichtum mangelt es den Machthabern in Minsk nicht, wenn es darum geht, die eigene Stellung zu sichern und alle schädlichen Einflüsse von außen, vor allem aus dem Westen, abzuwehren. So kündigte Präsident Lukaschenko Ende letzten Jahres an, dass französische Models auf Werbeplakaten in Belarus künftig verboten werden sollen. Begründung: "Wir haben genug eigene schöne Mädchen", so der Staatschef. Mit der eigenen Musik sieht es nicht ganz so rosig aus. Letztes Jahr nahm Weißrussland das erste Mal am Grand Prix teil, dem europäischen Schlager-Wettbewerb. Und schied bereits in der Vorrunde aus. Die Ukraine landete derweil auf dem ersten Platz. Trotz der Schmach besteht Lukaschenko nun auf einer Quote für weißrussische Musik und will damit sämtlichen Pop aus dem Westen aus den heimischen Radioprogrammen verbannen.

Von Anja Schrum und Ernst-Ludwig von Aster |
    Was vom großen Bruder kommt, ist hingegen noch immer willkommen. 1995, nur vier Jahre nach der Erlangung der Unabhängigkeit, wurde Russisch in Belarus als zweite Amtssprache eingeführt. Russisch wird viel mehr gesprochen als Weißrussisch. Die Besinnung auf die eigene Kultur und nationale Identität, die ein wichtiger Antrieb für die Orangen-Revolution in der Ukraine war - sie fehlt in weiten Teilen der weißrussischen Bevölkerung - eine Folge der Jahrhunderte langen Fremdherrschaft. Die modernen Lokal- und Privatradios spielen ohnehin am liebsten ausländische Musik, auch wenn es damit bald vorbei sein könnte. "Alpha-Radio" ist ein junger Musik-Sender, mit Sitz in Minsk.

    Das Taxi verlässt den Minsker Stadtring. Biegt in eine neue Plattenbausiedlung.

    Der Fahrer dreht das Radio lauter. Auf Alpha-Radio laufen die Nachrichten.

    Das Taxi hält vor Haus Nummer 181. Einem 16-stöckigen Wohngebäude. "Alpha-Radio” steht auf einem kleinen Schild über einem Hauseingang mit schlichter Glastür.

    "Sergej, zeig ihnen unsere Berühmtheiten” scherzt der Pförtner. Und fügt mit Blick auf den Nachrichtenredakteur hinzu: "Er ist unser bester Mann.” Sergej Grudnitzki lacht. Seine Schicht als Nachrichtenredakteur ist gerade zu Ende. Er schlägt einen kurzen Rundgang durch die Erdgeschoß-Räume des Senders vor.
    "Das sind die Büros unseres Chefs und seiner Stellvertreter”. Sergej zeigt auf zwei Türen in dem engen Neubau-Flur. "Dort hinten sitzt die Firma, die Alpha-Radio gegründet hat”, fügt er hinzu. Ende der 90er Jahre, als private Radiostation. In Form einer Aktiengesellschaft. Das ist Alpha-Radio noch heute.

    Ich habe das Gefühl, immer noch bei einer privaten Radiostation zu arbeiten. Wir fühlen uns frei, weil wir relativ frei und unabhängig arbeiten können hier. Aber defacto ist die Station nicht mehr privat. Bei Streitfragen, wenn ich versuche, der Geschäftsleitung etwas beizubringen, dann sagen sie: "Sergej, wir verstehen dich ja, aber unser Hauptaktionär ist das Ministerium für Information. Und der Inhaber bestimmt, wo es lang geht.” Das ist eine merkwürdige Situation, man weiß nicht, auf welchem Stuhl man wirklich sitzt.

    Sergej zieht eine dunkle Strickmütze aus der dicken Wildlederjacke. Stülpt die Mütze über die kurzen dunkelblonden Haare und die ausgeprägten Geheimratsecken. Eilt durch eine Hofeinfahrt zur Rückseite des Gebäudes.

    Der Fahrstuhl zuckelt in den 15. Stock

    Es ist schon öfter passiert, dass die Popstars im Fahrstuhl stecken geblieben sind. Das war dann ein Problem.

    Stars kommen häufig, vor allem russische, erzählt Sergej. Alpha-Radio ist ein Musik-Sender, der hauptsächlich englisch- und russischsprachige Popmusik spielt. Doch mit den internationalen Hits könnte es bald vorbei sein, fürchtet der Nachrichtenredakteur. Der Grund: Eine neue Initiative "unseres” Präsident, sagt Sergej. In seiner Stimme schwingt Sarkasmus:

    In letzter Zeit interessiert er sich zum Beispiel für die Straßenverkehrsordnung, Jugendpolitik, die Ordnung der Radiostationen, die er wahrscheinlich noch nie gehört hat, für die große Plakatwerbung an den Straßen. Plötzlich interessiert er sich für alles. Was die UKW-Stationen anbetrifft, es gab vor einem Jahr eine harte Direktive von oben, dass man den Anteil an weißrussischer Musik auf 50 Prozent steigern soll.

    Bislang habe kein Musiksender auf die Anordnung reagiert, erzählt Sergej. Doch nun hat der Präsident sogar einen 75prozentigen Anteil weißrussischer Musik verfügt. Sergej schüttelt den Kopf. Es gäbe gar nicht genug weißrussische Popmusik, sagt er. Und selbst wenn: Kein Mensch wolle sie hören.

    Zu Fuß geht es ein weites Stockwerk nach oben. In die 16. Etage. Quasi ins Herz des Senders.

    Sergej führt ins Sendestudio. Am Mikrofon sitzt jetzt seine Kollegin. Im so genannten Selbstfahrerstudio. Produziert wird an Computern mit moderner, digitaler Technik. Gleich nebenan der Computer des Diensthabenden Nachrichtenredakteurs.

    Wir sind relativ frei, es gibt keinen besonderen Druck. Keiner steht neben uns und zensiert uns, was die Nachrichten angeht. Andererseits gibt es Grenzen und man weiß, dass man die nicht überschreiten darf, sonst hat man ein Problem. Dann kommen sofort die Anrufe aus dem Informationsministerium. Und man wird auf der nächsten Redaktionskonferenz vom Chef getadelt.

    Mit der dritten Ermahnung kommt die Kündigung. So lauten die Spielregeln, an die sich hier jeder hält. Sergej hockt jetzt auf einem zebra-farbenen Sofa im sogenannten "Erholungsraum” der Moderatoren. Er stützt den Kopf in die Hände, am Finger glänzt ein Ehering. Der bordeaux-farbene Rollkragen-Pullover betont das blasse Gesicht, die Augenringe. Sergej lacht nicht, ironisiert nicht. Blickt ernst:

    Bei dieser Arbeit gibt es kein strenges Diktat. Hier hat man immer die Wahl. Man hat zwar nicht die Möglichkeit, alles zu sagen, dafür aber die, etwas nicht zu sagen. Und das ist nicht wenig. Ich hab nicht die Möglichkeit die ganze Wahrheit zu sagen. Aber ich sage auch nichts Falsches.

    Zum Beispiel die Berichterstattung über die Ereignisse in der benachbarten Ukraine. Während die staatlichen Stationen noch schwiegen hat Sergej über die orangene Revolution in Kiew berichtet. Die Fakten, wie er sagt. Auch hier, in Minsk, ging die Opposition auf die Straße. Im Oktober, in den Tagen nach dem weißrussischen Referendum. Ein paar hundert Leute demonstrierten. Dabei wurde der regimekritische, russische Journalist Pawel Scheremet von Sicherheitskräften zusammengeschlagen.

    Ich war auf Sendung und habe mir überlegt, was soll ich mit diesen Nachrichten machen. Hier reagiert man allergisch auf das Wort "Opposition” und zum zweiten auf den Namen "Scheremet”. Und nach langem überlegen, habe ich mir gedacht, die Nachricht über Scheremet lasse ich beiseite, ich war mir sicher, dass das die russischen TV-Sender berichten, dass ich aber Probleme bekommen würde. Auch die Demonstrationen unter den Tisch fallen zu lassen, das wäre mir zu peinlich gewesen. Ich konnte doch nicht 5 km entfernt sitzen und so tun als ob nichts passieren würde. Dann habe ich das als Nachricht gesendet.