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"Ich will nach Deutschland"

In Deutschland leben 23.000 Roma, allerdings nur geduldet. Jetzt droht ihnen die Abschiebung in den Kosovo, da ein bilaterales Rücknahmeabkommen unterzeichnet wurde. Die Betroffenen werden zurzeit von den Ausländerämtern zur unverzüglichen Ausreise aufgefordert. Kommen sie dieser nicht nach, droht ihnen die Abschiebung - besonders für Jugendliche, die das Land nur aus Erzählungen ihrer Eltern kennen, eine furchtbare Erfahrung.

Von Dirk Auer | 14.07.2009
    Gelanz, ein kleines Dorf im verarmten Westen des Kosovo, gut zwei Autostunden von der Hauptstadt Pristina entfernt. Die 14-jährige Nazife Shabanaj schlägt sich den Kragen ihrer Trainingsjacke hoch, greift zu einer Mistgabel und öffnet die Tür eines kleinen Schuppens. Darin steht eine Kuh, und die braucht dringend neues Heu.

    "Also für mich ist das immer noch nicht leicht, ich bin hier jetzt seit drei Jahren. Aber das ist nicht so wie in drei Jahren, das ist so wie in zwei Wochen. Deutschland ist mir zu nah, weißt du, das fehlt mir."

    Nazife, groß, kräftig, langes dunkles Haar, war elf, als sie mit ihrer Familie aus Deutschland abgeschoben wurde:

    "Wo ich hierher gekommen bin, das war Katastrophe. Das war dreckig, da waren Ratten - die Hünde, oh mein Gott."

    Da wo sie jetzt wohnen, erzählt sie und zeigt über den Hof auf eine kleine, aus Lehm gebaute Hütte, die Wände voller Risse - das war ursprünglich der Kuhstall. Sie hatten damals Wochen gebraucht, um ihn bewohnbar zu machen. Nazife gibt der Kuh noch einen zärtlichen Klaps, dann läuft sie über den vom Regen aufgeweichten Boden zurück zum Haus.

    Vom kleinen Flur gehen zwei Zimmer ab, rechts das Schlafzimmer für die sechsköpfige Familie, links das Wohnzimmer. In der Ecke steht ein Holzofen, an der Wand hängen gestickte Handarbeiten:

    "Was soll man sagen, man hat kein Geld, man hat gar nichts. Abends, da hast du immer noch eine Schokolade gegessen. Also wir schon in Deutschland. Oder eine Banane oder einen Apfel. Hier nicht, nein."

    70 Euro Unterstützung durch Sozialhilfe monatlich bekommt die Familie vom kosovarischen Staat, dazu kommen noch einmal 150 Euro, die ein befreundeter Pfarrer aus Deutschland schickt. Viel Geld hatten die Shabanajs in Deutschland auch nicht. Aber, so meint Nazife:

    "Ich war überglücklich in Deutschland. Wir sind Kirmes gegangen. Halloween .. oh mein Gott Halloween ... boah!"

    Ein paar Kilometer weiter, in einer ruhigen Seitenstraße am Rande des Zentrums von Prizren liegt das Büro des Projekts "Heimatgarten" der Arbeiterwohlfahrt Bremerhaven. Hier berät Isen Bobaj freiwillige Rückkehrer aus Deutschland:

    "Wir haben oft Fälle, dass die Eltern uns anrufen, ich hab Probleme mit meinem 15-jährigen Sohn, weil er will überhaupt nicht verstehen, warum sind wir hier. Er denkt, ich bin in Deutschland geboren, also bin ich Deutscher, was soll ich hier?"
    Sorge bereitet ihm aber vor allem, dass seit einiger Zeit immer mehr alte Menschen unter den Rückkehren sind, die in Deutschland kein Bleiberecht erhalten haben - Kranke, Menschen mit psychischen Problemen, die unter Depressionen leiden. Gestern wurde ihm ein neuer Fall angekündigt: Eine allein stehende Frau mit drei Kindern. Nach 18 Jahren in Deutschland wurde ihr die Abschiebung angekündigt:
    "Das schlimmste Schicksal bei dieser Familie ist, dass einer, der 18 Jahre, ist im Rollstuhl, und der 16 Jahre ist geistig behindert. Für die Familie in Kosovo ganz schwer ist, weil hier in Kosovo die Sozialwesen ist ganz schwach - oder besser zu sagen: ist nix."

    Auch Roma und Ashkali, so kritisieren Menschenrechtsorganisationen das Rücknahmeabkommen zwischen Deutschland und dem Kosovo, hätten kaum eine Möglichkeit, ihre Existenz im Kosovo zu sichern. Nach Angaben des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR verlassen deshalb 90 Prozent der aus Deutschland abgeschobenen Roma und Ashkali bald schon wieder das Land - oft mit bezahlten Schleppern, die sie wieder nach Westeuropa bringen. Auch Nazifes Bruder Egzon hat schon mehrmals über diese Möglichkeit nachgedacht. Aber:
    "Die wollten 3000 Euro haben, damit ich wieder schwarz rüber kann. Aber das Geld haben wir nicht, und dann hab ich gesagt: 'Ne, dann lass ich es lieber.'"
    Und so versucht sich Egzon irgendwie über Wasser zu halten. Auch Nazife geht zwar in die Schule, aber Kontakte zu den Einheimischen hat sie nur wenige, erzählt sie, während sie wieder den Fernseher einschaltet:

    "Wir schauen nie Kosovo. Nie, nie, nie. Wir haben immer nur Deutschland an, nur Deutschland, Deutschland, Deutschland. Ich guck hier 'Verbotene Liebe' und so - und dann denk ich an meine Freundinnen und was ich gemacht habe. Also ich wein immer noch. Dann sagt meine Mutter: Was hast du? Ich: Ich will nach Deutschland. Sie so: Deutschland ist vergessen. Für euch, aber für mich nicht. Also das ist schon traurig."