Samstag, 20. April 2024

Archiv


"Ich wollte ein hübsches Völkergemisch"

Der Roman schwankt zwischen lustig, traurig und bewegend. Im Mittelpunkt steht ein Russe und eine Koreanerin - zwei Nationen die nach Sheyngart viel gemeinsam haben.

Von Sacha Verna | 11.08.2011
    Gary Shteyngarts Roman "Super Sad True Love Story” begann mit zwei Figuren und dem Wunsch, eine Liebesgeschichte zu schreiben:

    "Ich wollte eine Liebesgeschichte zwischen Immigranten schreiben. Der eine ist Russe wie in meinen früheren Romanen. Die andere ist Koreanerin. Ich wollte also ein hübsches Völkergemisch."
    Sagt der 39-jährige Autor, der in kariertem Hemd und Khaki-Shorts in seinem Wohnzimmer sitzt, von dem aus man einen prächtigen Blick über die Dächer des New Yorker Nobelviertels Gramercy Park hat. Zum anderen habe er über den Niedergang Amerikas schreiben wollen, den er kommen sah:

    "Ich dachte immer, Russland würde mehr wie Amerika werden, stattdessen sind sich Amerika und Russland immer ähnlicher geworden: Die Politiker sind korrupt, die Mittelklasse existiert nicht mehr, und die Industrie ist auch verschwunden. Nach dem Kalten Krieg, schien das eine Land gewonnen und das andere verloren zu haben. Aber dann begannen beide auseinanderzufallen."
    Zuerst zur super traurigen wahren Liebesgeschichte. Das ist die von Lenny Abramov, Sohn russischer Einwanderer, und Eunice Park, Tochter koreanischer Einwanderer. Lenny ist alt (fast vierzig!) und hoffnungslos altmodisch (Er liest noch Bücher! Er führt noch Tagebuch!). Eunice ist jung und eines jener konsumgeilen, technisch versierten und permanent textenden Wesen, die, so wie es aussieht, demnächst tatsächlich die Mehrheit der begüterten Menschheit stellen werden. Allerdings ist Eunice ein bisschen sensibler und schlauer aus der Rest und allein deshalb eher ein Fall für den Psychiater als für Lenny. Lenny und seine Angebetete finden und verletzen sich in einer Welt, in der man mittels des Äppäräts jederzeit alles über jeden erfahren kann, vom Stand des Bankkontos bis zur sexuellen Verfügbarkeit. Kommuniziert wird online und vorzugsweise in Akronymen. Wer nun ans iPhone, Facebook und die verbalen Bruchstücke denkt, die via SMS von Display zu Display fliegen, denkt richtig.

    "Während ich an dem Roman arbeitete, überholte mich die Technologie. Als Schriftsteller irritiert mich das. Ich wollte über die Zukunft schreiben, weil es so schwierig ist, über die Gegenwart zu schreiben. Es gibt keine Gegenwart mehr. Wir leben alle in der Zukunft. Alles wird schneller und schneller. Kaum hat man etwas geschrieben, ist es bereits überholt. Das schafft einen Haufen Probleme, mit denen die Schriftsteller der vergangenen Jahrhunderte sich nicht herumschlagen mussten."

    Die Literatur musste früher auch nicht mit unzähligen anderen Formen der Unterhaltung konkurrieren. Den Kampf wird sie verlieren, davon ist Shteyngart überzeugt. Dabei unterrichtet er selber an der Columbia University kreatives Schreiben.

    "Vor allem ist es die Tatsache, dass unser Hirn neu verdrahtet wird, um mit Information in Kleinstdosen umzugehen. Kleine Blitze hier und da, ein Blog, ein Eintrag, eine Kritik. Ich kenne Englischprofessoren, die Mühe haben, ein Buch zu beenden. Niemand ist Schuld daran, doch wird die Literatur zum Zeitvertrieb einer kleinen Bildungselite werden - was ja auch am Anfang so war."

    Als Gary Shteyngart 2002 seinen ersten Roman "Handbuch für den russischen Debütanten” veröffentlichte, wollte er damit freilich mehr als eine Elite erreichen. Er hatte Politikwissenschaften studiert und bis dahin Bürojobs versehen. Jetzt wollte er viel Aufmerksamkeit und viel Geld. Die Aufmerksamkeit erhielt er. Das Geld ließ auf sich warten. "Snack Daddys abenteuerliche Reise” von 2006 erwies sich da schon als einträglicher. Zumindest gemessen an der Zahl der Lammburger, die Shteyngart sich auf Kosten des Verlags bei Xi'an Famous Foods genehmigte, einem jener Etablissements, in denen er sich auf seinen ausgedehnten sonntäglichen Streifzügen durch Manhattan mit gerne verpflegt.

    Die beiden Romane, aberwitzige Wild-Ost-Abenteuer, brachten ihrem Autor den Ruf ein, Fachmann für Immigration, Russisches und Jüdisches zu sein. Shteyngart, der in Leningrad geboren wurde, im Alter von Jahren mit seiner Familie in die Vereinigten Staaten kam und in Queens aufwuchs, regt sich über derlei Etiketten nicht übermäßig auf. Nur vom Osten hatte er die Nase voll. "Super Sad True Love Story” spielt ausschließlich in New York.

    ""Ich brauchte zwanzig, ja dreißig Jahre, bis ich mich hier zu Hause fühlte. Dabei nahm ich dieses Land immer als selbstverständlich hin. Ich bin kein großer Patriot, aber ich war immer auf New York fixiert und überquerte selten den Hudson River. Das hat sich in letzter Zeit verändert. Nun möchte ich den Ort, an dem ich lebe besser verstehen, nicht mehr nur den, aus dem ich gekommen bin. Davon handelten meine beiden ersten Roman."

    Das New York in "Super Sad True Love Story” steht kurz davor, von einem Norwegischen Hedge-Fund gekauft und in ein Spa für die Reichsten verwandelt zu werden. Amerika insgesamt ist bankrott und das nicht nur in finanzieller Hinsicht. Es droht ein Bürgerkrieg zwischen den Habenichtsen und den Alleshabern.

    Vor diesem dramatischen Hintergrund schildert Gary Shteyngart das Lenny-Eunice-Drama in der Form eine futuristischen Briefromans. Lennys Tagebucheinträge wechseln sich ab mit Eunices Chit-Chat auf GlobalTeens. Erstere folgen traditionellen Erzählmustern, letzteres ist Cyber-Slang. Twittrisch. Newspeak. Die Verweise auf George Orwells "1984” sind deutlich:

    "Im Gegensatz zu meinem Buch verordnet in "1984” die Regierung alle diese Dinge. Die Regierung, Big Brother versucht zu kontrollieren, was du tust und dich gleichzeitig von der Sprache fernzuhalten. Wir hingegen entledigen uns unserer Sprache gleich selber. Vielleicht verrät die Sprache zu viel in diesem Zeitalter der Angst. Wir wollen nicht darüber nachdenken, was mit uns geschieht, was wir uns selber und was wir dem Planeten antun. Die Staccato-Informationen, die Staccato-Sprache, die Abkürzungen überall entfernen uns von unserer Menschlichkeit, von der Empathie, die man entwicklen muss. Sie versetzen uns in eine Techno-Welt, wo wir denken, dass die Technologie wie früher die Religion die Mehrheit unserer Probleme lösen wird. Aber das kann sie nicht. Wir sind und bleiben das Problem."

    Lenny und Eunice sind das Problem. Sie gleichen Romeo und Julia im Zeitalter der totalen Technologisierung und des "Ich verbrauche, also bin ich”. Er läuft, metaphorisch gesprochen, analog und sie digital. Dabei hadern sie jedoch mit den üblichen Beziehungskillern, den Missverständnissen und Kindheitstraumata und dem Mir-gefällt-die-Art-nicht-wie-du-dir-die-Zähne-putzt. Mit der erlösenden Kraft der Liebe ist da nichts.

    Gary Shteyngarts eigene romantische Aussichten sind rosiger. Er wird bald seine koreanische Verlobte heiraten. Als Romancier macht er eine Pause. Shteyngart arbeitet an einem Band mit autobiografischen Essays, von denen einige bereits im New Yorker erschienen sind. Das Schreiben sei bloß eine feinere Art der Nabelschau, sagt er. Shteyngarts iPhone hat während des gesamten Interviews nicht einmal geklingelt. Aber sein Facebook-Konto benötigt jetzt dringend ein Update.

    Gary Shteyngart: Super Sad True Love Story. Roman aus dem Amerikanischen von Ingo Herzke. Rowohlt Verlag, Reinbek 2011. 448 Seiten. 30.50 Franken/19.95 Euro.