Archiv


Idee ist "auf den ersten Blick ein bisschen verrückt"

Sachsen-Anhalts Kultusminister, Jan-Hendrik Olbertz, hält den Vorschlag, Ingenieure als Aushilfslehrer an Schulen einzusetzen, für nicht geeignet, gegen den kommenden Lehrermangel vorzugehen. Sollte sich die Idee von Bundesbildungsministerin Schavan jedoch auf "mehr Begegnungen an der Schnittstelle zwischen Schule und Arbeitswelt" beziehen, fände der Vorstoß durchaus seine Unterstützung, so Olbertz.

Jan-Hendrik Olbertz im Gespräch mit Dirk Müller |
    Dirk Müller: Verbunden sind wir nun mit Jan-Hendrik Olbertz, Kultusminister von Sachsen-Anhalt, früher selbst Lehrer und Schulleiter. Guten Morgen!

    Jan-Hendrik Olbertz: Ja, guten Morgen, ich grüße Sie.

    Müller: Herr Olbertz, sind alle Lehrer per se gute Pädagogen?

    Olbertz: Nein, das kann man sicherlich so nicht sagen, aber die Profession verlangt, dass sie gute Fachleute und gleichzeitig auch geschickte Vermittler und Arrangeure sind. Und dafür gibt es eine solide und systematische Lehrerausbildung, die eigentlich durch nichts zu ersetzen ist.

    Müller: Um ein guter Pädagoge zu sein, muss man auch Pädagogik studieren?

    Olbertz: Ja, das denke ich schon, denn ich bin ziemlich sicher, dass jemand, der ein guter Ingenieur ist, nicht automatisch ein guter Lehrer sein muss. Er kann es sein, wenn er besonders talentiert ist, aber es ist auch nicht jeder gute Lehrer automatisch ein guter Ingenieur. Dafür würde ich auch die Unternehmen warnen, wenn man diesen Vorschlag mal umgekehrt prozedieren würde.

    Müller: Und könnten Sie sich das vorstellen, Sie haben es ja gerade gesagt, dass ein Ingenieur möglicherweise ein guter Lehrer ist? Könnten Sie sich das vorstellen, dass er dann in der Praxis dementsprechend auch eingesetzt wird?

    Olbertz: Ja, ich will das nicht ausschließen und die Idee von Frau Schavan, die ist zwar auf den ersten Blick ein bisschen verrückt, aber sie ist auch charmant, wenn sie nicht traktiert wird als Rezept gegen den Lehrermangel. Das kann nun gar nicht sein, auf diese Weise den Lehrermangel zu beheben. Aber wenn es um mehr Begegnungen an der Schnittstelle zwischen Schule und Arbeitswelt geht, dann hat dieser Vorschlag auch etwas für sich, denn wir beklagen uns ja immer über einen Mangel an Relevanz in den schulischen Lehrplänen, über zu wenig Praxisbezogenheit des Unterrichts und über zu wenig Berufsorientierung in den Schulen. Dort könnten Leute aus der Praxis durchaus Abhilfe schaffen, aber eben als Partner, nicht als Ersatz für die gut ausgebildeten Lehrer.

    Müller: Herr Olbertz, wenn ich das richtig verstanden habe, geht es aber natürlich in erster Linie darum, den bevorstehenden Lehrermangel durch andere externe Kräfte zu kompensieren.

    Olbertz: Das halte ich für nicht realistisch und es steckt darin ja auch ungewollt eine Geringschätzung der Ausbildung der Lehrerinnen und Lehrer. Das, was Lehrerinnen und Lehrer können müssen, das lässt sich nicht einfach mal eben so durch eine andere Kompetenz ersetzen. Ich bin aber auch ziemlich sicher, dass die Bundesministerin das so nicht gemeint hat.

    Müller: Wie hat sie es denn gemeint?

    Olbertz: Ich vermute, dass sie vor allem im Sinn hatte, die Schulen zu veranlassen, ihre Fühler nach außen zu strecken, die außerschulische Lebenswelt stärker einzubinden in die tägliche Unterrichtspraxis, Verbindungen herzustellen im Übrigen auch zwischen Personen, denn die Schule ist nun mal ein ziemlich hermetisches Kunstgebilde, das die Welt über Abbilder versucht zu vermitteln, aber nicht über authentische Begegnungen in dem Umfang, in dem das wünschenswert ist. Und da kann ich mir über Unternehmenstage, über Praxisphasen, über Schülerbetriebspraktika und vieles andere durchaus vorstellen, dass solche Begegnungen schulischen Unterricht und auch die Erziehung im Übrigen erfolgreicher werden lassen.

    Müller: Herr Olbertz, das wird ja auch zum Teil schon gemacht, Praktika, Einbeziehungen von Fachkräften aus den Unternehmen im Schulunterricht. Es geht ja darum, ob ein Ingenieur jetzt auch Lehrer werden kann. Würden Sie es ausprobieren in Sachsen-Anhalt?

    Olbertz: Ich würde mich durchaus aufschließen, so etwas punktuell mal auszuprobieren und es wird ja hier und dort auch gemacht, aber als systematischer Ansatz für die Lösung der Probleme des Lehrerbedarfs für die Zukunft würde ich diesen Weg nicht empfehlen.

    Müller: Sie sagen, auf der anderen Seite ist das eher auch unrealistisch, dass das klappt und dass das vor allem auch politisch umgesetzt wird. Realistisch ist aber, wenn wir das richtig verstanden haben, dass der Lehrermangel kommt.

    Olbertz: Ja, der kommt auf jeden Fall und spätestens in der Mitte des nächsten Jahrzehnts werden wir auch in den neuen Ländern riesige Probleme haben. Im Moment scheint es ja, als könnten wir die Hände in den Schoß legen, weil wir hier einen ziemlich großen Lehrerüberhang haben durch die demografische Krise, aber das Durchschnittsalter der Kollegien ist sehr hoch und das wird sich ziemlich schlagartig wenden. Deswegen müssen wir jetzt schon strategische Weichenstellungen für die Erhöhung der Kapazität und im Übrigen auch der Qualität der Lehrerbildung an den Universitäten vornehmen. Das kann eigentlich nur der langfristige Weg für die Lösung des Problems sein. Alles andere sind Vorschläge, die man durchaus, wie gesagt, als charmant empfinden kann, aber strategische Lösungsansätze müssen anders aussehen.

    Müller: Wenn Sie sagen, es ist Realität, dass der Lehrermangel kommt, dann hat doch dementsprechend die Politik bereits jetzt verschlafen?

    Olbertz: Nein, das hat sie noch nicht. Sie thematisiert ja die Geschichte längst, die Politik selbst hat dieses Thema platziert und es ist ja auch noch etwas Atemluft da. Es besteht die Gefahr, dass die Politik das verschläft, im Übrigen auch die Angebotspolitik der Hochschulen, das geht ja nicht nur um Politik im engeren Sinne. Da sehe ich schon Gefahren aufziehen, aber ich sehe auch, dass wir im Moment dieses Problem durchaus noch lösen könnten, wenn wir strategisch und langfristig die Ressourcen und Kapazitäten der Hochschulen entsprechend disponieren. In Sachsen-Anhalt haben wir das vor und da kann man durchaus noch geordnet mit umgehen mit den Problemen, die da auf uns zukommen.

    Müller: Das heißt klipp und klar in der Praxis: Die Universitäten müssen sich künftig jüngeren Studenten wieder neu öffnen?

    Olbertz: Ja, das müssen sie, und wir haben auch vor, das machen viele andere Länder auch, das Thema Lehrerbildung viel verbindlicher noch in den Zielvereinbarungen mit den Universitäten zu verankern, dort auch Budgets dran zu knüpfen, die mit Leistungsanreizen für die Hochschulen verbunden sind und im Übrigen: Solange wir öffentliche Hochschulen haben, müssen sie auch öffentliche Aufgaben wahrnehmen und die Sicherung des Lehrerbedarfs ist ein Stück solche öffentliche Verantwortung. Bei allem Respekt der Hochschulautonomie gegenüber muss hier der Staat auch seine Erwartungen artikulieren, der das System der Hochschulen immerhin finanziert.

    Müller: In den 70er- und 80er-Jahren, Herr Olbertz, galt ja der Lehrerberuf als eine Art goldener Handschlag. Hat sich das verändert?

    Olbertz: Ja, das hat sich verändert. Ich glaube, der Beruf ist auch wesentlich komplexer und schwieriger geworden, die Lernausgangsbedingungen in der frühen Kindheit sind ungeheuer heterogen geworden, ich will auch gerne einräumen, dass viele Belange der bürokratischen Steuerung und Administration des Schulbereiches komplizierter und unübersichtlicher, teilweise auch unerfreulicher geworden sind. Dieser Beruf hat es in sich, es ist aber gleichzeitig auch ein Beruf voller Reize, der gerade für junge Leute, die sich für die Arbeit mit Kindern interessieren, eine große Versuchung ist. Ich werbe immer offensiv für diesen schönen Beruf, aber ich trete auch gegen Illusionen an, dass man mit diesem Beruf sozusagen für wenig Arbeit viel Geld bekommt. Diesem Vorurteil muss man sich natürlich entgegenstellen.

    Müller: Jan-Hendrik Olbertz, parteiloser Kultusminister von Sachsen-Anhalt. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören!