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Identifikation für jede Medikamentenschachtel

Pharmazie. - Weltweit soll jede zehnte Arzneimittelpackung gefälscht sein, schätzt die Weltgesundheitsorganisation. Nicht nur Entwicklungsländer sind betroffen: Jede dritte Fälschung taucht in einem Industriestaat auf. Wie man Fälschungen in bundesdeutschen Apotheken bekämpfen kann, diskutierten Beteiligte jetzt in Wiesbaden.

Von Hellmuth Nordwig | 23.10.2008
    Bis zu ein Prozent der Medikamente im legalen Apothekenhandel könnten bei uns gefälscht sein. Diese Zahl liest man immer wieder. Es handelt sich um eine Schätzung der Weltgesundheitsorganisation WHO. Das Bundeskriminalamt hat diese Zahl in einem Bericht über Arzneimittelkriminalität übernommen, obwohl es für Deutschland keine entsprechenden Daten gibt. Harald Schweim, Professor für Arzneimittelzulassungslehre an der Universität Bonn:

    "Die WHO basiert in ihren Schätzungen auf einer Datenbank, wo Fälschungsfälle eingegeben werden, die der WHO gemeldet werden. Und daraus rechnen die die Fälschungen hoch. Ihr Wunsch nach exakten Zahlen ist nicht erfüllbar, weil eine flächendeckende Untersuchung nicht passiert. Das Wort ist aber ‚maximal‘ ein Prozent. Das ist eine Obergrenze. Reale Erhebungen gibt es nicht, weil es keinen Bundesverband der Arzneimittelfälscher gibt, der regelmäßig Umsatzzahlen publiziert."

    Obwohl also heute noch niemand niemand Gefahr läuft, in einer deutschen Präsenzapotheke ein gefälschtes Medikament zu bekommen, wird die Pharmaindustrie aktiv. Denn im Ausland und im Internethandel nehmen die Fälschungen deutlich zu, und die Hersteller befürchten, dass eines Tages eben doch gefälschte Packungen im legalen Handel auftauchen. Eine neue Kennzeichnung soll hier Abhilfe bringen. Michael Dammann vom Verband Forschender Arzneimittelhersteller:

    "Wir wollen ein System entwickeln und im Jahr 2009 in Deutschland testen, welches als ein Kernelement vorsieht, dass jede Arzneimittelpackung einen individuellen Code bekommt, einen so genannten Datamatrix-Code. Das ist das, was Sie von Ihren Boardingcards kennen."

    Hier zeigt Michael Dammann sein Flugticket, auf dem ein so genannter zweidimensionaler Barcode aufgedruckt ist. Solche Felder mit einem Muster schwarzer Punkte kennt man auch von den Online-Tickets der Bahn oder von elektronischen Briefmarken, und nun sollen also Medikamente folgen. Die Software, mit der solche Muster erzeugt werden, gibt es allerdings frei zugänglich im Internet. Es wäre also für einen Fälscher kein Problem, eine Arzneimittelschachtel zu bedrucken, einschließlich der individuellen Nummer, die jede Packung zukünftig tragen soll. Genau wie bei der Fahrkartenkontrolle sollen Fälschungen aber auffliegen, sobald der Apotheker beim Kauf des Medikaments den Barcode scannt. Dammann:

    "Der Apotheker greift auf eine Datenbank zu, in welcher all die Seriennummern hinterlegt sind zu allen Packungen. Und er kann dann durch den Abgleich mit dieser Datenbank überprüfen: Gibt es diese Seriennummer, ist sie echt, oder gibt es sie nicht? Wenn es sie nicht gibt, weiß der Apotheker, hier ist etwas falsch, denn diese Nummer wurde laut Datenbank niemals vergeben."

    Das gleiche gilt, wenn eine Packung mit derselben Nummer bereits irgendwo verkauft wurde. Ein Fälscher kann also bestenfalls eine Schachtel eines Medikaments in Umlauf bringen, und das dürfte sich nicht lohnen, hofft der Pharmaverband. Teurer als heute sollen die codierten Arzneien nicht werden; die Apotheken müssen allerdings gut 100 Euro für das Lesegerät investieren und sich spätestens jetzt einen schnellen Internetzugang zulegen. Ob sich die Hoffnungen in das System erfüllen, wird der Pilotversuch zeigen, der im nächsten Jahr starten soll. Harald Schweim von der Universität Bonn ist eher skeptisch. Wozu ein Problem lösen, das noch gar nicht existiert, meint er.

    "Das wird auch frustrieren. Ein Apotheker wird Zehntausende von Packungen, ohne dass irgendwas passiert, über diesen Scanner schieben – wenn er überhaupt mitmacht. Und es wird nichts dabei herauskommen. Wohingegen im Internet die Hälfte gefälscht ist. Da würden wir jede zweite Viagra-Bestellung, die zu einem gefälschten Produkt führt, verhindern, wenn wir den Internethandel wieder dicht machen oder zumindest erschweren."