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Identitätssuche

Was ist Kultur? Kultur ist das Gedächtnis unserer Gesellschaft, resümierte der Soziologe Niklas Luhmann, die große Antipode Jürgen Habermas'. Aber in diesem Gedächtnis bleiben Shakespeare und Goethe ebenso hängen wie Schenkel-Klopf-Theater oder das Millionenquiz. Der Anthropologe Alfred Kroeber hat es 1950 auf 150 Definitionen von Kultur gebracht. Das mag Pablo Picasso zu jenem Satz verleitet haben: "Wenn ich wüsste, was Kunst ist, würde ich es nicht verraten."

Von Barbara Heimpel |
    Das Dilemma: Was sich nicht definieren lässt, lässt sich schwer überprüfen. Und so wird die Kulturpolitik in schöner Regelmäßigkeit der Ineffizienz beschuldigt und nach Kürzung verlangt. Enttäuschte Hoffnungen sind da am größten, wo die Erwartungen hoch sind. In der auswärtigen Kulturpolitik sind sie hoch, sehr hoch: Aufbau nationaler Identität, Verbesserung des Deutschlandbildes in der Welt, Integration von Migranten. Die Hoffnungen sind unendlich, das Geld ist es nicht. Da ist es nur natürlich, dass geschaut wird, wo die Kohle bleibt, meint Reinhard Stockmann, Leiter des Centrums für Evaluation in Saarbrücken:

    "Weil die Finanzmittel insgesamt knapper geworden sind und man sich überlegt, wofür man Geld ausgibt, zum einen. Zum anderen, weil die Bürger auch beginnen stärker nachzufragen, ob für die Einrichtung oder Vorführung, die präsentiert werden, ob die eigentlich die richtigen sind."

    Doch was sind die Richtigen? Hielte man es mit Andy Warhol, der sagte "Alles wird Kunst sein, und nichts wird Kunst sein, weil alles, wie ich glaube, schön ist", dann stünde man wohl vor einem unlösbaren Problem. Doch Reinhard Stockmann ist überzeugt: Diese Frage gilt es zu lösen, und: Sie ist zu lösen. Sein Zentrum trägt das Zauberwort bereits im Namen: Evaluation. Gemeint ist, Stärken suchen, Fehler beheben. Nicht gemeint ist, dass eine Kommission entscheidet, ob ein Bild gut ist oder schlecht, betont Jürgen Maass, Generalsekretär des Instituts für Auslandsbeziehungen in Stuttgart.

    "Es geht eher darum, dass sie sich anschaut, wie eine Galerie in einer Stadt, ein Museum mit der Sammlung von Kunst umgeht, wie die Mischung ist, wie das präsentiert wird, wie das vom Publikum angenommen wird, was sonst noch so alles angenommen wird. Also es kommt drauf an, ob man weiß, was man will."

    Ziele zu formulieren ist das Eine, Kriterien für deren erfolgreiche Umsetzung zu finden das Andere. Wie misst man, ob Ziele wie "Freunde für Deutschland gewinnen" erreicht wurden? Wie lässt sich der Erfolg von Deutschunterricht, Austauschprogrammen, Theater- und Musikveranstaltungen überprüfen?

    Weil Reinhard Stockmann und Jürgen Maass darauf auch keine rechte Antwort wussten, haben sie im September letztes Jahr den Arbeitskreis "Evaluation von Kultur und Kulturpolitik" gegründet. Das Ziel: Die Wenigen, die bewerten können mit Jenen an einen Tisch zu bringen, die bewertet werden wollen. Der Arbeitskreis war offenbar lange überfällig, der Zulauf groß. Mitglieder sind unter anderem das Auswärtige Amt, das Goethe-Institut, die Alexander von Humboldt-Stiftung und das Internationale Zentrum für Hochschulforschung. Im Mittelpunkt steht der Dialog.

    Was bleibt ist die Frage, was förderwürdig ist und was nicht. Und: Gibt es für neue Dinge überhaupt eine Chance gesehen zu werden? Gerade die kommunale Kulturpolitik ist oft nicht sehr experimentierfreudig. Was, wenn diejenigen, die über Literatur, Kunst und Theater entscheiden nur das fördern, was Geld bringt?

    "Das ist auch eine Gefahr, dass eine Kommune sagt, wir haben hier ein Leuchtturmprojekt, das auch von der Industrie gefördert wird und von privaten Sponsoren gefördert wird. Daran können wir eigentlich schlecht drehen, weil wir dann Angst haben, dass auch die anderen Mittel wegfallen."

    Viele Fragen bleiben offen. Oder um es mit den Worten Georges Braques zu sagen: "Die Kunst hat Schwingen, die Wissenschaft hat Krücken." Noch.