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Ideologischer Holzweg

Manche sehen in ihr das schönste Gesicht des Sozialismus, anderen ist sie ein Dorn im Auge: Sahra Wagenknecht, Europaabgeordnete und Sprecherin der "Kommunistischen Plattform" der Linkspartei, polarisiert. Mit ihrem speziellen Geschichtsverständnis hat sie sich einen Ruf als Reizfigur erworben. Ihre Veröffentlichung zur internationalen Finanzkrise dürfte ähnliche Reaktionen hervorrufen. Alexander Hagelüken hat das Buch gelesen.

24.11.2008
    Wenn jemand Zitate in ein Buch einstreut, hat das verschiedene Effekte. Ein Reiz der Übung besteht darin, dass der Leser womöglich eine treffende Beschreibung der Gegenwart erhält, ohne zunächst zu wissen, von wem sie stammt. Diesen Verfremdungseffekt setzt die linke Politikerin Sahra Wagenknecht in ihrem neuen Buch gleich zu Beginn ein, indem sie folgende Sätze zur Finanzkrise zitiert:

    Das Vermögen der gesamten Gesellschaft, welche die Regierung vertritt, hat die Verluste der privaten Kapitalisten zu vergüten. Diese Art Kommunismus, wo die Gegenseitigkeit völlig einseitig ist, erscheint den europäischen Kapitalisten ziemlich anziehend.

    Von wem stammt diese Beschreibung, die so gut auf die staatlichen Rettungspakete für marode Banken zu passen scheint? Sie stammt aus dem Jahr 1857, von Karl Marx. Wagenknecht, die die "Kommunistische Plattform" in der Linkspartei anführt, zitiert Marx – und darf auf wachsenden Beifall der Deutschen hoffen.

    Zwischenzeitlich war die Politikerin stark ins Abseits geraten, war selbst in ihrer von DDR-Nostalgikern durchsetzten Partei zur Außenseiterin geworden. Nun konnte sie keinen besseren Moment wählen, um ihr Buch "Wahnsinn mit Methode - Finanzcrash und Weltwirtschaft" zu veröffentlichen. Die schwerste Finanzkrise seit 80 Jahren hat die Deutschen verunsichert. Und so darf die links gewirkte Autorin mit Zustimmung für viele ihrer Thesen rechnen.

    Die Finanzmärkte unserer Tage tun genau das nicht, was ihre Aufgabe wäre: die Ersparnisse der Gesellschaft in jene Investitionen zu lenken, die die Wirtschaft produktiver, umweltverträglicher oder auf irgendeine andere Art reicher machen. Statt dessen leiten sie tausende Milliarden in die Finanzierung aberwitziger Finanzwetten und hochspekulativer Investmentvehikel, die volkswirtschaftlich so überflüssig sind wie der Wiener Opernball.

    Dies ist eine Analyse der Lage, die mancher Zeitungsleser teilen wird. Auch die Beschreibung, welche negativen Konsequenzen die Finanzkrise auslösen wird, klingt durchaus plausibel, gerade was die Quelle angeht:
    Die Bank of England prognostiziert inzwischen globale Verluste aus der Finanzkrise in Höhe von 2.800 Milliarden Dollar. Das ist mehr, als die gesamte deutsche Wirtschaft in einem Jahr an Gütern und Leistungen produziert. Bleibt es dabei, ist der Verlust, den irgendjemand am Ende ausbaden muss, immerhin so groß, als hätten alle Beschäftigten in Deutschland sich über ein Jahr lang auf die faule Haut gelegt. Angst geht um: Vor einem Absturz, der tiefer ist als alles, was die heutigen Generationen an Einbrüchen und Krisen bisher in ihrer Lebenszeit erfahren haben.

    Ja, ein wirtschaftlicher Einbruch steht bevor. Und ja, die Finanzkrise ist ein Drama sondergleichen. Die Bürger fragen sich, wie es dazu kommen konnte – und wie radikal die politischen Veränderungen ausfallen müssen, um neue Exzesse und Katastrophen zu verhindern. Für jemand, der wie Wagenknecht schon immer radikal gegen die Marktwirtschaft argumentiert hat, ist das eine traumhafte Vorlage. Doch im Eifer des Angriffsspiels unterlaufen der Autorin Fehler, die die Wucht ihrer Torschüsse mildern.

    Auf den Gütermärkten dämpfen steigende Preise die Nachfrage und fallende erhöhen sie. Auf den Finanzmärkten gilt der umgekehrte Preismechanismus: Hier ist es rational, bei steigenden Preisen zu kaufen und bei fallenden zu verkaufen. Die Finanzmärkte neigen deshalb zu extremen Ausschlägen und Blasenbildung.

    Diese Behauptung ist arg simplifiziert. Dass es immer rational wäre, bei steigenden Aktienkursen zu kaufen und dass Finanzmärkte deshalb übertreiben müssen – das lässt sich nicht wirklich nachweisen. Ideologisch beeinflusst argumentiert Wagenknecht auch, wenn sie sich das Treiben in den großen Konzernen vornimmt.

    Da ist die Rede davon, dass schuldenfinanzierte Übernahmen oder die Teilnahme am, so wörtlich, internationalen Finanzmonopoly reale Investitionen und Forschung zunehmend ersetzt hätten. Sicher mag das bei dem einen oder anderen Unternehmen der Fall sein. Doch als durchgängiges Phänomen ist dies keineswegs zu beobachten. Die reale Wirtschaft ist ein Opfer der Finanzkrise, kein Verursacher. Holzschnittartig fällt auch Wagenknechts Vergleich der aktuellen Situation mit der Weltwirtschaftskrise 1929 aus.

    Tatsächlich gibt es zwischen den 20er Jahren und den Entwicklungen der jüngeren Vergangenheit beunruhigende Parallelen. Damals wie heute war die Einkommensverteilung in den Industrieländern über die Jahre immer ungleicher geworden. In den USA besaßen die reichsten 1 Prozent 36 Prozent des gesamten Geldvermögens. Heute liegt deren Vermögensanteil bei etwa der Hälfte.

    Richtig ist daran, dass die Einkommen in den Vereinigten Staaten zuletzt ungleicher verteilt waren – und der neue Präsident Barack Obama dies hoffentlich ändert. Nur: Die große Depression der 30er Jahre lässt sich nicht so einfach mit der heutigen Lage in einen Schnellkochtopf werfen. In den USA war damals jeder Vierte arbeitslos – wovon wir heute selbst in den skeptischsten Prognosen weit entfernt sind.

    Von solchen Differenzierungen lässt sich Wagenknecht ungern bremsen. Sie möchte ja unbedingt auf ihren großen ideologischen Befreiungsschlag zusteuern. Für sie ist klar: Die Rettungspakete der Regierung werden keinen Erfolg haben, alles kommt noch schlimmer – und es gibt nur einen Ausweg:

    Das einzig progressive Szenario wäre die Überwindung der Diktatur der Finanzhaie durch öffentliches Eigentum am Finanzsystem und in den Kernbereichen der Wirtschaft. Sind solche Unternehmen in privater Hand, führt das immer wieder zu der unerträglichen Situation, dass die Gewinne privatisiert, die Verluste hingegen der Allgemeinheit aufgebürdet werden.

    Wagenknecht will also verstaatlichen, was das Zeug hält. Aber hat der Staat sich als Unternehmer wirklich bewährt? Was ist mit den Riesenverlusten der Landesbanken, was mit den Trotteleien der KfW-Bank, die der pleitegegangenen US-Bank Lehman Brothers Geld überwies?

    Sahra Wagenknecht unternimmt nicht einmal den Versuch, die Vor- und Nachteile einer Verstaatlichung abzuwägen. Denn das würde womöglich das gewünschte Ergebnis vereiteln. Ganz egal, ob es mit dem Kapitalismus gerade schlecht läuft oder besser - Wagenknecht will verstaatlichen.

    Ja, die Finanzkrise ist dramatisch. Und ja, der Kapitalismus muss reformiert werden. Doch bietet Frau Wagenknecht wirklich die Lösung? Nach der Lektüre ihres Buches bleibt das ungute Gefühl, dass ihr Weg kein Ausweg ist – sondern ein Holzweg, der in eine andere schwere Krise führen würde.

    Sahra Wagenknecht: Wahnsinn mit Methode. Finanzcrash und Weltwirtschaft
    Verlagsgruppe Eulenspiegel, Berlin 2008
    256 Seiten, 14,90 Euro