Die vielleicht packendste Szene ist, wenn der als Opfer todgeweihte Sohn Idamantes den Kampf aufnimmt gegen die Mächte des Irrationalen. Die Höflinge, vorher in bunten, barockisierenden Kleidern, die Damen in derwischhaft glockigen Reifröcken, bewaffnen sich nun ganz in Schwarz mit Beilen.
Wie auf einer Kommandobrücke werden die Götter hereingefahren: ein grünlicher Poseidon, ein goldener Buddha, ein Mohammed mit weißem Schador und Kaftan und ein schmächtiger Christus. Am Ende müssen sie ihre Kleider ablegen, wenn sie mit Ihrer Einforderung des Opfers nicht obsiegen.
Idamantes, der Sohn, hat den Vater Idomeneo zum Kampf gegen das Numinose mitgerissen. In Unterhosen treten die Götter ab von der Bühne. Und in einem stummen Nachspiel präsentiert der zum Götter-Schlachtermeister emanzipierte Idomeneo deren blutige Köpfe auf den leeren Stühlen.
Indem ein Mensch das Leben für einen anderen bereit ist herzugeben – das ist eine unglaubliche Schuldaufladung, die der Mensch hat, wenn er darüber nachdenkt. Und daraus ergibt sich ein Labyrinth, ein Chaos, eine Beschäftigung: wie komme ich aus dieser Schuld raus, wie werde ich damit fertig, dass ich mein Leben für ein anderes eintausche? Dieser Tausch ist, was mich interessiert.
So Regisseur Hans Neuenfels im Gespräch über diese mythologische Geschichte von dem Kriegsheimkehrer Idomeneo. Nach Kreta zurückkehrend aus Troja, haben die Götter ihm eine letzte Prüfung beschert. Und er wird schwach. Nur der Schwur an Poseidon, den ersten Menschen zu opfern, dem er begegnet am Strand, rettet eigenes Leben. Es ist der eigene Sohn Idamantes.
Neuenfels erzählt die Geschichte vielschichtig mit vielen hinzu erfundenen Figuren. Ilja, die aus Troja verschleppte Trojaner-Prinzessin, die in den Kreter-Prinzen Idamantes sich verliebt, wird in ihren inneren Konflikten gezeigt, wie sie mit dem Vater Priamos und den Brüdern kämpft für ihre Liebe.
Die Agamemnon-Tochter Elektra, ebenfalls verliebt in Idamantes und Zuflucht findend in Kreta, wird gezeigt mit einer Art Courage-Wägelchen. Das Andenken des Vaters beschwört sie, indem sie seinen Mantel auf ein Tischchen deckt und mit Steinen beschwert wie ein Grab. In ihre heile Kinderwelt träumt sie sich zurück mit Brüderchen Orest und Schwesterchen Chrysothemis, indem sie sich mit ihnen in ein hundehüttengroßes lichtes Tempelchen verkriecht.
Ein assoziationsreiches Beziehungsgeflecht hat Neuenfels da gesponnen für eine Oper, die Mozart 1781 als Auftrag für einen Herrscher komponierte, Karl Theodor, der – aufgeklärt – seine Untertanen lieber in Schulen, Theater und Manufakturen schickte als in den Krieg und darum des Kriegstreibers Friedrich Zorn auf sich zog. Indem Neuenfels freilich eine Übertitelung der Texte sich verbat, beraubt er sich selbst unnötig eines unmittelbaren Verstehens dieses ja selten gespielten Werks.
Am Pult dieser Aufführung an der Berliner Deutschen Oper steht Lothar Zagrosek. Meisterlich gelingt ihm nach voluminösen Wagner-Wochen im Haus, das Orchester auf silbrig, scharf akzentuierten Klang zu verschlanken. Hervorragend die für das Stück im Sinne Glucks konstituierenden, von Ulrich Paetzholdt einstudierten Chöre. Von den Sängern kann vor allem Charles Workman mit seinem markant hellen Organ beeindrucken.
Idomeneo ist nach vielen Verdis, nach Schreker, Zemlinsky, Neuenfels’ vierte Beschäftigung mit einer Mozart-Oper. Mozart, sagt er, wurde zu einer späten, aber zentralen Entdeckung seiner Existenz:
Das bedeutet für mich eine neue Betrachtung der Welt, insofern – im Gegensatz zu Verdi und vielen anderen großen Komponisten – Mozart eine Weltansicht hat, die eine zärtliche Gleichgültigkeit über die Welt verstreut. Das bedeutet für mich, dass er die Welt betrachtet: wie Ameisen, und wie Shakespeare das auch tut. Und dass er ohne zu kommentieren, ohne zu denunzieren, ohne zu ironisieren – außer Witz, das ist was anderes –, dass er alle möglichen Verhaltensweisen des Menschlichen zeigt.
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910.html
Wie auf einer Kommandobrücke werden die Götter hereingefahren: ein grünlicher Poseidon, ein goldener Buddha, ein Mohammed mit weißem Schador und Kaftan und ein schmächtiger Christus. Am Ende müssen sie ihre Kleider ablegen, wenn sie mit Ihrer Einforderung des Opfers nicht obsiegen.
Idamantes, der Sohn, hat den Vater Idomeneo zum Kampf gegen das Numinose mitgerissen. In Unterhosen treten die Götter ab von der Bühne. Und in einem stummen Nachspiel präsentiert der zum Götter-Schlachtermeister emanzipierte Idomeneo deren blutige Köpfe auf den leeren Stühlen.
Indem ein Mensch das Leben für einen anderen bereit ist herzugeben – das ist eine unglaubliche Schuldaufladung, die der Mensch hat, wenn er darüber nachdenkt. Und daraus ergibt sich ein Labyrinth, ein Chaos, eine Beschäftigung: wie komme ich aus dieser Schuld raus, wie werde ich damit fertig, dass ich mein Leben für ein anderes eintausche? Dieser Tausch ist, was mich interessiert.
So Regisseur Hans Neuenfels im Gespräch über diese mythologische Geschichte von dem Kriegsheimkehrer Idomeneo. Nach Kreta zurückkehrend aus Troja, haben die Götter ihm eine letzte Prüfung beschert. Und er wird schwach. Nur der Schwur an Poseidon, den ersten Menschen zu opfern, dem er begegnet am Strand, rettet eigenes Leben. Es ist der eigene Sohn Idamantes.
Neuenfels erzählt die Geschichte vielschichtig mit vielen hinzu erfundenen Figuren. Ilja, die aus Troja verschleppte Trojaner-Prinzessin, die in den Kreter-Prinzen Idamantes sich verliebt, wird in ihren inneren Konflikten gezeigt, wie sie mit dem Vater Priamos und den Brüdern kämpft für ihre Liebe.
Die Agamemnon-Tochter Elektra, ebenfalls verliebt in Idamantes und Zuflucht findend in Kreta, wird gezeigt mit einer Art Courage-Wägelchen. Das Andenken des Vaters beschwört sie, indem sie seinen Mantel auf ein Tischchen deckt und mit Steinen beschwert wie ein Grab. In ihre heile Kinderwelt träumt sie sich zurück mit Brüderchen Orest und Schwesterchen Chrysothemis, indem sie sich mit ihnen in ein hundehüttengroßes lichtes Tempelchen verkriecht.
Ein assoziationsreiches Beziehungsgeflecht hat Neuenfels da gesponnen für eine Oper, die Mozart 1781 als Auftrag für einen Herrscher komponierte, Karl Theodor, der – aufgeklärt – seine Untertanen lieber in Schulen, Theater und Manufakturen schickte als in den Krieg und darum des Kriegstreibers Friedrich Zorn auf sich zog. Indem Neuenfels freilich eine Übertitelung der Texte sich verbat, beraubt er sich selbst unnötig eines unmittelbaren Verstehens dieses ja selten gespielten Werks.
Am Pult dieser Aufführung an der Berliner Deutschen Oper steht Lothar Zagrosek. Meisterlich gelingt ihm nach voluminösen Wagner-Wochen im Haus, das Orchester auf silbrig, scharf akzentuierten Klang zu verschlanken. Hervorragend die für das Stück im Sinne Glucks konstituierenden, von Ulrich Paetzholdt einstudierten Chöre. Von den Sängern kann vor allem Charles Workman mit seinem markant hellen Organ beeindrucken.
Idomeneo ist nach vielen Verdis, nach Schreker, Zemlinsky, Neuenfels’ vierte Beschäftigung mit einer Mozart-Oper. Mozart, sagt er, wurde zu einer späten, aber zentralen Entdeckung seiner Existenz:
Das bedeutet für mich eine neue Betrachtung der Welt, insofern – im Gegensatz zu Verdi und vielen anderen großen Komponisten – Mozart eine Weltansicht hat, die eine zärtliche Gleichgültigkeit über die Welt verstreut. Das bedeutet für mich, dass er die Welt betrachtet: wie Ameisen, und wie Shakespeare das auch tut. Und dass er ohne zu kommentieren, ohne zu denunzieren, ohne zu ironisieren – außer Witz, das ist was anderes –, dass er alle möglichen Verhaltensweisen des Menschlichen zeigt.
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