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Idyll mit "Siegfried"

Weniger kontrovers, als im Vorfeld erwartet, hat sich das Konzert des Israel Chamber Orchestras in Bayreuth gestaltet, das als erstes israelisches Ensemble in Bayreuth mit einem Richard-Wagner-Stück gastierte. Die Wahl fiel auf das "Siegfried"-Idyll, "von allen Werken Wagners das harmloseste und leichteste", so Musikkritiker Jörn Florian Fuchs.

Jörn Florian Fuchs im Gespräch |
    Burkhard Müller-Ullrich: Heute Vormittag gab es in Bayreuth, allerdings nicht im Festspielhaus, sondern in der Stadthalle, noch eine prekäre Darbietung, und zwar spielte das Israel Chamber Orchestra, eines der bedeutendsten israelischen Orchester, ein Stück von des wegen seines Antisemitismus in Israel verhassten Richard Wagner. Die "Jerusalem Post" nannte das eine nationale Schande. Der Chefdirigent des Israel Chamber Orchestra, Roberto Paternostro, äußerte sich im Deutschlandradio Kultur zu Richard Wagners Judenhass wie folgt:

    "Das ist weder zu beschönigen, noch zu entschuldigen, und man kann sich die Frage stellen, wie so ein genialer, großartiger Komponist sich zu so einem erbärmlichen Traktat hat hinreißen lassen. Es gibt dafür tausend Entschuldigungsgründe, die einen eigentlich alle nicht interessieren müssen, die Zurückweisung durch Meyerbeer und, was weiß ich, was alles angeführt wird. Ich kann das wie gesagt nicht beschönigen, ich kann nur immer wieder sagen: wir als Musiker - und da bin ich ja nicht der Einzige, der diesen Standpunkt vertritt - sind doch in gewisser Weise der Meinung, dass diese Schriften grauenhaft sind. Die Musik ist unbestritten genial und großartig und gehört ins Repertoire eines jeden vernünftigen und ernsthaft musizierenden Orchesters."

    Müller-Ullrich: So weit der Chefdirigent des Israel Chamber Orchestra, Roberto Paternostro. - Heute Vormittag um elf saßen Sie, Jörn Florian Fuchs, in diesem ach so umstrittenen Konzert. Gab es Zwischenfälle? Von Polizeischutz war ja auch mal die Rede.

    Jörn Florian Fuchs: Nein, es gab keine Zwischenfälle. Das einzig Auffällige ist, dass man erhöhte Sicherheitskontrollen hatte. Das war wie am Flughafen, vielleicht sogar ein bisschen mehr. Ich musste also meine Reisetasche halb auspacken und durfte dann aber, obwohl das erst versprochen war, die doch nicht mit hineinnehmen, musste sie also noch draußen lassen, alles ein bisschen kompliziert, aber das versteht man natürlich.

    Müller-Ullrich: Und was wurde geboten?

    Fuchs: Es wurde ein eigenwilliges Programm geboten. Zunächst gab es die israelische Nationalhymne, wir sind da alle aufgestanden. Dann hat auch noch Michael Hohl, der Oberbürgermeister von Bayreuth, eine ganz kurze knackige Ansprache gehalten. Im Grunde ging es nur darum, die Musiker willkommen zu heißen. Und dann kam zunächst "Prayer", eine recht kurze Komposition eines israelischen Komponisten. Tzvi Avni heißt der, der ist auch schon Mitte 80 inzwischen. Da kommt schon mein kleiner Einwand: das ist eine grauenhafte Kitschmusik, weil es gibt ja solche und solche Komponisten auch in Israel, und jemand wie Chaya Czernowin, die sich explizit in ihrer Klangsprache auch auf den Holocaust bezieht, die wäre meiner Ansicht nach da angemessener gewesen als so eine etwas liebe, ja filmhafte Musik.

    Das weitere Programm waren dann die Rückert-Lieder von Gustav Mahler mit Dietrich Henschel als Solist, der das für eine Streicherbesetzung verkleinert hat. Das, muss ich ganz ehrlich sagen, ist auch nicht so ganz gelungen, auch nicht von der Spielpraxis, die die Musiker da bewiesen haben. Und dann wurde es aber schöner, nämlich die IV. Symphonie, die italienische, von Mendelssohn Bartholdy, die hatte Energie und Pfiff, das hat sehr gut funktioniert. Und dann gab es nach der Pause zwei Stücke noch: "Angelus" von Franz Liszt und als "Rausschmeißer" dann Richard Wagner, nämlich das "Siegfried"-Idyll.

    Müller-Ullrich: Also spielte Wagner nur eine ganz geringe Rolle. Aber natürlich hat er die größte Aufmerksamkeit gefunden. Jetzt sagten Sie, israelische Nationalhymne vorne weg und hinten dran dann Richard Wagner. Das knallt richtig. Hat das die Spannung angeheizt oder hat es rausgenommen?

    Fuchs: Ja also, als man dann merkte, es kommt jetzt langsam der Wagner, da waren wir alle auch etwas unruhig, ehrlich gesagt, und der Dirigent Paternostro hat ungefähr zehn Sekunden schweigend und ganz ruhig vorne gestanden, das fing nicht an. Man sah dann plötzlich zwei Sicherheitsleute hinten laufen. Also man fühlt sich einfach natürlich nicht wohl in so einem Moment. Es passierte aber nichts, sondern es gab dieses "Siegfried"-Idyll. Man muss sagen, es ist von allen Werken Wagners das harmloseste und leichteste. Das hat er ja geschrieben für Cosima, das wurde in Tribschen in der Schweiz uraufgeführt, auf der Treppe zum Geburtstag von Cosima. Also da ist nun überhaupt nichts Inkriminierendes drin und das ist sozusagen die beste und ja freundlichste Wahl, die man, denke ich, machen konnte. Das Stück übrigens ist sehr wienerisch mit breiten Tempi und etwas sämig interpretiert worden. Das Publikum, das am Anfang ein bisschen verhalten war und eher so freundlichen Applaus gespendet hat, hat sich dann aber nach dem "Siegfried"-Idyll doch hinreißen lassen zu ausführlichem Getrampel und Ovationen, und so war das dann doch noch ein Erfolg für dieses Orchester, das sich selbst zwar nennt eines der besten in Israel. Nun muss ich doch sagen, wenn man das Israel Philharmonic Orchestra etwa mit Mehta hier gehabt hätte, das ist von der Qualität doch ein großer Sprung. Aber es war eine Geste, es war ein netter Versuch und insgesamt ist es schon geglückt.

    Müller-Ullrich: Zubin Mehta hat es ja auch versucht, Daniel Barenboim hat es versucht, die beiden wollten Wagner spielen in Israel. Diesmal nicht in Israel, aber von einem israelischen Orchester. Geprobt wurde Wagner auch nicht in Israel, die sind extra früher nach Bayreuth geflogen.

    Fuchs: Richtig. Das war nicht möglich. Es gab offenbar auch dann Morddrohungen. Die Schwierigkeit war, wenn sie in Israel proben, dass das auch nicht geht, da gab es wohl Morddrohungen, um das zu verhindern, dass allein schon geprobt wird. Jetzt kann es tatsächlich sein, dass die Musiker in eine blöde Lage kommen, weil da wird so viel im Moment gehetzt von Fundamentalisten dort in Israel, dass ich dann auch erfahren habe, dass die sehr besorgt sind, und wir hoffen alle natürlich, dass jetzt dieses "Siegfried"-Idyll wirklich ein Idyll bleibt und es da nicht noch irgendwie zu Gewalt kommt.

    Müller-Ullrich: Vielen Dank, Jörn Florian Fuchs, für diesen Bericht aus Bayreuth von dem Versuch, mit dem Israel Chamber Orchestra einen Durchbruch in Sachen Wagner zu erzielen. Am kommenden Sonntag um 14:30 Uhr gibt es in der ARD darüber auch eine aktuelle Reportage zu sehen.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.