Archiv


Idyllische Zauber-Oper

Als Christoph Loy Händels Zauberoper "Alcina" 2002 in Hamburg auf die Bühne brachte, löste seine Inszenierung im Norden einen regelrechten Barock-Boom aus. In München gab es den schon länger: Staatsopernintendant Sir Peter Jonas hatte Monteverdi, Händel und Zeitgenossen regelmäßig auf die Bühne gebracht – nur die "Alcina" fehlte noch im Repertoire. Also holte man Christoph Loy: Seine Sicht auf die Händel-Oper hatte gestern Abend Premiere.

Von Susanne Lettenbauer |
    Vertrauen ist das Zauberwort in Händels Oper Alcina. Ein Vertrauen in die subjektive Wirklichkeit. Dass die liebliche Landschaft mit Zypressen, Weiden, Hügel und Weiher tatsächlich eine Landschaft ist und kein trompe l´oeil auf Leinwand und Pappe. Dass der Mensch gegenüber ein Unbekannter und nicht die Geliebte ist. Doch wann weiß man das so genau. Spätestens seit Matrix könnte alles nur einen Täuschung und der Mensch Gefangener eines mystischen, technischen oder wissenschaftlichen Zaubers sein. Für Christof Loy gibt es deshalb zwei Wirklichkeiten, zwei Räume, von denen nur einer übrig bleiben wird. Den großen Bühnenraum und auf ihm ein kleinerer Raum, die Welt der Zauberin Alcina als Insel in der Wirklichkeit. Ein idyllisches Arkadien in grellweißer Umgebung, dessen Ende man - wenn die lichte Morgenröte von der Dunkelheit verschluckt wird - von Anfang an kennt.

    Für Christof Loy ist das Reich der Alcina, gesungen von der bravourösen Anja Harteros kein Hort der Hölle und wilden Tiere wie bei David Alden in Berlin, sondern ein Elysium der Träume, in dem getanzt wird, in dem geliebt wird und Sinnlichkeit, zur Not eben gewaltsam herbeigezaubert, den Tagesrhythmus bestimmt.

    Die Gegensätze symbolisieren bereits die pastellfarbenen Kostüme des Inselvolkes samt leuchtendroter Prachtrobe der Zauberin gegenüber dem Militarylook der gestrandeten Bradamente und ihres Begleiters Melisso. Den Einbruch der Realität in ihre Traumwelt unterschätzt die gastfreundliche Herrscherin. Sie vertraut auf ihre berückenden Zauberkräfte. In ihren Augen ist es kein Verbrechen, Menschen in Geliebte zu verwandeln, wie den einst gestrandeten Ruggiero, einen hochnäsigen, gelangweilten und selbstsicheren Adligen, lang erwartet und endlich wieder in alter Präsenz in München – Vesselina Kasarova.

    Doch Traumwelten gibt es nicht, so Loys Botschaft des gestrigen Abends. Stück für Stück enthüllt also entzaubert er die Traum-, also Scheinwelt. Die Kostüme, entworfen und mitgebracht aus Hamburg von Herbert Murauer, werden einheitlicher, dunkler, uniformierter. Der hortus conclusus vom Anfang verwandelt sich in eine barocke Wunderkammer mit anatomischen, archäologischen und wissenschaftlichen Exponaten. Die aufgeklärte Entzauberung der Welt am Schnittpunkt zwischen Realität und Wunder. Die Frage ist nur: Will man diese Aufklärung, will Alcina in die Wirklichkeit gestoßen werden. Darum ringt sie ganze vier Stunden lang. Soll sie sich das Wunderbare nehmen lassen, soll sie die Realitäten anerkennen oder darum kämpfen. Loys Alcina ist eine Frau, der es einzig um Anerkennung, Liebe und Geborgenheit geht. Ein erwachsenes Mädchen, das alles dafür tut seine Spielsachen nicht zu verlieren.


    Das in dieser Hinsicht sehr aktuelle Händel-Werk verdankt dieser Lebensentscheidung ihre von Hamburg bis Stuttgart und Berlin ungebrochene Popularität. Hier geht es um die Wahrung des Scheins auf der einen oder das Akzeptieren der Wirklichkeit auf der anderen Seite. Insofern hätte man die Oper auch sehr modern inszenieren können.

    Christof Loy entscheidet sich in München wie in Hamburg für den radikalen Schnitt. Die barocke Welt samt klassischer Tanzeinlagen, von Beate Vollack einstudiert, wird nach und nach verabschiedet, ein langer Weg in die kahle Moderne, auf dem es den Menschen immer wieder zurückdrängt. Ivor Bolton am Pult unterstützt ihn dabei mit klaren Akzenten und verhindert damit das heutzutage oftmals so Dröge der barocktypischen Wiederholungen.

    Zum Schluss steht Alcina allein da zwischen den Wänden ihrer geborstenen Welt. All ihre verzauberten Untertanen sind befreit worden. Bei Christof Loy hinterlässt diese Befreiung einen schalen Beigeschmack. Bei ihm soll man zwar nicht dieser Zauberwelt hinterhertrauern, vergessen darf man sie jedoch nicht.