Gerhard Schröder: Herr Peters, so viel politische Rückendeckung wie derzeit haben die Gewerkschaften schon lange nicht mehr erfahren. Überall ist zu hören, die Löhne müssten steigen. Selbst die Bundeskanzlerin Angela Merkel hat sich in dieser Richtung geäußert. Ist die Zeit der Bescheidenheit jetzt endgültig vorbei?
Jürgen Peters: Es ist schon faszinierend, wie sich viele jetzt beeilen, die wirtschaftliche Lage zu kommentieren. Und es ist ja in der Tat so: Niemand kann die wirtschaftliche Lage in irgend einer Form schwarz malen. Dafür sind die Daten viel zu gut. Und dass die Arbeitnehmer nun ihren Anteil daran haben wollen, ist ja mehr als berechtigt, denn schließlich haben sie ja maßgeblich zu diesem Erfolg beigetragen. Und dass einige Politiker das jetzt deutlich machen, Partei ergreifen - na gut, wir nehmen es gelassen.
Schröder: Wie viel ist denn drin in der kommenden Tarifrunde, die im Frühjahr beginnt? Aus der bayerischen IG Metall, von Herrn Neugebauer, war zu hören, der Spielraum liege bei sechs bis acht Prozent. Ist das realistisch?
Peters: Wir werden jetzt keine Zahlen nennen. Dafür wäre es viel zu früh. Wir werden zeitnah die Forderung miteinander behandeln, das heißt im Januar/Februar. Und wir werden dann die Gespräche mit den Arbeitgebern aufnehmen und dann werden wir sehen, ob die Bereitschaft wirklich da ist, die Leute zu beteiligen, oder ob das nur Lippenbekenntnisse waren.
Schröder: Wenn man auf die Homepage der IG Metall schaut, da äußern Sie sich zu den Rahmenbedingungen. Produktivitätswachstum in der Branche plus Inflation, da kommt man auf über sechs Prozent. Ist das die Marschrichtung?
Peters: Wir haben natürlich immer die gesamtwirtschaftliche Sicht im Blick, und sagen, wir wollen die Preissteigerungsrate ausgeglichen haben. Das ist auch logisch, denn schließlich können die Leute nicht umsonst arbeiten. Und wir wollen natürlich teilhaben an der Produktivität.
Schröder: Nun wird ja zum Januar auch die Mehrwertsteuer erhöht. Werden Sie das in Ihr Kalkül einbeziehen? Muss es da einen Extraschluck aus der Lohnpulle geben?
Peters: Ganz grundsätzlich kann man nur sagen: Das, was die Politik den Menschen zumutet, kann man auch nur politisch bekämpfen. Die Mehrwertsteuer wird preistreibend sein. Da kann man sich jetzt streiten, wie hoch der Preisschub sein wird. Einige vermuten, dass es 1,4 Prozent sein werden. In jedem Fall wird es eine Steigerung der Preise geben, und die Preisentwicklung ist nun mal ein Maßstab auch für die Tarifpolitik. Insoweit findet sich indirekt eine Mehrwertsteuererhöhung natürlich auch in den Forderungen nach höheren Löhnen, Gehältern, Ausbildungsvergütungen wieder.
Schröder: Nun loben Ökonomen, die Lohnzurückhaltung der Gewerkschaften in den vergangenen Jahren sei auch ein Grund für den Aufschwung, den wir jetzt erleben. Bert Rürup, der Vorsitzende des Sachverständigenrates etwa meint, drei Prozent, das sei das oberste der Gefühle, was an Lohnzuwachs möglich sei.
Peters: Die Ökonomen haben den Arbeitnehmern in der Vergangenheit immer Gürtel-enger-schnallen verordnet. Wir haben immer gewarnt, dass unser Problem - in Deutschland allemal - ist, dass wir eine Exportlastigkeit haben. Wir sind Exportweltmeister seit Jahren, ein deutlicher Hinweis, dass wir gar keinen Wettbewerbsnachteil hätten, wie uns einige immer einreden. Wie kann ich einen Wettbewerbsnachteil haben, wenn ich die stärkste Wirtschaftsnation der Welt bin. Wir haben hier ein Problem, auf das wir hinzuweisen nicht müde werden. Wir haben eine hinterherhinkende Binnennachfrage. Die Binnennachfrage ist zu schwach, um einen eventuell nachlassenden Export aufzufangen. Und die Binnennachfrage zu stärken, da gibt es natürlich mehrere Wege. Ein Weg ist die öffentliche Investitionstätigkeit. Der andere Weg ist auch eine aktive Lohn- und Gehaltspolitik. Und da werden wir uns 2007 bemühen.
Schröder: Die Europäische Zentralbank betrachtet das Ganze von der anderen Seite. Die sagt, wenn die Löhne zu stark steigen, dann treibt das die Inflation, dann müssen die Leitzinsen erhöht werden. Kann Ihnen das egal sein?
Peters: Also, ich glaube, dass auch der ökonomische Sachverstand in diesen Bereichen groß genug ist zu sehen, dass eine Lohnerhöhung von drei Prozent bei der Metall- und Elektroindustrie auf einen Anteil von 20 Prozent fällt. Also, wenn wir es in 2006 geschafft haben, die Löhne und Gehälter um drei Prozent anzuheben, dann ist es eine tatsächliche Kostenbelastung von eben nur 0,8 Prozent gewesen. Daraus also eine Inflation abzuleiten, halte ich für abenteuerlich.
Schröder: Drei Prozent in 2006, ist das aus Ihrer Sicht, rückblickend, eine angemessene Beteiligung der Beschäftigten am Aufschwung, oder gibt es da noch einen Nachholfaktor für die kommende Tarifrunde?
Peters: Ich rede nicht vom Nachholfaktor. Ich glaube, dass das eine gut platzierte Hausnummer war. Die Konjunktur ist besser gewesen als wir vermutet haben. Das gebe ich auch zu. Deshalb steigen natürlich auch die Erwartungen an 2007. Sie sehen ja alle miteinander, dass es den Unternehmen, zumal den Unternehmen der Metall- und Elektroindustrie, außerordentlich gut geht. Da will ich immer die weg lassen, denen es nicht so gut geht. Das ist nun mal in der Welt so. Aber wir können uns ja nicht nach denen richten, die jetzt das schwächste Schiff sind, sondern wir wollen schon den mittleren Gang sehen. Und da kann man durch die Bank sagen, den Unternehmen geht es gut bis sehr gut. Einige machen keinen Hehl daraus. Sie lassen sich ausloben, auch durch Zusatzprämien, durch die Erhöhung ihrer eigenen Bezüge. Ja Herrgottsdonnerwetter, wenn unsere Leute das sehen, dass die sich alle bedienen, dann sollen sie jetzt die Lohnzurückhaltung üben? Das ist doch ein schlechter Scherz.
Schröder: Sie haben das Problem angesprochen. Nicht allen Betrieben geht es gleichermaßen gut. Einige verdienen ausgesprochen gut, andere hangeln sich am Abgrund entlang. Können Sie diesem Problem ganz aus dem Weg gehen? Oder ist eine größere Flexibilisierung notwendig, dass sich die Lohnzuwächse stärker am Ergebnis des einzelnen Betriebes orientieren müssen?
Peters: Wir haben noch nie daneben gestanden, wenn ein Unternehmen Schwierigkeiten hatte. Wir haben auch in der Vergangenheit immer den Unternehmen unter die Arme gegriffen. Und wenn der Tarifvertrag mit helfen konnte, die Karre aus dem Dreck zu ziehen, dann haben wir uns da auch bemüht. Aber man muss unterscheiden. Wir machen eine Tarifpolitik, die nicht eine zusätzliche Konkurrenznummer werden darf. Nun haben wir seit geraumer Zeit abweichende Regelungen für Betriebe zugelassen, denen es punktuell, temporär schlechter geht. Wir haben uns schwer getan damit, gar keine Frage. Aber wir machen das. Und dadurch, ist das Argument entschärft, dass man jetzt hier noch zusätzlich nachdenken muss, wie man den eventuell nicht so gut laufenden Unternehmen noch zusätzliche Hilfestellung gewährt.
Schröder: Herr Peters, die deutsche Wirtschaft wächst derzeit so stark wie seit über fünf Jahren nicht mehr. Die eigentliche Sensation ist aber die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt. Seit dem Februar 2006 ist die Arbeitslosigkeit um eine Million gesunken. Ein Erfolg der großen Koalition?
Peters: Also, ich glaube, dass da einige sich gerne diese Federn an den Hut stecken möchten. Die Konjunktur hat in der Tat dazu geführt, dass die bis auf die Skelette zurück gemagerten Belegschaften wieder aufgebaut werden mussten, weil man sonst die zusätzliche Produktion gar nicht hätte fahren können. Das gilt für die Metallwirtschaft, die im Besonderen hier einen Zuwachs zu verzeichnen hat, das gilt auch für andere Branchen, auch die Dienstleistungsbranche. Jetzt zu sagen, das sei ein Erfolg der großen Koalition, das steht mir nicht an, darüber zu richten. Ich glaube, dass weder die Maßnahmen der Arbeitsmarktpolitik noch die Rentenpolitik einen maßgeblichen Beitrag dazu hätte leisten können.
Schröder: Viele Ökonomen meinen, eine höhere Flexibilität auf dem Arbeitsmarkt feststellen zu können. Und sie führen das zurück auf die Reformen noch unter rot-grüner Ägide, unter Bundeskanzler Schröder. Haben die Hartz-Reformen zu mehr Beweglichkeit geführt.
Peters: Bei über vier Millionen Menschen, die als arbeitslos registriert sind, fällt es mir schwer, diesem Satz auch nur eine Bedeutung beizumessen. Wir haben in der Tat folgendes festzustellen: Versicherungspflichtige Beschäftigung wird umgewandelt in Mini-Jobs, in Midi-Jobs, also in unsichere Beschäftigungsverhältnisse, und das in einem großen Ausmaß. Jetzt haben wir, Gott sei Dank, wieder einen Zuwachs auch von versicherungspflichtig Beschäftigten. Wir haben über drei Millionen so genannte prekäre Beschäftigungsverhältnisse. Damit haben wir das Beschäftigungsvolumen aber nicht ausgeweitet, sondern haben nur reguläre Beschäftigung aufgeteilt in unsichere Beschäftigungsverhältnisse.
Schröder: Aber unverkennbar ist doch, dass der Arbeitsmarkt jetzt viel schneller auf das Wachstum reagiert. Schneller als noch vor einigen Jahren. Da galt als Schwelle für den Beschäftigungsaufbau ein Wachstum von zwei Prozent. Jetzt geht das schneller. Wie erklären Sie das?
Peters: Also, entschuldigen Sie mal. Wenn wir zu besetzende Arbeitsplätze haben und haben vier Millionen Menschen, die Arbeit suchen, dann geht das Ruck-Zuck, dann haben wir die Arbeitsplätze besetzt. Ich weiß gar nicht, was jetzt für eine Mär durch die Gegend geschoben werden soll. Wenn wir Arbeitsplätze zu besetzen haben, dann sind die in Null-Komma-Nichts besetzt. Wenn jetzt jemand etwas anderes behauptet, dann soll er beweisen, was denn dahinter stecken soll. Ich bin immer fasziniert, dass man die Flexibilität als einen Maßstab nennt und den Arbeitsmarkt flexibilisiert, wenn gar kein Arbeitsplatz da ist. Ich kann einen Arbeitslosen so lange drangsalieren, bis er blutet. Aber wenn ich ihm keinen Arbeitsplatz anbieten kann, nützt das überhaupt nichts. Dann habe ich ihn nur noch zusätzlich beleidigt. Was uns fehlt, sind Arbeitsplätze und nicht etwa Arbeitsmarktinstrumente, wie ich Arbeitslose noch weiter drangsalieren kann.
Schröder: Im Kampf gegen Hartz IV haben Sie einen neuen Bündnispartner. Der nordrhein-westfälische Regierungschef Jürgen Rüttgers macht sich dafür stark, dass zum Beispiel das Arbeitslosengeld I für ältere Beschäftigte länger gezahlt wird. Wie sehen Sie das? Meint er es ehrlich oder ist das Taktik?
Peters: Ich kann nur sagen, das ist richtig. Und ich will an die Historie erinnern. Die Hartz-Kommission hatte sich nach langer kontroverser Diskussion einstimmig dafür entschieden, die Bezugsdauer für Arbeitslosengeld nicht zu verkürzen, und die SPD war auch dieser Auffassung. Und im Vermittlungsausschuss ist dann das passiert, was wir heute wissen, dass die Bezugsdauer verkürzt wurde, offenbar auf Betreiben der CDU. Wenn jetzt ein Ministerpräsident die Erfahrung macht, dass das Unrecht ist und er das Unrecht korrigieren will, dann hat er uns selbstverständlich an seiner Seite. Wir halten es allerdings für schlecht und nicht hinnehmbar, wenn das finanziert werden soll durch die Kürzung der Gelder für Jüngere. Denn das wäre ja nur eine Umverteilung. Das würde einen Generationenkonflikt provozieren. Das wäre in der Tat dann Scharlatanerie. Wir sind dafür, die Bezugsdauer wieder zu verlängern. Aber das muss anders finanziert werden. Wir selbst haben gesagt, es ist überhaupt nicht erforderlich, den Beitrag zur Arbeitslosenversicherung wegen der guten Kassenlage der Bundesagentur noch weiter von 4,5 auf 4,2 Prozent abzusenken. Diesen Spielraum hätten wir nutzen können, um die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes zu verlängern. Das wäre ein solidarischer Akt.
Schröder: Die SPD hat sich explizit gegen diesen Vorschlag von Rüttgers ausgesprochen. Nun gibt es weitere Konfliktpunkte, etwa die Rente mit 67. Wie zerrüttet ist das Verhältnis zwischen Gewerkschaft und SPD?
Peters: Manche Dinge kann ich nicht mehr begreifen. Ich begreife sie von der Logik her nicht, von der Ökonomie nicht, ich begreife sie auch nicht von der solidarischen Grundhaltung, die ich unterstelle bei allen Arbeitnehmervertretern. Rente mit 67: Wenn wir hier vier Millionen offene Stellen hätten, müssten wir als Gewerkschaften sicherlich eine andere Argumentation haben. Vielleicht könnten wir gar nicht dagegen argumentieren, denn vier Millionen offene Stellen, das bedeutet, wir müssten von woanders Arbeitskräfte holen, oder aber tatsächlich die Arbeitszeit verlängern, in dem Fall die Lebensarbeitszeit. Wir haben aber keine vier Millionen offene Stellen. Und die haben wir auch morgen nicht und übermorgen nicht, sondern wir haben vier Millionen registrierte Arbeitslose und sieben Millionen fehlende Arbeitsplätze.
Schröder: Aber die Rente mit 67 soll ja erst 2030 voll greifen. Bis dahin ist ja noch Zeit.
Peters: Ja, ja. Und bis dahin erzählen wir uns andere Märchen. Wer erzählt mir denn, dass wir in 50 Jahren Vollbeschäftigung haben, wo jeder weiß, dass das Vollbeschäftigungsthema außerordentlich schwierig ist, jedenfalls mit dem ersten Arbeitsmarkt nicht zu erreichen sein wird. Das weiß jeder, und trotzdem wird heute eine falsche Entscheidung getroffen.
Schröder: Aber können Sie den demografischen Wandel denn völlig ignorieren? Wenn die Lebenserwartung steigt, wenn diejenigen, die das Rentensystem finanzieren, immer weniger werden, dann können die doch nicht noch weniger arbeiten.
Peters: Das ist doch kein Finanzierungsthema, die zwei Jahre hinten dran zu hängen. Wer das den Leuten vorrechnet, der rechnet denen aber etwas vor, was hinten und vorne nicht stimmen kann. Denn derjenige, der zwei Jahre länger arbeitet, hat zwei Jahre länger Bezüge, die er dann auch bekäme. Wir wissen aber, dass die Leute gar nicht beschäftigt werden können, jedenfalls ein Großteil nicht. Aus arbeitsmarktpolitischen Gründen nicht oder weil die Schwere der Arbeit das gar nicht zulässt. Wir haben heute Rentenaustritte mit 60, der überwiegende Teil mit 63. Die erreichen schon die 65 nicht. Mit 67 die Rente zu beziehen bedeutet für diesen Personenkreis eine massive zusätzliche Rentenkürzung. Das heißt, es ist ein Rentenkürzungsprogramm und nichts anders. Und weil das so ist, wenden wir uns dagegen.
Schröder: Vorausgesetzt, es gibt keine neuen Jobs. Aber kann die Antwort sein, die Lebensarbeitszeit weiter zu verkürzen, zum Beispiel durch die Altersteilzeit? Sie wollen ja, dass diese Regelung verlängert wird.
Peters: Wir sehen, dass eine Flexibilität auch bei dem Eintritt in die Rente ins Auge gefasst werden muss. Und wir sagen, derjenige, der eine 40jährige Versicherungszeit nachweisen kann, der muss ohne Abschläge in Rente gehen können. Und wir wollen zweitens einen zweiten flexiblen Austritt aus dem Arbeitsleben, das ist die Altersteilzeit oder eine wertgleiche Regelung, weil wir eben sehen, dass es Leute gibt, die das gar nicht schaffen können. Und darüber muss man reden. Da ist die Tarifpolitik gefordert, da ist der Staat gefordert, da ist die Bundesanstalt gefordert.
Schröder: Aber realistisch gesehen: Die Rente mit 67 - haben Sie tatsächlich Hoffnung, die noch verhindern zu können?
Peters: Ich will nicht bestreiten, dass es Leute gibt, die bis 67 arbeiten können -, die Frage steht aber für uns nicht, weil wir sie aus arbeitsmarktpolitischen und aus inhaltlichen, humanen Gründen nicht sehen. Ob wir sie verhindern können, das ist für uns jetzt nicht die Frage. Wir werden im Augenblick die Auseinandersetzung nicht führen, weil wir natürlich den normalen Rentenaustritt bei 65 beibehalten wollen und die anderen Ausstiegsszenarien brauchen.
Schröder: Herr Peters, wann wird es einen gesetzlichen Mindestlohn in Deutschland geben?
Peters: Ich hoffe, bald. Sehen Sie mal, wir sind neben einem anderen kleinen Land - Zypern - das einzige, das den Mindestlohn nicht eingeführt hat. Das sollte uns mal nachdenklich stimmen. Wir sehen Bereiche, wo Löhne sich entwickelt haben, die nicht mehr akzeptabel sind, die sogar menschenunwürdig sind. Wir wollen vernünftige Löhne. Wir wollen hier eines eindämmen: Lohndumping. Und wir wollen die Zusatzprofite von zum Teil ganz fragwürdigen Unternehmen begrenzen.
Schröder: Kritiker sagen, Mindestlöhne bedeuten gerade für gering Qualifizierte weniger Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Denn diese Mindestlöhne zahlt dann niemand.
Peters: Das ist absoluter Unsinn und nirgendwo bewiesen, im Gegenteil. Wenn wir England sehen, die mit einem Mindestlohn fahren, der über 7,50 Euro liegt, die haben einen Zuwachs an Beschäftigung. Übrigens andere Länder auch. Und wenn ich die USA nehme, die man uns ja immer vorhält, dann hat es mich schon sehr verwundert, dass in Chicago der Stadtrat gefordert hat, den Mindestlohn bei den Verkäuferinnen auf mindestens 10 Dollar zu setzen pro Stunde, denn das andere sei nicht mehr würdig und eines Arbeitnehmers nicht mehr angemessen.
Schröder: Es gibt da noch ein Problem. In der großen Koalition gibt es ja auch die Idee, den Niedriglohnsektor auszuweiten durch einen Kombilohn. Gleichzeitig will die SPD einen Mindestlohn. Geht beides zusammen oder schließt sich das aus?
Peters: Theoretisch schließt sich das nicht aus. Die Frage ist nur: Warum sollten wir den Unternehmen gestatten, niedrige Löhne auszureichen, und der Staat soll dann drauf zahlen, damit der Lohn eine Höhe erreicht, womit Menschen leben können? Das gibt doch keinen Sinn. Warum soll das Bewachungsgewerbe in Deutschland mit Niedrigstlöhnen die Leute abspeisen? Warum eigentlich? Ist doch nicht einsichtig. Es gibt auch gar keinen ökonomischen Druck, sondern der wird hier konstruiert. Hier wird die Not der Menschen ausgenutzt. Wir haben hier schlicht einen erpresserischen Zustand. Durch die Massenarbeitslosigkeit gibt es Leute, die sich für jeden Lohn verdingen.
Schröder: Sind da raffgierige Unternehmer schuld, oder ist es schlicht eine Folge des globalisierten Wettbewerbs? Wir stehen in Lohnkonkurrenz zu Ländern, in denen solche Löhne gezahlt werde.
Peters: Ja, deshalb müssen wir diese Lohnkonkurrenz, diese Schmutzkonkurrenz eindämmen. Und das geht gemeinhin mit Mindestlöhnen. Ich unterstelle nicht, dass jeder Unternehmer raffgierig ist, überhaupt nicht. Ich unterstelle ganz im Gegenteil, dass viele eine vernünftige Art und Weise des Umgangs mit den Menschen suchen. Aber wenn einige den Niedriglohnsektor noch proklamieren und meinen, dass Löhne mit 3,50 Euro die richtige Hausnummer sind, dann müssen wir uns nicht wundern, wenn das das Klima versaut.
Schröder: Wenn Sie eine Zwischenbilanz versuchen zur Arbeit der großen Koalition: Auf der einen Seite haben wir die Rente mit 67, wir haben die Gesundheitsreform, wir haben höhere Steuern und Abgaben im nächsten Jahr, auf der anderen Seite aber eine Wirtschaft, die sehr gut floriert. Wie fällt da Ihr Urteil aus über die Arbeit der großen Koalition?
Peters: Wir haben das Projekt Rot-Grün damals massiv kritisiert, haben in der Agenda 2010 einen Weg gesehen, der nicht im Interesse der Arbeitnehmer ist. Ich habe voller Staunen festgestellt, dass diese Regierung an der Politik der Agenda 2010 festhalten will und sie konsequent umsetzen will. Also haben wir hier einen Konflikt. Und wenn ich ein Urteil fällen sollte: die Projekte, die sich dahinter verbergen, sind alles Projekte, die die Schieflage in der Gesellschaft nicht korrigieren, sondern diese Schieflage sogar noch verschärfen. Hier ist eine Umverteilung größten Stils im Gang. Die Kosten werden von den Arbeitgebern genommen und werden weitergereicht zu den Arbeitnehmern. Wir sehen in der Rentenpolitik die Schieflage, wir sehen in der Gesundheitspolitik etwas auf uns zukommen, was erhebliche Belastung bedeutet. Uns leuchtet überhaupt nicht ein, die Arbeitgeberbeiträge zu begrenzen und bei den Arbeitnehmern dann entweder die Beiträge zu erhöhen oder eine Leistungskürzung billigend in Kauf zu nehmen. Und in der Steuerpolitik ist die Schieflage ja offenkundig. Wir haben die Mehrwertsteuererhöhung, die die Leute belasten wird, insbesondere die kleinen und mittleren Einkommen, und wir haben auf der anderen Seite eine gewaltige Steuererleichterung für die Unternehmen. Erneut ein Umfang von 30 Milliarden, wo man jetzt Gegenrechnungen macht, was man einsparen wird bei bisherigen Vergünstigungen für Unternehmen und glaubt, damit 20 Milliarde wieder reinzuholen. Alles das belastet die Arbeitnehmerhaushalte.
Schröder: Müssen Sie einräumen, dass die Möglichkeiten der Einflussnahme der Gewerkschaften, auch der IG Metall, zunehmend schwinden? Ihnen fehlen Bündnispartner auf politischer Ebene. Gleichzeitig bröckeln auch die Mitgliederzahlen weiterhin.
Peters: Also, wissen Sie, den Zusammenhang zu konstruieren mit den nicht so erfreulichen Mitgliederentwicklungen, das wird ja gerne von Journalisten gemacht. Tatsache ist doch, wenn im Osten ganze Regionen wegbrechen, dass dann die Mitgliederzahl nicht zu halten sein wird, das müsste jedem klar sein. Das hat mit Politik nichts zu tun, sondern es hat etwas mit der Ökonomie zu tun.
Schröder: Aber nicht nur in Ostdeutschland schwinden doch die Mitgliederzahlen. Kann es nicht vielleicht auch sein, dass die IG Metall nicht richtig aufgestellt ist? Es gibt ja zum Beispiel die Forderung, dass die gewerkschaftliche Arbeit stärker in die Betriebe verlagert werden müsste. Weg von der Zentrale in die Betriebe - ist das die Marschroute der Zukunft?
Peters: Das haben wir ja eigentlich immer gehabt, das ist ja nicht etwas Neues. Tatsache ist allerdings, dass wir mit den abweichenden Regelungen in der Tariflandschaft sehr viel stärker und konkreter und auch drängender mit den Belegschaften darüber reden, was Tarifpolitik heißt. Und in dieser Auseinandersetzung, wo sie viel stärker als vorher mit einbezogen sind - insoweit ist schon eine Änderung in der Betriebspolitik zu verzeichnen -, haben wir interessanterweise eine stärkere Hinwendung zu den Gewerkschaften und auch ein Mitgliederzuwachs. Obwohl wir dort oftmals abweichende Regelungen nicht verhindern konnten.
Schröder: Herr Peters, im Herbst wird die Führungsspitze der IG Metall neu besetzt. Können Sie ausschließe, dass Sie noch einmal antreten?
Peters: Meine Lebensplanung ist das Eine, die habe ich konkretisiert. Aber sollte etwas gegen meine Lebensplanung sich entwickeln, dann wird man darüber zeitnah zu reden haben, aber nicht heute.
Schröder: Das heißt, wenn Sie gerufen werden, dann würden Sie sich nicht verschließen?
Peters: Noch einmal: Ich habe überhaupt keinen Kommentar abzugeben. Ich habe, als wir 2003 die Regelung getroffen haben, habe ich diese Aussage gemacht, und bei dieser Aussage bleibt es bis zum Schluss.
Jürgen Peters: Es ist schon faszinierend, wie sich viele jetzt beeilen, die wirtschaftliche Lage zu kommentieren. Und es ist ja in der Tat so: Niemand kann die wirtschaftliche Lage in irgend einer Form schwarz malen. Dafür sind die Daten viel zu gut. Und dass die Arbeitnehmer nun ihren Anteil daran haben wollen, ist ja mehr als berechtigt, denn schließlich haben sie ja maßgeblich zu diesem Erfolg beigetragen. Und dass einige Politiker das jetzt deutlich machen, Partei ergreifen - na gut, wir nehmen es gelassen.
Schröder: Wie viel ist denn drin in der kommenden Tarifrunde, die im Frühjahr beginnt? Aus der bayerischen IG Metall, von Herrn Neugebauer, war zu hören, der Spielraum liege bei sechs bis acht Prozent. Ist das realistisch?
Peters: Wir werden jetzt keine Zahlen nennen. Dafür wäre es viel zu früh. Wir werden zeitnah die Forderung miteinander behandeln, das heißt im Januar/Februar. Und wir werden dann die Gespräche mit den Arbeitgebern aufnehmen und dann werden wir sehen, ob die Bereitschaft wirklich da ist, die Leute zu beteiligen, oder ob das nur Lippenbekenntnisse waren.
Schröder: Wenn man auf die Homepage der IG Metall schaut, da äußern Sie sich zu den Rahmenbedingungen. Produktivitätswachstum in der Branche plus Inflation, da kommt man auf über sechs Prozent. Ist das die Marschrichtung?
Peters: Wir haben natürlich immer die gesamtwirtschaftliche Sicht im Blick, und sagen, wir wollen die Preissteigerungsrate ausgeglichen haben. Das ist auch logisch, denn schließlich können die Leute nicht umsonst arbeiten. Und wir wollen natürlich teilhaben an der Produktivität.
Schröder: Nun wird ja zum Januar auch die Mehrwertsteuer erhöht. Werden Sie das in Ihr Kalkül einbeziehen? Muss es da einen Extraschluck aus der Lohnpulle geben?
Peters: Ganz grundsätzlich kann man nur sagen: Das, was die Politik den Menschen zumutet, kann man auch nur politisch bekämpfen. Die Mehrwertsteuer wird preistreibend sein. Da kann man sich jetzt streiten, wie hoch der Preisschub sein wird. Einige vermuten, dass es 1,4 Prozent sein werden. In jedem Fall wird es eine Steigerung der Preise geben, und die Preisentwicklung ist nun mal ein Maßstab auch für die Tarifpolitik. Insoweit findet sich indirekt eine Mehrwertsteuererhöhung natürlich auch in den Forderungen nach höheren Löhnen, Gehältern, Ausbildungsvergütungen wieder.
Schröder: Nun loben Ökonomen, die Lohnzurückhaltung der Gewerkschaften in den vergangenen Jahren sei auch ein Grund für den Aufschwung, den wir jetzt erleben. Bert Rürup, der Vorsitzende des Sachverständigenrates etwa meint, drei Prozent, das sei das oberste der Gefühle, was an Lohnzuwachs möglich sei.
Peters: Die Ökonomen haben den Arbeitnehmern in der Vergangenheit immer Gürtel-enger-schnallen verordnet. Wir haben immer gewarnt, dass unser Problem - in Deutschland allemal - ist, dass wir eine Exportlastigkeit haben. Wir sind Exportweltmeister seit Jahren, ein deutlicher Hinweis, dass wir gar keinen Wettbewerbsnachteil hätten, wie uns einige immer einreden. Wie kann ich einen Wettbewerbsnachteil haben, wenn ich die stärkste Wirtschaftsnation der Welt bin. Wir haben hier ein Problem, auf das wir hinzuweisen nicht müde werden. Wir haben eine hinterherhinkende Binnennachfrage. Die Binnennachfrage ist zu schwach, um einen eventuell nachlassenden Export aufzufangen. Und die Binnennachfrage zu stärken, da gibt es natürlich mehrere Wege. Ein Weg ist die öffentliche Investitionstätigkeit. Der andere Weg ist auch eine aktive Lohn- und Gehaltspolitik. Und da werden wir uns 2007 bemühen.
Schröder: Die Europäische Zentralbank betrachtet das Ganze von der anderen Seite. Die sagt, wenn die Löhne zu stark steigen, dann treibt das die Inflation, dann müssen die Leitzinsen erhöht werden. Kann Ihnen das egal sein?
Peters: Also, ich glaube, dass auch der ökonomische Sachverstand in diesen Bereichen groß genug ist zu sehen, dass eine Lohnerhöhung von drei Prozent bei der Metall- und Elektroindustrie auf einen Anteil von 20 Prozent fällt. Also, wenn wir es in 2006 geschafft haben, die Löhne und Gehälter um drei Prozent anzuheben, dann ist es eine tatsächliche Kostenbelastung von eben nur 0,8 Prozent gewesen. Daraus also eine Inflation abzuleiten, halte ich für abenteuerlich.
Schröder: Drei Prozent in 2006, ist das aus Ihrer Sicht, rückblickend, eine angemessene Beteiligung der Beschäftigten am Aufschwung, oder gibt es da noch einen Nachholfaktor für die kommende Tarifrunde?
Peters: Ich rede nicht vom Nachholfaktor. Ich glaube, dass das eine gut platzierte Hausnummer war. Die Konjunktur ist besser gewesen als wir vermutet haben. Das gebe ich auch zu. Deshalb steigen natürlich auch die Erwartungen an 2007. Sie sehen ja alle miteinander, dass es den Unternehmen, zumal den Unternehmen der Metall- und Elektroindustrie, außerordentlich gut geht. Da will ich immer die weg lassen, denen es nicht so gut geht. Das ist nun mal in der Welt so. Aber wir können uns ja nicht nach denen richten, die jetzt das schwächste Schiff sind, sondern wir wollen schon den mittleren Gang sehen. Und da kann man durch die Bank sagen, den Unternehmen geht es gut bis sehr gut. Einige machen keinen Hehl daraus. Sie lassen sich ausloben, auch durch Zusatzprämien, durch die Erhöhung ihrer eigenen Bezüge. Ja Herrgottsdonnerwetter, wenn unsere Leute das sehen, dass die sich alle bedienen, dann sollen sie jetzt die Lohnzurückhaltung üben? Das ist doch ein schlechter Scherz.
Schröder: Sie haben das Problem angesprochen. Nicht allen Betrieben geht es gleichermaßen gut. Einige verdienen ausgesprochen gut, andere hangeln sich am Abgrund entlang. Können Sie diesem Problem ganz aus dem Weg gehen? Oder ist eine größere Flexibilisierung notwendig, dass sich die Lohnzuwächse stärker am Ergebnis des einzelnen Betriebes orientieren müssen?
Peters: Wir haben noch nie daneben gestanden, wenn ein Unternehmen Schwierigkeiten hatte. Wir haben auch in der Vergangenheit immer den Unternehmen unter die Arme gegriffen. Und wenn der Tarifvertrag mit helfen konnte, die Karre aus dem Dreck zu ziehen, dann haben wir uns da auch bemüht. Aber man muss unterscheiden. Wir machen eine Tarifpolitik, die nicht eine zusätzliche Konkurrenznummer werden darf. Nun haben wir seit geraumer Zeit abweichende Regelungen für Betriebe zugelassen, denen es punktuell, temporär schlechter geht. Wir haben uns schwer getan damit, gar keine Frage. Aber wir machen das. Und dadurch, ist das Argument entschärft, dass man jetzt hier noch zusätzlich nachdenken muss, wie man den eventuell nicht so gut laufenden Unternehmen noch zusätzliche Hilfestellung gewährt.
Schröder: Herr Peters, die deutsche Wirtschaft wächst derzeit so stark wie seit über fünf Jahren nicht mehr. Die eigentliche Sensation ist aber die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt. Seit dem Februar 2006 ist die Arbeitslosigkeit um eine Million gesunken. Ein Erfolg der großen Koalition?
Peters: Also, ich glaube, dass da einige sich gerne diese Federn an den Hut stecken möchten. Die Konjunktur hat in der Tat dazu geführt, dass die bis auf die Skelette zurück gemagerten Belegschaften wieder aufgebaut werden mussten, weil man sonst die zusätzliche Produktion gar nicht hätte fahren können. Das gilt für die Metallwirtschaft, die im Besonderen hier einen Zuwachs zu verzeichnen hat, das gilt auch für andere Branchen, auch die Dienstleistungsbranche. Jetzt zu sagen, das sei ein Erfolg der großen Koalition, das steht mir nicht an, darüber zu richten. Ich glaube, dass weder die Maßnahmen der Arbeitsmarktpolitik noch die Rentenpolitik einen maßgeblichen Beitrag dazu hätte leisten können.
Schröder: Viele Ökonomen meinen, eine höhere Flexibilität auf dem Arbeitsmarkt feststellen zu können. Und sie führen das zurück auf die Reformen noch unter rot-grüner Ägide, unter Bundeskanzler Schröder. Haben die Hartz-Reformen zu mehr Beweglichkeit geführt.
Peters: Bei über vier Millionen Menschen, die als arbeitslos registriert sind, fällt es mir schwer, diesem Satz auch nur eine Bedeutung beizumessen. Wir haben in der Tat folgendes festzustellen: Versicherungspflichtige Beschäftigung wird umgewandelt in Mini-Jobs, in Midi-Jobs, also in unsichere Beschäftigungsverhältnisse, und das in einem großen Ausmaß. Jetzt haben wir, Gott sei Dank, wieder einen Zuwachs auch von versicherungspflichtig Beschäftigten. Wir haben über drei Millionen so genannte prekäre Beschäftigungsverhältnisse. Damit haben wir das Beschäftigungsvolumen aber nicht ausgeweitet, sondern haben nur reguläre Beschäftigung aufgeteilt in unsichere Beschäftigungsverhältnisse.
Schröder: Aber unverkennbar ist doch, dass der Arbeitsmarkt jetzt viel schneller auf das Wachstum reagiert. Schneller als noch vor einigen Jahren. Da galt als Schwelle für den Beschäftigungsaufbau ein Wachstum von zwei Prozent. Jetzt geht das schneller. Wie erklären Sie das?
Peters: Also, entschuldigen Sie mal. Wenn wir zu besetzende Arbeitsplätze haben und haben vier Millionen Menschen, die Arbeit suchen, dann geht das Ruck-Zuck, dann haben wir die Arbeitsplätze besetzt. Ich weiß gar nicht, was jetzt für eine Mär durch die Gegend geschoben werden soll. Wenn wir Arbeitsplätze zu besetzen haben, dann sind die in Null-Komma-Nichts besetzt. Wenn jetzt jemand etwas anderes behauptet, dann soll er beweisen, was denn dahinter stecken soll. Ich bin immer fasziniert, dass man die Flexibilität als einen Maßstab nennt und den Arbeitsmarkt flexibilisiert, wenn gar kein Arbeitsplatz da ist. Ich kann einen Arbeitslosen so lange drangsalieren, bis er blutet. Aber wenn ich ihm keinen Arbeitsplatz anbieten kann, nützt das überhaupt nichts. Dann habe ich ihn nur noch zusätzlich beleidigt. Was uns fehlt, sind Arbeitsplätze und nicht etwa Arbeitsmarktinstrumente, wie ich Arbeitslose noch weiter drangsalieren kann.
Schröder: Im Kampf gegen Hartz IV haben Sie einen neuen Bündnispartner. Der nordrhein-westfälische Regierungschef Jürgen Rüttgers macht sich dafür stark, dass zum Beispiel das Arbeitslosengeld I für ältere Beschäftigte länger gezahlt wird. Wie sehen Sie das? Meint er es ehrlich oder ist das Taktik?
Peters: Ich kann nur sagen, das ist richtig. Und ich will an die Historie erinnern. Die Hartz-Kommission hatte sich nach langer kontroverser Diskussion einstimmig dafür entschieden, die Bezugsdauer für Arbeitslosengeld nicht zu verkürzen, und die SPD war auch dieser Auffassung. Und im Vermittlungsausschuss ist dann das passiert, was wir heute wissen, dass die Bezugsdauer verkürzt wurde, offenbar auf Betreiben der CDU. Wenn jetzt ein Ministerpräsident die Erfahrung macht, dass das Unrecht ist und er das Unrecht korrigieren will, dann hat er uns selbstverständlich an seiner Seite. Wir halten es allerdings für schlecht und nicht hinnehmbar, wenn das finanziert werden soll durch die Kürzung der Gelder für Jüngere. Denn das wäre ja nur eine Umverteilung. Das würde einen Generationenkonflikt provozieren. Das wäre in der Tat dann Scharlatanerie. Wir sind dafür, die Bezugsdauer wieder zu verlängern. Aber das muss anders finanziert werden. Wir selbst haben gesagt, es ist überhaupt nicht erforderlich, den Beitrag zur Arbeitslosenversicherung wegen der guten Kassenlage der Bundesagentur noch weiter von 4,5 auf 4,2 Prozent abzusenken. Diesen Spielraum hätten wir nutzen können, um die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes zu verlängern. Das wäre ein solidarischer Akt.
Schröder: Die SPD hat sich explizit gegen diesen Vorschlag von Rüttgers ausgesprochen. Nun gibt es weitere Konfliktpunkte, etwa die Rente mit 67. Wie zerrüttet ist das Verhältnis zwischen Gewerkschaft und SPD?
Peters: Manche Dinge kann ich nicht mehr begreifen. Ich begreife sie von der Logik her nicht, von der Ökonomie nicht, ich begreife sie auch nicht von der solidarischen Grundhaltung, die ich unterstelle bei allen Arbeitnehmervertretern. Rente mit 67: Wenn wir hier vier Millionen offene Stellen hätten, müssten wir als Gewerkschaften sicherlich eine andere Argumentation haben. Vielleicht könnten wir gar nicht dagegen argumentieren, denn vier Millionen offene Stellen, das bedeutet, wir müssten von woanders Arbeitskräfte holen, oder aber tatsächlich die Arbeitszeit verlängern, in dem Fall die Lebensarbeitszeit. Wir haben aber keine vier Millionen offene Stellen. Und die haben wir auch morgen nicht und übermorgen nicht, sondern wir haben vier Millionen registrierte Arbeitslose und sieben Millionen fehlende Arbeitsplätze.
Schröder: Aber die Rente mit 67 soll ja erst 2030 voll greifen. Bis dahin ist ja noch Zeit.
Peters: Ja, ja. Und bis dahin erzählen wir uns andere Märchen. Wer erzählt mir denn, dass wir in 50 Jahren Vollbeschäftigung haben, wo jeder weiß, dass das Vollbeschäftigungsthema außerordentlich schwierig ist, jedenfalls mit dem ersten Arbeitsmarkt nicht zu erreichen sein wird. Das weiß jeder, und trotzdem wird heute eine falsche Entscheidung getroffen.
Schröder: Aber können Sie den demografischen Wandel denn völlig ignorieren? Wenn die Lebenserwartung steigt, wenn diejenigen, die das Rentensystem finanzieren, immer weniger werden, dann können die doch nicht noch weniger arbeiten.
Peters: Das ist doch kein Finanzierungsthema, die zwei Jahre hinten dran zu hängen. Wer das den Leuten vorrechnet, der rechnet denen aber etwas vor, was hinten und vorne nicht stimmen kann. Denn derjenige, der zwei Jahre länger arbeitet, hat zwei Jahre länger Bezüge, die er dann auch bekäme. Wir wissen aber, dass die Leute gar nicht beschäftigt werden können, jedenfalls ein Großteil nicht. Aus arbeitsmarktpolitischen Gründen nicht oder weil die Schwere der Arbeit das gar nicht zulässt. Wir haben heute Rentenaustritte mit 60, der überwiegende Teil mit 63. Die erreichen schon die 65 nicht. Mit 67 die Rente zu beziehen bedeutet für diesen Personenkreis eine massive zusätzliche Rentenkürzung. Das heißt, es ist ein Rentenkürzungsprogramm und nichts anders. Und weil das so ist, wenden wir uns dagegen.
Schröder: Vorausgesetzt, es gibt keine neuen Jobs. Aber kann die Antwort sein, die Lebensarbeitszeit weiter zu verkürzen, zum Beispiel durch die Altersteilzeit? Sie wollen ja, dass diese Regelung verlängert wird.
Peters: Wir sehen, dass eine Flexibilität auch bei dem Eintritt in die Rente ins Auge gefasst werden muss. Und wir sagen, derjenige, der eine 40jährige Versicherungszeit nachweisen kann, der muss ohne Abschläge in Rente gehen können. Und wir wollen zweitens einen zweiten flexiblen Austritt aus dem Arbeitsleben, das ist die Altersteilzeit oder eine wertgleiche Regelung, weil wir eben sehen, dass es Leute gibt, die das gar nicht schaffen können. Und darüber muss man reden. Da ist die Tarifpolitik gefordert, da ist der Staat gefordert, da ist die Bundesanstalt gefordert.
Schröder: Aber realistisch gesehen: Die Rente mit 67 - haben Sie tatsächlich Hoffnung, die noch verhindern zu können?
Peters: Ich will nicht bestreiten, dass es Leute gibt, die bis 67 arbeiten können -, die Frage steht aber für uns nicht, weil wir sie aus arbeitsmarktpolitischen und aus inhaltlichen, humanen Gründen nicht sehen. Ob wir sie verhindern können, das ist für uns jetzt nicht die Frage. Wir werden im Augenblick die Auseinandersetzung nicht führen, weil wir natürlich den normalen Rentenaustritt bei 65 beibehalten wollen und die anderen Ausstiegsszenarien brauchen.
Schröder: Herr Peters, wann wird es einen gesetzlichen Mindestlohn in Deutschland geben?
Peters: Ich hoffe, bald. Sehen Sie mal, wir sind neben einem anderen kleinen Land - Zypern - das einzige, das den Mindestlohn nicht eingeführt hat. Das sollte uns mal nachdenklich stimmen. Wir sehen Bereiche, wo Löhne sich entwickelt haben, die nicht mehr akzeptabel sind, die sogar menschenunwürdig sind. Wir wollen vernünftige Löhne. Wir wollen hier eines eindämmen: Lohndumping. Und wir wollen die Zusatzprofite von zum Teil ganz fragwürdigen Unternehmen begrenzen.
Schröder: Kritiker sagen, Mindestlöhne bedeuten gerade für gering Qualifizierte weniger Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Denn diese Mindestlöhne zahlt dann niemand.
Peters: Das ist absoluter Unsinn und nirgendwo bewiesen, im Gegenteil. Wenn wir England sehen, die mit einem Mindestlohn fahren, der über 7,50 Euro liegt, die haben einen Zuwachs an Beschäftigung. Übrigens andere Länder auch. Und wenn ich die USA nehme, die man uns ja immer vorhält, dann hat es mich schon sehr verwundert, dass in Chicago der Stadtrat gefordert hat, den Mindestlohn bei den Verkäuferinnen auf mindestens 10 Dollar zu setzen pro Stunde, denn das andere sei nicht mehr würdig und eines Arbeitnehmers nicht mehr angemessen.
Schröder: Es gibt da noch ein Problem. In der großen Koalition gibt es ja auch die Idee, den Niedriglohnsektor auszuweiten durch einen Kombilohn. Gleichzeitig will die SPD einen Mindestlohn. Geht beides zusammen oder schließt sich das aus?
Peters: Theoretisch schließt sich das nicht aus. Die Frage ist nur: Warum sollten wir den Unternehmen gestatten, niedrige Löhne auszureichen, und der Staat soll dann drauf zahlen, damit der Lohn eine Höhe erreicht, womit Menschen leben können? Das gibt doch keinen Sinn. Warum soll das Bewachungsgewerbe in Deutschland mit Niedrigstlöhnen die Leute abspeisen? Warum eigentlich? Ist doch nicht einsichtig. Es gibt auch gar keinen ökonomischen Druck, sondern der wird hier konstruiert. Hier wird die Not der Menschen ausgenutzt. Wir haben hier schlicht einen erpresserischen Zustand. Durch die Massenarbeitslosigkeit gibt es Leute, die sich für jeden Lohn verdingen.
Schröder: Sind da raffgierige Unternehmer schuld, oder ist es schlicht eine Folge des globalisierten Wettbewerbs? Wir stehen in Lohnkonkurrenz zu Ländern, in denen solche Löhne gezahlt werde.
Peters: Ja, deshalb müssen wir diese Lohnkonkurrenz, diese Schmutzkonkurrenz eindämmen. Und das geht gemeinhin mit Mindestlöhnen. Ich unterstelle nicht, dass jeder Unternehmer raffgierig ist, überhaupt nicht. Ich unterstelle ganz im Gegenteil, dass viele eine vernünftige Art und Weise des Umgangs mit den Menschen suchen. Aber wenn einige den Niedriglohnsektor noch proklamieren und meinen, dass Löhne mit 3,50 Euro die richtige Hausnummer sind, dann müssen wir uns nicht wundern, wenn das das Klima versaut.
Schröder: Wenn Sie eine Zwischenbilanz versuchen zur Arbeit der großen Koalition: Auf der einen Seite haben wir die Rente mit 67, wir haben die Gesundheitsreform, wir haben höhere Steuern und Abgaben im nächsten Jahr, auf der anderen Seite aber eine Wirtschaft, die sehr gut floriert. Wie fällt da Ihr Urteil aus über die Arbeit der großen Koalition?
Peters: Wir haben das Projekt Rot-Grün damals massiv kritisiert, haben in der Agenda 2010 einen Weg gesehen, der nicht im Interesse der Arbeitnehmer ist. Ich habe voller Staunen festgestellt, dass diese Regierung an der Politik der Agenda 2010 festhalten will und sie konsequent umsetzen will. Also haben wir hier einen Konflikt. Und wenn ich ein Urteil fällen sollte: die Projekte, die sich dahinter verbergen, sind alles Projekte, die die Schieflage in der Gesellschaft nicht korrigieren, sondern diese Schieflage sogar noch verschärfen. Hier ist eine Umverteilung größten Stils im Gang. Die Kosten werden von den Arbeitgebern genommen und werden weitergereicht zu den Arbeitnehmern. Wir sehen in der Rentenpolitik die Schieflage, wir sehen in der Gesundheitspolitik etwas auf uns zukommen, was erhebliche Belastung bedeutet. Uns leuchtet überhaupt nicht ein, die Arbeitgeberbeiträge zu begrenzen und bei den Arbeitnehmern dann entweder die Beiträge zu erhöhen oder eine Leistungskürzung billigend in Kauf zu nehmen. Und in der Steuerpolitik ist die Schieflage ja offenkundig. Wir haben die Mehrwertsteuererhöhung, die die Leute belasten wird, insbesondere die kleinen und mittleren Einkommen, und wir haben auf der anderen Seite eine gewaltige Steuererleichterung für die Unternehmen. Erneut ein Umfang von 30 Milliarden, wo man jetzt Gegenrechnungen macht, was man einsparen wird bei bisherigen Vergünstigungen für Unternehmen und glaubt, damit 20 Milliarde wieder reinzuholen. Alles das belastet die Arbeitnehmerhaushalte.
Schröder: Müssen Sie einräumen, dass die Möglichkeiten der Einflussnahme der Gewerkschaften, auch der IG Metall, zunehmend schwinden? Ihnen fehlen Bündnispartner auf politischer Ebene. Gleichzeitig bröckeln auch die Mitgliederzahlen weiterhin.
Peters: Also, wissen Sie, den Zusammenhang zu konstruieren mit den nicht so erfreulichen Mitgliederentwicklungen, das wird ja gerne von Journalisten gemacht. Tatsache ist doch, wenn im Osten ganze Regionen wegbrechen, dass dann die Mitgliederzahl nicht zu halten sein wird, das müsste jedem klar sein. Das hat mit Politik nichts zu tun, sondern es hat etwas mit der Ökonomie zu tun.
Schröder: Aber nicht nur in Ostdeutschland schwinden doch die Mitgliederzahlen. Kann es nicht vielleicht auch sein, dass die IG Metall nicht richtig aufgestellt ist? Es gibt ja zum Beispiel die Forderung, dass die gewerkschaftliche Arbeit stärker in die Betriebe verlagert werden müsste. Weg von der Zentrale in die Betriebe - ist das die Marschroute der Zukunft?
Peters: Das haben wir ja eigentlich immer gehabt, das ist ja nicht etwas Neues. Tatsache ist allerdings, dass wir mit den abweichenden Regelungen in der Tariflandschaft sehr viel stärker und konkreter und auch drängender mit den Belegschaften darüber reden, was Tarifpolitik heißt. Und in dieser Auseinandersetzung, wo sie viel stärker als vorher mit einbezogen sind - insoweit ist schon eine Änderung in der Betriebspolitik zu verzeichnen -, haben wir interessanterweise eine stärkere Hinwendung zu den Gewerkschaften und auch ein Mitgliederzuwachs. Obwohl wir dort oftmals abweichende Regelungen nicht verhindern konnten.
Schröder: Herr Peters, im Herbst wird die Führungsspitze der IG Metall neu besetzt. Können Sie ausschließe, dass Sie noch einmal antreten?
Peters: Meine Lebensplanung ist das Eine, die habe ich konkretisiert. Aber sollte etwas gegen meine Lebensplanung sich entwickeln, dann wird man darüber zeitnah zu reden haben, aber nicht heute.
Schröder: Das heißt, wenn Sie gerufen werden, dann würden Sie sich nicht verschließen?
Peters: Noch einmal: Ich habe überhaupt keinen Kommentar abzugeben. Ich habe, als wir 2003 die Regelung getroffen haben, habe ich diese Aussage gemacht, und bei dieser Aussage bleibt es bis zum Schluss.