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"IGeL": Kaum Hinweise auf einen Nutzen

Das Kürzel "IGeL" bezeichnet das Angebot medizinischer Zusatzleistungen, für die Versicherte pro Jahr mehr als 1,5 Milliarden Euro ausgeben. Der Bund der Krankenkassen hat nun diese Angebote einer Kosten-Nutzen-Analyse unterworfen - die Bilanz ist ernüchternd.

Von Wolfgang Noelke | 31.01.2012
    Die Situation ist in vielen Arztpraxen ähnlich: Aus lauter Dankbarkeit, dass er ihnen in einem akuten Fall helfen konnte, sagen Patienten ja zu dem Angebot ihres Arztes, eine Lichttherapie oder eine Akupunktur würde in diesem Fall den Heilungsprozess beschleunigen. Doch leider würden die Kassen diese Therapie noch nicht übernehmen, sagt der Arzt. Der Patient möge sich bitte schnell entscheiden und schon mal vorab bezahlen. Dr. Monika Lelgemann, Leiterin des Bereichs "Evidenzbasierte Medizin" im Spitzenverband gesetzlicher Krankenversicherungen, GKV rät, sich auf keinen Fall nötigen zu lassen:

    "Also, ich würde wirklich raten – es gibt keine IGeL-Leistung, die zwingend sofort erbracht werden muss. Man kann in aller Ruhe nach Hause gehen, kann sich in aller Ruhe informieren und kann beim nächsten Arztbesuch sagen – jawoll, ich möchte das gerne oder ich möchte das nicht. Und dann gibt es solche Leistungen, wie zum Beispiel Akupunktur. Wenn Sie sich dafür entscheiden, finde ich erst recht, Sie sollten sich vorher schlau machen, weil es ja nicht ist, dass dies eine einmalige Leistung ist, sondern das bedeutet dann, die gehen zum Beispiel zehnmal zur Akupunktur. Und da sollte man sich doch vorher informiert entscheiden können."

    Informieren können sich Patienten jetzt über das von Monika Lelgemann geleitete Internetportal www.igel-monitor.de. Ein möglicher Nutzen oder Schaden angebotener Zusatzleistungen soll hier transparent dargestellt werden. Noch sei die Liste der untersuchten Leistungen nicht komplett, sagt Dr. Peter Pick, Geschäftsführer des Medizinischen Dienstes des GKV-Spitzenverbandes und verspricht, dass jeden Monat mindestens eine neue Analyse, der zur Zeit mehr als 300 Zusatzleistungen im Internet veröffentlicht wird. Für die bereits analysierten Leistungen hält sich Peter Picks Begeisterung in Grenzen:

    "Elf untersuchte IGeL-Leistungen weisen eine negative Nutzen-Schaden-Bilanz auf. Vier sogar eine deutlich negative Nutzen-Schaden-Bilanz. Bei sieben IGeL-Leistungen ist die Nutzen-Schaden-Bilanz unklar, weil keine vernünftigen auswertbaren Studien vorliegen. Nur bei zwei untersuchten IGeL-Leistungen nehmen wir eine leicht positive Bewertung der Leistungen vor, weil hier Hinweise auf Nutzen vorliegen, aber noch keine Nachweise, die eine Anerkennung als Leistung der GKV rechtfertigen. Wenn man eine Bilanz unserer Bewertung ziehen möchte, dann schneidet die Mehrzahl der IGeL nicht gut ab, einige sogar richtig schlecht."

    Monika Lelgemann, Leiterin des IGeL-Projekts wird noch deutlicher:

    "Ultraschall der Eierstöcke zur Krebsfrüherkennung bewerten wir als negativ, genauso, wie die Colon-Hydro-Therapie, MRT zur Früherkennung einer Alzheimer-Demenz tendenziell negativ, PSA-Test zur Früherkennung von Prostatakrebs tendenziell negativ, Lichttherapie bei saisonal depressiver Störung tendenziell positiv, Akupunktur zur Migräneprophylaxe tendenziell positiv."

    Angesichts dieser ernüchternden Bilanz und der Tatsache, dass Patienten oft schon bei der Anmeldung eine Liste möglicher Zusatzleistungen überreicht wird, fordert Dr. Doris Pfeiffer, Vorstandsvorsitzende des Spitzenverbandes der GKV eine im Patientenrecht gesetzlich vorgeschriebene Bedenkzeit von mindestens 24 Stunden. Das bedeutet, dass die Zusatzleistung nicht beim ersten Praxisbesuch stattfinden darf.

    "Damit müsste der Patient sich nicht selber mit dem Arzt auseinandersetzen, dass er sich das ja noch mal überlegen will, sondern es wäre gesetzlich geregelt. 24 Stunden Überlegungsfrist ist eingeräumt und damit hätte der Patient auch Zeit, sich anderweitig zu informieren und dazu gibt es dann den IGeL-Monitor, der diese Information bereitstellt."