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Ignacio de Jerusalém: Matutin für die Jungfrau von Guadalupe

In unsere heutigen Sendung aus dem Bereich der "Alten Musik", verehrte Hörerinnen und Hörer, möchte ich Sie auf eine erst vor kurzem neu entdeckte Komposition des italienisch-mexikanischen Komponisten Ignacio de Jerusalém aufmerksam machen. Am Mikrophon begrüßt Sie Norbert Hornig * Musikbeispiel: Ignacio de Jerusalém - Invitatorium Am 9. Dezember 1531, so berichtet eine mexikanische Legende, bestieg der arme Bauer Juan Diego, dem Klang himmlischer Musik folgend, auf den Berg Tepeyac. Auf dem Gipfel angekommen, erschien dem gerade zum Christentum bekehrten Mann die Jungfrau Maria. Sie äußerte den Wunsch, an dieser Stelle des Berges ein Gotteshaus errichten zu lassen. Als der Bauer seinem Bischof davon berichtete, glaubte man ihm nicht. Als Beweis und um ihrem Wunsch Nachdruck zu verleihen, ließ die Madonna auf dem Berg die Rosen erblühen, mitten im Winter. Das Wunder der Jungfrau von Guadalupe wird in Südamerika oft auch als das fünfte Evangelium bezeichnet. In mexikanischen Archiven befinden sich eine Vielzahl von Handschriften zu Ehren der Madonna. Jahrhundertelang lag dort, auf mehrere Orte verteilt, auch die Handschrift der "Matutin für die Jungfrau von Guadalupe" von Ignacio de Jerusalém. Bis vor kurzem hatte noch niemand geahnt, daß die einzelnen Manuskript-Bruchstücke zu ein und derselben Komposition gehörten. Die Entdeckung dieses Meisterwerks von Ignacio de Jerusalém ist der Neugierde und dem Pioniergeist des amerikanischen Männerchores "Chanticleer" zu verdanken. Musik des mexikanischen Barocks gehört zu den Spezialitäten des Ensembles. Zusammen mit seinem Berater Craig Russell, der sich auf die Suche nach wertvollen Manuskripten in südamerikanischen Archiven spezialisiert hat, kam "Chanticleer" auf die Spur dieser großformatig angelegten Psalmvertonung. Nach akribischer Kleinarbeit konnte die Komposition erst im vergangenen Jahr vollständig rekonstruiert werden. Sie gehört zu den frühesten Beispielen sakraler Musik in Amerika und ist jetzt bei Teldec in der Reihe "Das Alte Werk" auf CD erschienen. * Musikbeispiel: Ignacio de Jerusalém - Matutin, Hymnus "Quem terra" "Quem terra pontus sidera", Hymnus aus der "Matutin für die Jungfrau von Guadalupe" von Ignacio de Jerusalém. Sie hörten das Ensemble Chanticleer und die Chanticleer Sinfonia unter Leitung von Joseph Jennings. Ignacio de Jerusalém wurde im Jahre 1707 im italienischen Lecce geboren. 1742 folgte er einem Angebot, nach Mexico City zu kommen und verdingte sich zunächst als Musiker am berühmten Coliseo-Theater. 1750 wurde er schließlich Kapellmeister an der Kathedrale von Mexico City. Jerusalém war ein exellenter Geiger. Sein instrumentales Können spiegelt sich wider im subtil abgestimmten Streichersatz seiner Kompositionen. Jerusalém erweiterte das Orchester und das Instrumenten-Inventar an der Kathedrale wesentlich. Zeitgenössische Quellen berichten, daß die von ihm geleitete Kapelle zu den besten in ganz Amerika gehörte. Seiner Herkunft entsprechend finden sich in Jerusaléms Tonsprache Einflüsse der italienischen Oper. Sein neuer Wirkungskreis an der Kathedrale von Mexico City erlaubte es ihm natürlich nicht, sich auf dem Gebiet der Oper zu profilieren. Die Matutin, jahrhundertelang das traditionelle morgendliche Stundengebet der katholischen Kirche, bot jedoch eine willkommene Möglichkeit, kompositorisches Können unter Beweis zu stellen. Die Matutin beginnt mit dem einleitenden Invitatorium und einem Hymnus, gefolgt von zwei oder drei Nokturnen mit den dazugehörigen Psalmen, Lektionen und Responsorien für Vokalstimmen und Instrumentalbegleitung. An bestimmten Sonn- und Feiertagen wurde das letzte Responsorium durch das Te Deum ersetzt. Die stilistische Vielfalt der "Matutin für die Jungfrau von Guadalupe" ist auffallend groß. Denn Ignacio de Jerusalém vollzieht in seinem wohl genialsten Werk bereits den Übergang vom Hochbarock zur Frühklassik. Das Responsorium "Signum magnum apparuit" erinnert sogar an die Koloraturen der Arie der Königin der Nacht aus Mozarts "Zauberflöte". * Musikbeispiel: Ignacio de Jerusalém - Matutin: Responsorium: Signum magnum apparuit "Signum magnum apparuit", Responsorium aus der "Matutin für die Jungfrau von Guadalupe" von Ignacio de Jerusalém - in einer Aufnahme mit dem Ensemble Chanticleer und der Chanticleer Sinfonia unter Leitung von Joseph Jennings. Das Ensemble Chanticleer wurde 1978 als eine Spezialformation für Renaissance-Musik in Kalifornien gegründet. Das Repertoire des Ensembles erweiterte sich jedoch sehr rasch. Es reicht heute von Palestrina bis hin zu Gospel, Folksong, Jazz und zeitgenössischer Chormusik. Die zwölf Mannerstimmen, vom tiefsten Baß bis zum Countertenor, fügen sich nahtlos zusammen. Eine Qualität, die dem Ensemble weltweit den Ruf eines "Stimmorchesters" einbrachte. Das Ensemble Chanticleer feierte mit der Einspielung von Jerusaléms Matutin sein 20-jähriges Bestehen. Auch in dieser Aufnahme überzeugen die Amerikaner mit makelloser Gesangskunst. In ihrer Interpretation erstrahlt Jerusaléms Werk in farbiger Klangpracht, einmal mehr stellt das Ensemble Chanticleer seine Wandlungsfähigkeit und Stilsicherheit unter Beweis. Ohne Zweifel: Ignacio de Jerusaléms "Matutin für die Jungfrau von Guadalupe", die 1764 erstmals in der Kathedrale von Mexico City aufgeführt wurde, ist eine aufsehenerregende Entdeckung unter den geistlichen Werken des 18.Jahrhunderts. * Musikbeispiel: Ignacio de Jerusalém - Matutin, aus Te Deum Die Neue Platte. Heute stellten wir die Ersteinspielung der "Matutin für die Jungfrau von Guadalupe" von Ignacio de Jerusalém vor. Zum Schluß hörten Sie "Aeterna fac cum sanctis tuis" und "In te, Domine, speravi" aus dem Te Deum. Die Aufnahme mit dem Ensemble Chanticleer und der Chanticleer Sinfonia unter Leitung von Joseph Jennings ist bei Teldec erschienen. Noch einen schönen Sonntag wünscht Ihnen Norbert Hornig

Norbert Hornig |