Ingrid Muth: "Es galt international zunächst erst einmal Vertrauen aufzubauen. Dann galt es, die Existenz eines zweiten deutschen Staates neben der Bundesrepublik Deutschland international zu verankern, also auch Akzeptanz und Toleranz für diesen Staat zu erwerben. Und zum Dritten hat sich die DDR natürlich mit ihrer Außenpolitik und mit ihrer wachsenden Kompetenz und Autorität auch dafür eingesetzt, dass eigentlich ein Zusammenleben dieser beiden Blöcke trotz aller Konfrontation möglich war."
Die Autorin Ingrid Muth über die Motive der DDR-Außenpolitik. Es ist ein großes Thema, dass hinter diesen Motiven immer wieder aufscheint: Das ständige Legitimationsdefizit der DDR - hier weniger im Innern als nach Außen. Nach der Staatsgründung am 7. Oktober 1949 trachtete die DDR-Führung nach internationaler Reputation, musste dabei aber ständig Rücksicht nehmen auf die Umstände, die überhaupt erst zur Staatsgründung geführt hatten. In ihrem Einführungskapitel "Außenpolitik zwischen Anspruch und Wirklichkeit" macht Muth denn auch deutlich, wie überaus eng das Korsett für die DDR war:
"Untersucht man die externen Rahmenbedingungen für die Außenpolitik der DDR, nimmt die Abhängigkeit von der Sowjetunion den dominanten Raum ein. Als Siegermacht des Zweiten Weltkriegs und Mitglied der Anti-Hitler-Koalition, später als Führungsmacht des östlichen Bündnissystems, sah Moskau in der DDR nicht nur einen Faktor der eigenen sicherheits- und machtpolitischen Interessen, insbesondere in Europa, sondern auch einen Verbündeten im Kampf um die Verbreiterung der ideologischen Einfluss-Sphäre."
Ingrid Muth hat diesen Kampf einst mitgekämpft - seit 1972 war die Journalistin beim Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten angestellt und arbeitete unter anderem in der Presseabteilung der Ständigen Vertretung der DDR in Bonn. Sie kennt also den Aufbau des diplomatischen Dienstes der DDR aus dem ff - von der Zeit ab, die laut Buchtitel schon außerhalb des Untersuchungszeitraums liegt. Was die Autorin zum Glück nicht daran hindert, immer wieder Entwicklungslinien bis tief in die Ära Erich Honecker fortzuzeichnen, wie etwa im Kapitel über die Organisations- und Leitungsstrukturen:
"Für manche Entscheidungen, die die Autorin bei ihrem Eintritt in das Ministerium im Jahre 1972 als Sektionsleiterin noch nach Absprache mit dem Abteilungsleiter selbst treffen konnte, musste in den achtziger Jahren der Minister einen Brief an den 'Werten Genossen Honecker' schreiben und um Zustimmung bitten."
Zu dem Dilemma, in dem sich die DDR-Diplomaten befanden, sagt Ingrid Muth rückblickend:
Ingrid Muth: "Es ist immer kompliziert, wie in der DDR gegen die Dogmen, die durch die Ideologie und die Weltanschauung vorgegeben sind, mit der Vernunft und der Sachkenntnis aus Realitäten anzukommen. Das ist eine der Hauptwidersprüche in der Außenpolitik der DDR gewesen, der sich graduell natürlich auch verändert hat. In der Anfangsphase hatte natürlich auch das Außenministerium relativ mehr Möglichkeiten, direkt Einfluss zu nehmen als in der Endphase, als praktisch die Stagnation auch die Außenpolitik erreicht hatte."
Die Mechanismen der Beeinflussung der DDR-Außenpolitik werden auf verschiedenen Ebenen detailliert geschildert: im Parteiapparat, im Ministerrat, in den Handelsorganisationen, bei der Kooperation des Außenministeriums mit dem Ministerium für Staatssicherheit. Mit Kommentierungen hält sich Muth dabei zurück, und in der großen Fülle von Details fühlt sich so der Leser leider oft allein gelassen. Die inneren Gründe für die häufigen Strukturveränderungen im Ministerium werden auch durch die Heranziehung offizieller Dokumente, interner Direktiven und den umfangreichen Anhang nicht recht klar. Deutlich wird aber, wogegen sich die DDR nach außen hin ständig wehren musste: Gegen die bis zum Grundlagenvertrag geltende und nach Staatssekretär Walter Hallstein benannte Doktrin, mit der Bonn seinen Alleinvertretungsanspruch in der Außenpolitik erfolgreich umsetzen konnte:
"Die Drohung der Bundesrepublik mit dem Abbruch ihrer diplomatischen Beziehungen im Falle einer Anerkennung der DDR verhinderte die Aufnahme normaler diplomatischer Beziehungen der DDR zu den Ländern der westlichen Welt und zur Mehrzahl der Entwicklungsländer, eine Mitarbeit der DDR in internationalen Gremien wie den Vereinten Nationen und deren Unterorganisationen sowie auf multilateraler Ebene. Die DDR fühlte sich durch den Alleinvertretungsanspruch und die Hallstein-Doktrin permanent in ihrer Existenz bedroht und international in Frage gestellt."
Muth belegt diese Aussage mit einem Zitat aus den 60er Jahren von Peter Florin. Er leitete im ZK der SED die Internationalen Verbindungen und die Außenpolitik und wurde später der Vertreter der DDR bei der UNO. Das Florin-Zitat:
"Die Nichtanerkennung der Deutschen Demokratischen Republik ist eine potentielle Kriegserklärung gegenüber der Deutschen Demokratischen Republik und dient der Vorbereitung der militärischen Intervention. Die westdeutschen Revanchepoltiker klammern sich an die Hallstein-Doktrin, weil sie den militärischen Überfall auf unsere Republik als innerdeutsche Polizeiaktion zu erklären beabsichtigen."
Leider werden Aussagen wie diese von der Autorin oft nicht kommentiert. Sonst würde in dem Buch so viel klarer, was ein Wesensmerkmal der Außenpolitik der DDR war: Dass sie - anders als etwa die CSSR oder Polen - ständig, bei allem was sie tat, auf die Bundesrepublik fixiert war. In den Untersuchungsjahren 1949 bis 1972 gab es nicht nur den Kalten Krieg - in die Jahre fällt auch das Zeitalter der Entkolonialisierung. Und zu dem teuren Prestigekampf, den sich die beiden deutschen Staaten im Ringen um die Gunst der jungen Nationalstaaten in Afrika, Südostasien und in der arabischen Welt lieferten, schreibt Muth, dass auch hier die Außenpolitik der DDR gegenüber den Entwicklungsländern im Kern zur Deutschlandpolitik geriet:
"Theoretisch sah man in diesen Ländern günstige Ansatzpunkte, die eigene internationale Position auszubauen und das Image der Bundesrepublik, die als eine "Hauptmacht des Imperialismus" dargestellt wurde, zu schwächen. In der Praxis stellte sich jedoch bald heraus, dass dieser Ansatz zwar genutzt werden konnte, aber letztlich nicht tragfähig genug war, um einen partiellen propagandistischen Platzgewinn in politisches Handeln zugunsten der DDR umzusetzen."
Am lebendigsten wird das Buch am Schluss, wo es eine Innenansicht der DDR-Diplomatie anhand von rund 150 Fragebögen liefert, in denen Ex-DDR-Diplomaten der Autorin Rede und Antwort standen - mehrere Jahre nach dem Ende der DDR. Hier werden Botschafter auf ihr Selbstbild hin befragt oder danach, wodurch sie sich in ihrer Arbeit eingeengt fühlten. Und es werden interessante Zahlen präsentiert: Zum Beispiel zur Frage, was aus dem Diplomatischen Corps der DDR bei der Vereinigung geworden ist: Seine Mitarbeiter traten nahezu komplett in den Wartestand. Das Auswärtige Amt nahm von den 1.786 Mitarbeitern lediglich 13 in seinen Höheren Dienst auf. Die anderen DDR-Diplomaten waren für das Auswärtige Amt nicht mehr tragbar. Das Buch sucht nach dem Sinn ihrer Arbeit. Antworten darauf finden sich nicht in den offiziellen Dokumenten und den Auflistungen, von wem die DDR bis zu ihrem Ende dann doch noch anerkannt wurde. Sie finden sich viel mehr in den persönlicheren Fragebogenpassagen, bei dem Versuch einer Innenansicht. Zum Schluss noch einmal die Autorin, mit ihrer Einschätzung der Motive von DDR-Diplomaten:
Ingrid Muth: "Unser Ziel war eigentlich nie, die Menschen zu missionieren und vom Sozialismus zu überzeugen. Was wir wollten war eigentlich nur: Akzeptanz. Dass man auch anders leben kann, und dass man mit dieser gegenseitigen Akzeptanz auch miteinander leben kann."
Ingrid Muth: Die Außenpolitik der DDR 1949 - 1972. Inhalte, Strukturen, Mechanismen. Links-Verlag. 318 Seiten, 38 Mark DM.
Die Autorin Ingrid Muth über die Motive der DDR-Außenpolitik. Es ist ein großes Thema, dass hinter diesen Motiven immer wieder aufscheint: Das ständige Legitimationsdefizit der DDR - hier weniger im Innern als nach Außen. Nach der Staatsgründung am 7. Oktober 1949 trachtete die DDR-Führung nach internationaler Reputation, musste dabei aber ständig Rücksicht nehmen auf die Umstände, die überhaupt erst zur Staatsgründung geführt hatten. In ihrem Einführungskapitel "Außenpolitik zwischen Anspruch und Wirklichkeit" macht Muth denn auch deutlich, wie überaus eng das Korsett für die DDR war:
"Untersucht man die externen Rahmenbedingungen für die Außenpolitik der DDR, nimmt die Abhängigkeit von der Sowjetunion den dominanten Raum ein. Als Siegermacht des Zweiten Weltkriegs und Mitglied der Anti-Hitler-Koalition, später als Führungsmacht des östlichen Bündnissystems, sah Moskau in der DDR nicht nur einen Faktor der eigenen sicherheits- und machtpolitischen Interessen, insbesondere in Europa, sondern auch einen Verbündeten im Kampf um die Verbreiterung der ideologischen Einfluss-Sphäre."
Ingrid Muth hat diesen Kampf einst mitgekämpft - seit 1972 war die Journalistin beim Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten angestellt und arbeitete unter anderem in der Presseabteilung der Ständigen Vertretung der DDR in Bonn. Sie kennt also den Aufbau des diplomatischen Dienstes der DDR aus dem ff - von der Zeit ab, die laut Buchtitel schon außerhalb des Untersuchungszeitraums liegt. Was die Autorin zum Glück nicht daran hindert, immer wieder Entwicklungslinien bis tief in die Ära Erich Honecker fortzuzeichnen, wie etwa im Kapitel über die Organisations- und Leitungsstrukturen:
"Für manche Entscheidungen, die die Autorin bei ihrem Eintritt in das Ministerium im Jahre 1972 als Sektionsleiterin noch nach Absprache mit dem Abteilungsleiter selbst treffen konnte, musste in den achtziger Jahren der Minister einen Brief an den 'Werten Genossen Honecker' schreiben und um Zustimmung bitten."
Zu dem Dilemma, in dem sich die DDR-Diplomaten befanden, sagt Ingrid Muth rückblickend:
Ingrid Muth: "Es ist immer kompliziert, wie in der DDR gegen die Dogmen, die durch die Ideologie und die Weltanschauung vorgegeben sind, mit der Vernunft und der Sachkenntnis aus Realitäten anzukommen. Das ist eine der Hauptwidersprüche in der Außenpolitik der DDR gewesen, der sich graduell natürlich auch verändert hat. In der Anfangsphase hatte natürlich auch das Außenministerium relativ mehr Möglichkeiten, direkt Einfluss zu nehmen als in der Endphase, als praktisch die Stagnation auch die Außenpolitik erreicht hatte."
Die Mechanismen der Beeinflussung der DDR-Außenpolitik werden auf verschiedenen Ebenen detailliert geschildert: im Parteiapparat, im Ministerrat, in den Handelsorganisationen, bei der Kooperation des Außenministeriums mit dem Ministerium für Staatssicherheit. Mit Kommentierungen hält sich Muth dabei zurück, und in der großen Fülle von Details fühlt sich so der Leser leider oft allein gelassen. Die inneren Gründe für die häufigen Strukturveränderungen im Ministerium werden auch durch die Heranziehung offizieller Dokumente, interner Direktiven und den umfangreichen Anhang nicht recht klar. Deutlich wird aber, wogegen sich die DDR nach außen hin ständig wehren musste: Gegen die bis zum Grundlagenvertrag geltende und nach Staatssekretär Walter Hallstein benannte Doktrin, mit der Bonn seinen Alleinvertretungsanspruch in der Außenpolitik erfolgreich umsetzen konnte:
"Die Drohung der Bundesrepublik mit dem Abbruch ihrer diplomatischen Beziehungen im Falle einer Anerkennung der DDR verhinderte die Aufnahme normaler diplomatischer Beziehungen der DDR zu den Ländern der westlichen Welt und zur Mehrzahl der Entwicklungsländer, eine Mitarbeit der DDR in internationalen Gremien wie den Vereinten Nationen und deren Unterorganisationen sowie auf multilateraler Ebene. Die DDR fühlte sich durch den Alleinvertretungsanspruch und die Hallstein-Doktrin permanent in ihrer Existenz bedroht und international in Frage gestellt."
Muth belegt diese Aussage mit einem Zitat aus den 60er Jahren von Peter Florin. Er leitete im ZK der SED die Internationalen Verbindungen und die Außenpolitik und wurde später der Vertreter der DDR bei der UNO. Das Florin-Zitat:
"Die Nichtanerkennung der Deutschen Demokratischen Republik ist eine potentielle Kriegserklärung gegenüber der Deutschen Demokratischen Republik und dient der Vorbereitung der militärischen Intervention. Die westdeutschen Revanchepoltiker klammern sich an die Hallstein-Doktrin, weil sie den militärischen Überfall auf unsere Republik als innerdeutsche Polizeiaktion zu erklären beabsichtigen."
Leider werden Aussagen wie diese von der Autorin oft nicht kommentiert. Sonst würde in dem Buch so viel klarer, was ein Wesensmerkmal der Außenpolitik der DDR war: Dass sie - anders als etwa die CSSR oder Polen - ständig, bei allem was sie tat, auf die Bundesrepublik fixiert war. In den Untersuchungsjahren 1949 bis 1972 gab es nicht nur den Kalten Krieg - in die Jahre fällt auch das Zeitalter der Entkolonialisierung. Und zu dem teuren Prestigekampf, den sich die beiden deutschen Staaten im Ringen um die Gunst der jungen Nationalstaaten in Afrika, Südostasien und in der arabischen Welt lieferten, schreibt Muth, dass auch hier die Außenpolitik der DDR gegenüber den Entwicklungsländern im Kern zur Deutschlandpolitik geriet:
"Theoretisch sah man in diesen Ländern günstige Ansatzpunkte, die eigene internationale Position auszubauen und das Image der Bundesrepublik, die als eine "Hauptmacht des Imperialismus" dargestellt wurde, zu schwächen. In der Praxis stellte sich jedoch bald heraus, dass dieser Ansatz zwar genutzt werden konnte, aber letztlich nicht tragfähig genug war, um einen partiellen propagandistischen Platzgewinn in politisches Handeln zugunsten der DDR umzusetzen."
Am lebendigsten wird das Buch am Schluss, wo es eine Innenansicht der DDR-Diplomatie anhand von rund 150 Fragebögen liefert, in denen Ex-DDR-Diplomaten der Autorin Rede und Antwort standen - mehrere Jahre nach dem Ende der DDR. Hier werden Botschafter auf ihr Selbstbild hin befragt oder danach, wodurch sie sich in ihrer Arbeit eingeengt fühlten. Und es werden interessante Zahlen präsentiert: Zum Beispiel zur Frage, was aus dem Diplomatischen Corps der DDR bei der Vereinigung geworden ist: Seine Mitarbeiter traten nahezu komplett in den Wartestand. Das Auswärtige Amt nahm von den 1.786 Mitarbeitern lediglich 13 in seinen Höheren Dienst auf. Die anderen DDR-Diplomaten waren für das Auswärtige Amt nicht mehr tragbar. Das Buch sucht nach dem Sinn ihrer Arbeit. Antworten darauf finden sich nicht in den offiziellen Dokumenten und den Auflistungen, von wem die DDR bis zu ihrem Ende dann doch noch anerkannt wurde. Sie finden sich viel mehr in den persönlicheren Fragebogenpassagen, bei dem Versuch einer Innenansicht. Zum Schluss noch einmal die Autorin, mit ihrer Einschätzung der Motive von DDR-Diplomaten:
Ingrid Muth: "Unser Ziel war eigentlich nie, die Menschen zu missionieren und vom Sozialismus zu überzeugen. Was wir wollten war eigentlich nur: Akzeptanz. Dass man auch anders leben kann, und dass man mit dieser gegenseitigen Akzeptanz auch miteinander leben kann."
Ingrid Muth: Die Außenpolitik der DDR 1949 - 1972. Inhalte, Strukturen, Mechanismen. Links-Verlag. 318 Seiten, 38 Mark DM.