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"Ihr könnt nicht einfach Gesetze machen und 30.000 Bürger ignorieren"

Präsident Nurzultan Nazarbajew steht seit der Unabhängigkeit Kasachstans unangefochten an der Spitze des Staates. Der Vorsitzende der einzigen wirklich oppositionellen und mittlerweile verbotenen Bewegung, Vladimir Kozlow, sitzt eine 7,5-jährige Haftstrafe ab. Aber es gibt Ansätze zivilgesellschaftlichen Engagements.

Von Gesine Dornblüth |
    Ayzhan Yermekbayewa steuert ihren Kleinwagen durch die Straßen von Almaty. Die 36-Jährige trägt einen modischen Kurzhaarschnitt, Sonnenbrille, Jeans.

    Yermekbayewa:
    "Ich hab schon ganz vergessen, wann ich das letzte Mal Nachrichten gesehen habe. Seit zwei Wochen hänge ich jeden Tag von morgens bis abends bei Facebook."

    Ayzhan Yermekbayewa ist Übersetzerin für Russisch und Englisch, aber seit Mitte Februar hat sie vor allem eine Beschäftigung: Sie organisiert den Protest von Frauen gegen ein neues Mutterschutzgesetz. In Kasachstan zahlt der Staat das Mutterschutzgeld. Im Februar wurde es für besser verdienende Frauen auf etwa ein Drittel gekürzt. Dagegen machen Frauen mobil. Ayzhan Yermekbayewa geht in ein Café, bestellt Wasser. Sie ärgert vor allem, dass die Parlamentarier die Kürzungen beschlossen haben, ohne sie vorher mit der Öffentlichkeit zu diskutieren.

    Yermekbayewa:
    "Man hätte doch nach Alternativen suchen können. Jetzt ist unsere Position: Gut, wenn ihr das Gesetz nicht rückgängig machen wollt, dann hört wenigstens unsere Meinung. Wir sind zwar nur 30.000 Frauen, die das betrifft, aber wir sind auch Bürger dieses Landes. Und ihr könnt nicht einfach Gesetze machen und 30.000 Bürger ignorieren."

    Genau das ist in Zentralasien bisher weit verbreitet: Dass Politiker Gesetze machen, ohne sich großartig um die Meinung der Bürger zu scheren. Doch nun haben sich 9000 Frauen der Facebook-Gruppe um Ayzhan Yermekbayewa angeschlossen. Sie haben Briefe an alle Abgeordneten Kasachstans und an den Staatspräsidenten geschrieben. Anfang März demonstrierten sie in der Hauptstadt Astana.

    "Wir Frauen wollen einfach zeigen, dass wir da sind. Und dass wir mehr sind als zwanzig Leute, wie einige Medien schreiben."

    Ayzhan Yermekbayewa lebt allein. Sie hat viel Geld in ihre Ausbildung investiert und ist stolz, sich einen gewissen Lebensstandard leisten zu können. Wenn sie schwanger würde, müsste sie ihren Eltern auf der Tasche liegen. Das will sie nicht:

    "Viele Menschen in Kasachstan haben sich daran gewöhnt, nichts zu tun. Sie sagen, sich zu beschweren oder vor Gericht zu ziehen, sei nur Zeitverschwendung und schlecht für die Nerven. Aber das stimmt nicht. Wir haben Gesetze. Und unsere Gruppe ist deshalb stark, weil wir viele sind. Und wir sind gebildet, wir haben einen Standpunkt. Der ist juristisch und ökonomisch begründet."

    Ayzhan Yermekbayewa treibt lediglich eine Sorge um: Sie möchte nicht mit der Politik in Verbindung gebracht werden, hat Angst, dass die Gruppe von der Opposition vereinnahmt wird und dass sie dann Schwierigkeiten bekommt.

    Diese Vorsicht ist begründet. Denn wer sich in Kasachstan in der Opposition engagiert, kann die volle Härte der Justiz zu spüren bekommen. Das zeigt das Beispiel der Oppositionsbewegung Alga, Vorwärts. Deren Vorsitzender, Vladimir Kozlow, ein engagierter Kritiker der kasachischen Führung, wurde im vergangenen Sommer zu siebeneinhalb Jahren Haft verurteilt. Das Gericht befand, er habe zu Massenunruhen aufgerufen. In Wirklichkeit hatte Kozlow streikende Ölarbeiter unterstützt. Der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung hält seine Verurteilung für politisch motiviert. Kozlows Stellvertreter, Michail Sizow, empfängt Journalisten in einer fast leeren Mietwohnung in Almaty. Die Justiz hat auch das Büro der Bewegung konfisziert. Sizow:
    "Man kann in Kasachstan ohne weiteres das System oder auch konkrete Beamte kritisieren oder die eigenen Rechte einfordern. Das birgt kein Risiko. Aber sobald du Präsident Nazarbajew persönlich kritisierst, seine Verwandten oder sein näheres Umfeld, drohen Ordnungsstrafen und sogar Strafverfahren."

    Sizow spricht von einer Atmosphäre der Angst. Doch immer mehr Menschen in Kasachstan engagieren sich jenseits der politischen Lager, jenseits der Parteien.

    Ein Klub im Zentrum von Almaty. Hier sitzt Dmitrij Zhukow, 40 Jahre alt, Bankangestellter, mit einem Laptop auf den Knien und schaut Fotos einer Berglandschaft an. Es ist Kok-Zhajljau, ein Naturschutzgebiet in den Bergen ganz in der Nähe von Almaty, mit einer halbstündigen Busfahrt zu erreichen. In diesem geschützten Gebiet soll ein Skiresort gebaut werden. Und auch dagegen regt sich Widerstand, eine weitere Internetgruppe mit mehr als tausend Mitgliedern. Dmitrij Zhukow zählt zu den Aktivisten.

    "Ich hatte mich früher schon mal in einer Internetgruppe für ein fahrradfreundliches Almaty und für eine umweltbewusstere Verkehrspolitik engagiert. Darüber erhielt ich dann die Einladung, sich der Gruppe zum Schutz von Kok-Zhajljau anzuschließen. Ich bin ihr sofort gefolgt, denn ich kenne die Stadt gut, ich kenne Kok-Zhajljau, und diesen Ort zuzubauen, halte ich für unzulässig. Er ist mir persönlich sehr viel wert, und außerdem kann man es in Almaty ohne diese Erholungsmöglichkeit schlicht und einfach nicht aushalten."

    Dmitrij Zhukow sagt, die Umweltgruppe wachse ständig. Allerdings gibt es bisher wenig Zeichen dafür, dass die Regierung auf das Engagement der Bürger reagiert:

    "Ehrlich gesagt, habe ich ständig Angst, dass wir das Skigebiet nicht verhindern können. Aber zugleich weiß ich: Wenn wir nur tatenlos zusehen, dann wird das Projekt auf jeden Fall verwirklicht. Und ich werde ein schlechtes Gewissen haben, weil ich nichts dagegen unternommen habe."