Ein Attentat - islamistische Gewalttäter in Aktion. Mehrere Sprengkörper explodieren nahezu zeitgleich am 11. März 2004 in Vorortzügen von Madrid. Die Schreckensbilanz: Hunderte von Toten und Verletzten, wahllos getroffene Opfer, unter ihnen Alte und Junge, Männer, Frauen, Kinder. Wer sich zufällig im Vernichtungs-Radius der explodierenden Bomben aufhält, wird buchstäblich zerrissen.
Und so endet eine morgendliche Anfahrt zur Schule oder zum Arbeitsplatz als Alptraum. Die Terroropfer erreichen nicht ihr eigentliches Ziel. Sie landen verletzt in Krankenhäusern oder in Zink-Särgen. Wer das Glück hatte, zu überleben, den verfolgen traumatisierende Bilder vermutlich lebenslang.
Zwei Tage nach den verheerenden Anschlägen taucht am 13. März 2004 ein Bekenner-Video auf. Der Fundort: ein Papierkorb nahe der großen Moschee am westlichen Standrand von Madrid. In ihm meldet sich der Militärsprecher der al-Qaida, Abu Dudschan al-Afghani, zu Wort und verkündet seine Droh-Botschaften:
"Wir erklären unsere Verantwortung für das, was in Madrid genau zweieinhalb Jahre nach den Angriffen auf New York und Washington geschehen ist. Es ist eine Antwort auf eure Zusammenarbeit mit den Verbrechern Bush und seinen Verbündeten. Dies ist eine Antwort auf die Verbrechen, die ihr in der Welt verübt habt, und zwar besonders in Irak und Afghanistan und es wird weitere (Antworten) geben, so Allah will. Ihr liebt das Leben, und wir lieben den Tod, was ein Beispiel dafür gibt, was der Prophet Muhammad gesagt hat. Wenn ihr eure Ungerechtigkeiten nicht stoppt, wird mehr Blut fließen, und diese Angriffe werden sehr klein sein verglichen mit dem, was geschehen wird und was ihr Terrorismus nennt."
Den Terror-Aktionen von Madrid folgen spektakuläre Anschläge auf das U-Bahn- und Bus-Netz von London. Vor sechs Wochen verhindert nur ein technischer Defekt, dass Kofferbomben im Nahverkehr der deutschen Bahn auf den Strecken Köln-Koblenz und Köln-Dortmund explodieren. Wären die Sprengsätze hochgegangen - die Folgen wären, ähnlich wie in Madrid und London, katastrophal gewesen. Die Bilanz fällt also eindeutig aus: "Der islamistische Terror hat Deutschland erreicht", urteilt der Islam-Experte und Göttinger Politikwissenschaftler Basam Tibi in einem Beitrag für die September-Ausgabe der Zeitschrift "Capital" über das Versagen der Politik bei der Integration der Muslime. Sein Essay steht für das einhellige Medienecho der letzten Wochen in Titel-Reportagen von Zeitungen und Zeitschriften sowie Sondersendungen in Funk und Fernsehen - auch der Deutschlandfunk berichtete mehrfach ausführlich.
Terror in den USA mit Flugzeugbomben, die in die Türme des World-Trade-Centers von New York rasen und deren Einsturz bewirken, Terror im Irak, Selbstmord-Attentate in Nahost, Zug-Anschläge im spanischen Madrid und London? Ja, das war für das Bewusstsein vieler Deutscher noch weit weg. Aber hoffentlich nicht bei uns! Das war der verständliche Wunsch nach Verschonung vor gewalttätigen Folgen der Weltpolitik. Doch spätestens seit dem Anschlagsversuch per Kofferbomben ist diese Zeit vorbei.
Terrorismus-Experten zeigen sich allerdings vom Gang der Ereignisse weniger überrascht und zwar,
"weil der Terrorismus, speziell wenn man über den islamistischen Terrorismus spricht, Deutschland bereits vor einigen Jahren erreicht hatte. Das geht zurück bis in das Jahr 2000, wo in der Nähe von Frankfurt/Main die Meliani-Gruppe festgenommen wurde, Islamisten, die vorhatten, auf dem Weihnachtsmarkt in Straßburg einen Terroranschlag zu verüben. Und diese Kette zieht sich fort über versuchte Terroranschläge bis hin zur Al Tahwid-Gruppe in Düsseldorf, die eine Gaststätte in Düsseldorf und eine jüdische Einrichtung in Berlin in die Luft jagen wollten."
So Kai Hirschmann, stellvertretender Direktor des Essener Instituts für Terrorismus-Forschung, zur Bedrohungslage in unserem Lande. Mit seiner Beurteilung steht er nicht alleine. Auch Claudia Sautter, jahrelange ARD-Korrespondentin in Nordafrika, Islam-Kennerin und Mitherausgeberin des kürzlich erschienenen Buches "Die Kinder des Dschihad", hält Deutschland für gefährdet:
"Zum einen sind deutsche Soldaten in Afghanistan, also für bestimmte islamistische radikale Milieus sind wir damit Teil im "Kampf gegen den Terror." Wir haben eine große jüdische Gemeinschaft hier, das heißt auch mögliche Anschlagsziele. Wir haben radikale Milieus auch hier ... .wenn man sich zum Beispiel in bestimmte Chat-Rooms begibt, wo sich Muslime untereinander austauschen."
Deutschland im Jahre 2006: Ein Land im Fadenkreuz islamistischer Terroristen. Zwar gehören die beiden festgenommenen mutmaßlichen Kofferbomben-Attentäter aus dem Libanon, nach dem jetzigen Ermittlungsstand keiner klassischen Terroristen-Struktur an. Kai Hirschmann bezeichnet diesen Typus als "freie Radikale". Sie verkörpern eher den unberechenbaren netten Nachbarn von nebenan, der sich allein oder zu zweit spontan für einen Anschlag entscheidet, was die Bekämpfung erschwert. Kurzum: die jetzt für alle sichtbar gewordene unerfreuliche Entwicklung hat eine lange Vorgeschichte, und sie führt zu einer Reihe von Fragen, die nach Antworten suchen. Zum Beispiel:
Aus welchen Motiven werden - insbesondere junge Muslime, die bei uns oder in anderen Ländern Europas teilweise schon in der zweiten bzw. dritten Generation leben und deren Staatsbürgerschaften besitzen - zu Akteuren extremistischer Gewaltaktionen gegen, vereinfacht gesagt, den offenbar so tief verhassten Westen ?
Wie entstehen handlungsleitende Feindbilder in islamistischen Milieus, die im Bombenterror gegen "Fremde" bzw. "Ungläubige" enden?
Gewiss, "Islamisten", so die Bezeichnung der extremistisch orientierten Muslime, sind zwar nur eine Minderheit der insgesamt über 3,4 Millionen in der Bundesrepublik lebenden Menschen dieser Glaubensrichtung. Auf 4000 Personen schätzt der Verfassungsschutz das gewaltbreite Potential unter ihnen, dennoch: das ist ein erhebliches und nicht zu unterschätzendes Gefahrenpotential.
Von historischem Interesse, das gleichzeitig auch Aufschlüsse über die Motivstruktur extremistischer Gewalttäter zulässt, ist auch die Frage, inwieweit sich der zeitgenössische islamistische Terrorist des 21. Jahrhunderts von seinen Vorgängern unterscheidet. Dazu Kai Hirschmann vom Institut für Terrorismusforschung:
""Er unterscheidet sich von seinen Vorgängern, dass er keine begrenzten politischen Zielsetzungen mehr hat, das heißt für einen eigenen Staat kämpft, für Separatismus kämpft, für eine Autonomie kämpft, sondern er kämpft für ein politisch-religiöses Ziel, ein großes Ziel des Zurückdrängens von Werten und Verhaltensmustern, des Zurückdrängens eines ganzen Kulturraumes eines Feindes."
Die westliche, tendenziell individualistische Welt mit ihren Fundamentalwerten wie "parlamentarische Demokratie", "Rechtsstaat" und "Menschenrechten", heute sicher in großen Teilen hedonistisch und säkular geprägt, das heißt überwiegend auch "gott-los" und eine Welt der formalen Gleichberechtigung von Mann und Frau, all das wird aus islamistischer Perspektive als ein "Kulturraum des Feindes" wahrgenommen.
Rolf Stolz, Kölner Psychologie und Publizist, erläutert den Hintergrund:
"Es geht in der islamischen Welt um eine sehr kollektivistisch geprägte Kultur, die nicht vom einzelnen und seinen Freiheiten her denkt, sondern vom Kollektiv her denkt."
Im Hinblick auf ein Täter-Psychogramm islamistisch geprägter Terroristen betont Rolf Stolz:
"Nun, diese Terroristen, die überwiegend Männer sind, handeln zu einem ganzen Stück auch erst mal aus einer sehr spezifischen Mischung von männlichen Überlegenheitsgefühlen und unbewusster, verleugneter Schwäche. Die Tat des Terroristen ist auch ein 'Sich-Beweisen' und nicht zuletzt ein 'Sich-Beweisen' als Mann. Faktoren wie die Ehre, der Ruhm, die Anerkennung, spielen eine ganz große Rolle. Auf den Videos der Selbstmordattentäter wird das ganz deutlich, wie stark sich dort Menschen stilisieren."
Wie jeder Mensch weisen natürlich auch Terroristen Identifikationen mit Gruppen, Gemeinschaften und mit Werten ihrer Herkunfts-Kultur auf, erläutert der Psychologe Rolf Stolz. Das Entscheidende sei allerdings der Stärkegrad von Identifikation, seine - bei Islamisten - vorliegende Überhöhung, in der sich auch die Problematik verdeutliche:
"Das Kennzeichnende ist für sehr viele der Terroristen, dass ein innerer Konflikt nach außen hin gelöst wird, ein innerer Konflikt, der besteht zwischen der Überidentifikation mit dem, was man für das "Gute", das "Wahre", das "Edle" hält. Im Falle des islamischen Terrorismus der "Islam", "Mohammed", letztlich "Allah". Dort Überidentifikation und das Gefühl den Willen Allahs verwirklichen zu müssen gegen die Feinde Allahs."
Überidentifikation mit der traditionell geprägten Welt des Islam als eine Art Abwehrreflex bei der Begegnung mit der als fremd und feindlich empfundenen Welt der westlich-liberalen Industrie- und Informationsgesellschaften, die noch dazu in Wohlstandszonen des - vergleichsweise - materiellen Überflusses leben? Ja, so könnte das Wahrnehmungsmuster extremistisch orientierter Muslime wohl zusammenfassend beschrieben werden.
Was heißt das konkret? Der aus Kairo stammende Lektor für Arabisch am Seminar für Arabistik und Islamwissenschaft an der Universität Göttingen, Akam Bischr, meint dazu:
"Ein Islamist in einem westlichen Land, der sieht natürlich dieses Land etwas dekadent in einiger Hinsicht. Ein Islamist sagt, ich werfe dem Westen vor, dass es zum Beispiel sexuelle Freiheit gibt, dass es viel Drogendealer gibt, sagen wir Drogenhandel meine ich gibt, und die Arbeit mit Zinsen, dass die Armen sozusagen keinen Platz mehr haben, die werden ignoriert ... es gibt so ein paar Punkte, wo man sagt, hier ist der Westen nicht so ganz o.k."
Eine ganz entscheidende Frage aber lautet auch: Können sich Islamisten auf ihre Bibel, den Koran, berufen, wenn sie Gewalt gegen den ungläubigen Westen propagieren und praktizieren? Akam Bischr, Universität Göttingen, antwortet, der heiklen Frage entsprechend, mit differenzierenden Hinweisen: einerseits ...
"Der Islam ist prinzipiell eine friedliche Religion ... Trotzdem ist der Islam zum Teil etwas militant, muss man sagen, vor allem, wenn es um Verteidigung geht ... .dann ist es erlaubt, dass man Krieg führt gegen andere, ob die gläubig sind oder nicht - selbst auch gegen Gläubige und Ungläubige - das ... spielt gar keine Rolle ... Islamist ist im Prinzip Extremist in seinem Denken, er tendiert zum Äußersten ... es gibt welche, die sagen, Dschihad muss man anders verstehen, in dem man wirklich etwas gewaltsam ... sein kann und besonders gegen Ungläubige. Und das ist auf jeden Fall, gibt's bei einigen hier in Europa, das haben wir auch gesehen, wie es in London war, wie es in Spanien war ... ."
... .und wie es beinahe in Deutschland durch die Kofferbomben-Attentäter gekommen wäre.
Doch was im Islam unter Berufung auf den Koran als "Verteidigung" zur Gewalt-Rechtfertigung interpretiert wird, das bedeutet für den attackierten Westen einen klaren Angriff auf seine Gesellschaften. Wenn auf dem Boden westlicher Staaten, zum Beispiel in Deutschland und Europa, im so genannten "asymmetrischen Krieg", Terrorgruppen wahllos in Bevölkerungsgruppen hineinbomben, dann sind das schwerste polit-kriminelle Taten. Dass die unter der Kultur-Differenz entfremdeten Gewalt-Akteure in ihrer islamistischen Wahrnehmungs-Verengung dies anders sehen, ändert nichts am verbrecherischen Charakter der Terrorangriffe auf die Zivilbevölkerung.
Aber: weshalb fühlen sich denn Islamisten überhaupt "angegriffen", wie sie meinen, und wie erklären sich ihre gewaltsamen so genannten "Verteidigungs-Aktionen", die schlicht Terror darstellen? Dass der Westen "Gott-los und dekadent" sei, dass er sich angeblich nur materialistischen Werten verschrieben habe, wurde schon festgestellt. Claudia Sautter weist noch auf andere Aspekte hin:
"Dass die westlichen Gesellschaften eben auch als militärische und politische Hegemone wahrgenommen werden, die den Nahen Osten dominieren, ihm jedenfalls versuchen, Sichtweisen, Lebensweisen und die Art und Weise zu produzieren und zu wirtschaften aufdrängen wollen. Wir werden wahrgenommen als Ausbeuter von Öl. Wir werden wahrgenommen als Haus des Krieges, als Haus des Feindes im Gegensatz zum Haus des Islams des Friedens. Es wird wahrgenommen, dass wir Muslime verachten, mehr oder weniger und vor allem wird wahrgenommen, dass wir den Staat Israel in der einen oder anderen Form unterstützen."
Für Michael Wolffsohn, Geschichts- und Politik-Professor an der Bundeswehr-Hochschule in München, ist der in Europa auftretende islamistische Terror hausgemacht und habe im übrigen nichts mit dem Dauer-Nahost-Konflikt zwischen Palästinensern und Israelis zu tun, auch wenn dies als Erklärungspunkt propandistisch immer wieder seitens der Islamisten aufgezeigt und von anderen übernommen würde.
Die Terror-Variante sei auch nur eine Form der totalen Entfremdung von "importierten Menschengruppen", die größtenteils von den Aufnahmegesellschaften wie Ware behandelt würden. Kein Wunder, so Wolffsohn, dass zu einem späteren Zeitpunkt dann ein extremistischer Teil dieser Menschengruppen seine gewalttätigen Rechnungen präsentiere, wobei dies ein erklärender Hinweis und keine verständnisvolle Rechtfertigung der Terroraktionen sei:
"Es sind Menschen, die nie mehr in der alten Welt ihrer Eltern und Großeltern leben und noch nicht, vielleicht nie, in der heutigen Welt, in der sie physisch leben, aber nicht zu Hause sind. Das heißt der innereuropäische Terrorismus ist ein innereuropäisches Problem und ein Alarmzeichen dafür, dass wir es nicht vermocht haben, diese Gruppen an unsere Gesellschaft auch innerlich zu binden."
Die im Prinzip ungelöste Integrationsproblematik der Muslime stellt sich also als die eigentlich Frage - auch nach den Beweggründen für islamistischen Terror heraus. Wäre sie besser gelöst, wäre vielleicht auch die akute Gefahr eines Abgleitens junger Muslime in extremistische Zirkel - bis hin zu gewaltbereiten Islamisten - weniger virulent.
Doch genau darum, um die befriedigende und gewaltpräventive Integration der hier lebenden Muslime, ist es leider nicht zum besten bestellt. Nicht umsonst werden jeweils nach zugespitzten Konfliktsituationen, seien es die Vorkommnisse an der Berliner Rütli-Schule oder jetzt nach den Terror-Versuchen der Kofferbomber, hektisch "Integrationsgipfel" einberufen. Als nächstes soll Ende September eine von Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble inszenierte Islamkonferenz stattfinden, der besondere Bedeutung zukommt.
Welche Probleme Wolfgang Schäuble zu der Islamkonferenz motiviert haben, zeigt auch ein Blick in die multikulturellen Milieus der Ballungszentren in Deutschland, wo sich vielerorts Parallelgesellschaften etabliert haben, wobei die Anfälligkeit der hier lebenden Türken für islamistischen Radikalismus bislang eher gering ausgeprägt ist - noch! Trotzdem sind die Fakten brisant: In Berlin verlassen zum Beispiel 40 Prozent der türkischen Jugendlichen die Schule ohne Abschluss; viele von ihnen sind Muslime. Ein geradezu idealer Nährboden für extremistische Islam-Ideologen, wie der Migrationsforscher und Politikwissenschaftler Stefan Luft von der Universität Bremen warnend erläutert:
"Der Einfluss islamistischer Organisationen nimmt in den ethnischen Kolonien der deutschen Ballungszentren in den vergangenen Jahren kontinuierlich zu. Dies ist eine herausragende Gefahr. Der Kreis, insbesondere an jungen Menschen, die sich Hilfe suchend, Orientierung suchend, an diese islamistischen Leitfiguren hält, wird immer größer und aus dieser sich dynamisch entwickelnden Des-Integration, die wesentlich islamistisch beeinflusst ist, ist es nicht unwahrscheinlich, dass sich in Zukunft auch einzelne Persönlichkeiten völlig ausklinken und sich eben der terroristischen Szene zuwenden."
Und so endet eine morgendliche Anfahrt zur Schule oder zum Arbeitsplatz als Alptraum. Die Terroropfer erreichen nicht ihr eigentliches Ziel. Sie landen verletzt in Krankenhäusern oder in Zink-Särgen. Wer das Glück hatte, zu überleben, den verfolgen traumatisierende Bilder vermutlich lebenslang.
Zwei Tage nach den verheerenden Anschlägen taucht am 13. März 2004 ein Bekenner-Video auf. Der Fundort: ein Papierkorb nahe der großen Moschee am westlichen Standrand von Madrid. In ihm meldet sich der Militärsprecher der al-Qaida, Abu Dudschan al-Afghani, zu Wort und verkündet seine Droh-Botschaften:
"Wir erklären unsere Verantwortung für das, was in Madrid genau zweieinhalb Jahre nach den Angriffen auf New York und Washington geschehen ist. Es ist eine Antwort auf eure Zusammenarbeit mit den Verbrechern Bush und seinen Verbündeten. Dies ist eine Antwort auf die Verbrechen, die ihr in der Welt verübt habt, und zwar besonders in Irak und Afghanistan und es wird weitere (Antworten) geben, so Allah will. Ihr liebt das Leben, und wir lieben den Tod, was ein Beispiel dafür gibt, was der Prophet Muhammad gesagt hat. Wenn ihr eure Ungerechtigkeiten nicht stoppt, wird mehr Blut fließen, und diese Angriffe werden sehr klein sein verglichen mit dem, was geschehen wird und was ihr Terrorismus nennt."
Den Terror-Aktionen von Madrid folgen spektakuläre Anschläge auf das U-Bahn- und Bus-Netz von London. Vor sechs Wochen verhindert nur ein technischer Defekt, dass Kofferbomben im Nahverkehr der deutschen Bahn auf den Strecken Köln-Koblenz und Köln-Dortmund explodieren. Wären die Sprengsätze hochgegangen - die Folgen wären, ähnlich wie in Madrid und London, katastrophal gewesen. Die Bilanz fällt also eindeutig aus: "Der islamistische Terror hat Deutschland erreicht", urteilt der Islam-Experte und Göttinger Politikwissenschaftler Basam Tibi in einem Beitrag für die September-Ausgabe der Zeitschrift "Capital" über das Versagen der Politik bei der Integration der Muslime. Sein Essay steht für das einhellige Medienecho der letzten Wochen in Titel-Reportagen von Zeitungen und Zeitschriften sowie Sondersendungen in Funk und Fernsehen - auch der Deutschlandfunk berichtete mehrfach ausführlich.
Terror in den USA mit Flugzeugbomben, die in die Türme des World-Trade-Centers von New York rasen und deren Einsturz bewirken, Terror im Irak, Selbstmord-Attentate in Nahost, Zug-Anschläge im spanischen Madrid und London? Ja, das war für das Bewusstsein vieler Deutscher noch weit weg. Aber hoffentlich nicht bei uns! Das war der verständliche Wunsch nach Verschonung vor gewalttätigen Folgen der Weltpolitik. Doch spätestens seit dem Anschlagsversuch per Kofferbomben ist diese Zeit vorbei.
Terrorismus-Experten zeigen sich allerdings vom Gang der Ereignisse weniger überrascht und zwar,
"weil der Terrorismus, speziell wenn man über den islamistischen Terrorismus spricht, Deutschland bereits vor einigen Jahren erreicht hatte. Das geht zurück bis in das Jahr 2000, wo in der Nähe von Frankfurt/Main die Meliani-Gruppe festgenommen wurde, Islamisten, die vorhatten, auf dem Weihnachtsmarkt in Straßburg einen Terroranschlag zu verüben. Und diese Kette zieht sich fort über versuchte Terroranschläge bis hin zur Al Tahwid-Gruppe in Düsseldorf, die eine Gaststätte in Düsseldorf und eine jüdische Einrichtung in Berlin in die Luft jagen wollten."
So Kai Hirschmann, stellvertretender Direktor des Essener Instituts für Terrorismus-Forschung, zur Bedrohungslage in unserem Lande. Mit seiner Beurteilung steht er nicht alleine. Auch Claudia Sautter, jahrelange ARD-Korrespondentin in Nordafrika, Islam-Kennerin und Mitherausgeberin des kürzlich erschienenen Buches "Die Kinder des Dschihad", hält Deutschland für gefährdet:
"Zum einen sind deutsche Soldaten in Afghanistan, also für bestimmte islamistische radikale Milieus sind wir damit Teil im "Kampf gegen den Terror." Wir haben eine große jüdische Gemeinschaft hier, das heißt auch mögliche Anschlagsziele. Wir haben radikale Milieus auch hier ... .wenn man sich zum Beispiel in bestimmte Chat-Rooms begibt, wo sich Muslime untereinander austauschen."
Deutschland im Jahre 2006: Ein Land im Fadenkreuz islamistischer Terroristen. Zwar gehören die beiden festgenommenen mutmaßlichen Kofferbomben-Attentäter aus dem Libanon, nach dem jetzigen Ermittlungsstand keiner klassischen Terroristen-Struktur an. Kai Hirschmann bezeichnet diesen Typus als "freie Radikale". Sie verkörpern eher den unberechenbaren netten Nachbarn von nebenan, der sich allein oder zu zweit spontan für einen Anschlag entscheidet, was die Bekämpfung erschwert. Kurzum: die jetzt für alle sichtbar gewordene unerfreuliche Entwicklung hat eine lange Vorgeschichte, und sie führt zu einer Reihe von Fragen, die nach Antworten suchen. Zum Beispiel:
Aus welchen Motiven werden - insbesondere junge Muslime, die bei uns oder in anderen Ländern Europas teilweise schon in der zweiten bzw. dritten Generation leben und deren Staatsbürgerschaften besitzen - zu Akteuren extremistischer Gewaltaktionen gegen, vereinfacht gesagt, den offenbar so tief verhassten Westen ?
Wie entstehen handlungsleitende Feindbilder in islamistischen Milieus, die im Bombenterror gegen "Fremde" bzw. "Ungläubige" enden?
Gewiss, "Islamisten", so die Bezeichnung der extremistisch orientierten Muslime, sind zwar nur eine Minderheit der insgesamt über 3,4 Millionen in der Bundesrepublik lebenden Menschen dieser Glaubensrichtung. Auf 4000 Personen schätzt der Verfassungsschutz das gewaltbreite Potential unter ihnen, dennoch: das ist ein erhebliches und nicht zu unterschätzendes Gefahrenpotential.
Von historischem Interesse, das gleichzeitig auch Aufschlüsse über die Motivstruktur extremistischer Gewalttäter zulässt, ist auch die Frage, inwieweit sich der zeitgenössische islamistische Terrorist des 21. Jahrhunderts von seinen Vorgängern unterscheidet. Dazu Kai Hirschmann vom Institut für Terrorismusforschung:
""Er unterscheidet sich von seinen Vorgängern, dass er keine begrenzten politischen Zielsetzungen mehr hat, das heißt für einen eigenen Staat kämpft, für Separatismus kämpft, für eine Autonomie kämpft, sondern er kämpft für ein politisch-religiöses Ziel, ein großes Ziel des Zurückdrängens von Werten und Verhaltensmustern, des Zurückdrängens eines ganzen Kulturraumes eines Feindes."
Die westliche, tendenziell individualistische Welt mit ihren Fundamentalwerten wie "parlamentarische Demokratie", "Rechtsstaat" und "Menschenrechten", heute sicher in großen Teilen hedonistisch und säkular geprägt, das heißt überwiegend auch "gott-los" und eine Welt der formalen Gleichberechtigung von Mann und Frau, all das wird aus islamistischer Perspektive als ein "Kulturraum des Feindes" wahrgenommen.
Rolf Stolz, Kölner Psychologie und Publizist, erläutert den Hintergrund:
"Es geht in der islamischen Welt um eine sehr kollektivistisch geprägte Kultur, die nicht vom einzelnen und seinen Freiheiten her denkt, sondern vom Kollektiv her denkt."
Im Hinblick auf ein Täter-Psychogramm islamistisch geprägter Terroristen betont Rolf Stolz:
"Nun, diese Terroristen, die überwiegend Männer sind, handeln zu einem ganzen Stück auch erst mal aus einer sehr spezifischen Mischung von männlichen Überlegenheitsgefühlen und unbewusster, verleugneter Schwäche. Die Tat des Terroristen ist auch ein 'Sich-Beweisen' und nicht zuletzt ein 'Sich-Beweisen' als Mann. Faktoren wie die Ehre, der Ruhm, die Anerkennung, spielen eine ganz große Rolle. Auf den Videos der Selbstmordattentäter wird das ganz deutlich, wie stark sich dort Menschen stilisieren."
Wie jeder Mensch weisen natürlich auch Terroristen Identifikationen mit Gruppen, Gemeinschaften und mit Werten ihrer Herkunfts-Kultur auf, erläutert der Psychologe Rolf Stolz. Das Entscheidende sei allerdings der Stärkegrad von Identifikation, seine - bei Islamisten - vorliegende Überhöhung, in der sich auch die Problematik verdeutliche:
"Das Kennzeichnende ist für sehr viele der Terroristen, dass ein innerer Konflikt nach außen hin gelöst wird, ein innerer Konflikt, der besteht zwischen der Überidentifikation mit dem, was man für das "Gute", das "Wahre", das "Edle" hält. Im Falle des islamischen Terrorismus der "Islam", "Mohammed", letztlich "Allah". Dort Überidentifikation und das Gefühl den Willen Allahs verwirklichen zu müssen gegen die Feinde Allahs."
Überidentifikation mit der traditionell geprägten Welt des Islam als eine Art Abwehrreflex bei der Begegnung mit der als fremd und feindlich empfundenen Welt der westlich-liberalen Industrie- und Informationsgesellschaften, die noch dazu in Wohlstandszonen des - vergleichsweise - materiellen Überflusses leben? Ja, so könnte das Wahrnehmungsmuster extremistisch orientierter Muslime wohl zusammenfassend beschrieben werden.
Was heißt das konkret? Der aus Kairo stammende Lektor für Arabisch am Seminar für Arabistik und Islamwissenschaft an der Universität Göttingen, Akam Bischr, meint dazu:
"Ein Islamist in einem westlichen Land, der sieht natürlich dieses Land etwas dekadent in einiger Hinsicht. Ein Islamist sagt, ich werfe dem Westen vor, dass es zum Beispiel sexuelle Freiheit gibt, dass es viel Drogendealer gibt, sagen wir Drogenhandel meine ich gibt, und die Arbeit mit Zinsen, dass die Armen sozusagen keinen Platz mehr haben, die werden ignoriert ... es gibt so ein paar Punkte, wo man sagt, hier ist der Westen nicht so ganz o.k."
Eine ganz entscheidende Frage aber lautet auch: Können sich Islamisten auf ihre Bibel, den Koran, berufen, wenn sie Gewalt gegen den ungläubigen Westen propagieren und praktizieren? Akam Bischr, Universität Göttingen, antwortet, der heiklen Frage entsprechend, mit differenzierenden Hinweisen: einerseits ...
"Der Islam ist prinzipiell eine friedliche Religion ... Trotzdem ist der Islam zum Teil etwas militant, muss man sagen, vor allem, wenn es um Verteidigung geht ... .dann ist es erlaubt, dass man Krieg führt gegen andere, ob die gläubig sind oder nicht - selbst auch gegen Gläubige und Ungläubige - das ... spielt gar keine Rolle ... Islamist ist im Prinzip Extremist in seinem Denken, er tendiert zum Äußersten ... es gibt welche, die sagen, Dschihad muss man anders verstehen, in dem man wirklich etwas gewaltsam ... sein kann und besonders gegen Ungläubige. Und das ist auf jeden Fall, gibt's bei einigen hier in Europa, das haben wir auch gesehen, wie es in London war, wie es in Spanien war ... ."
... .und wie es beinahe in Deutschland durch die Kofferbomben-Attentäter gekommen wäre.
Doch was im Islam unter Berufung auf den Koran als "Verteidigung" zur Gewalt-Rechtfertigung interpretiert wird, das bedeutet für den attackierten Westen einen klaren Angriff auf seine Gesellschaften. Wenn auf dem Boden westlicher Staaten, zum Beispiel in Deutschland und Europa, im so genannten "asymmetrischen Krieg", Terrorgruppen wahllos in Bevölkerungsgruppen hineinbomben, dann sind das schwerste polit-kriminelle Taten. Dass die unter der Kultur-Differenz entfremdeten Gewalt-Akteure in ihrer islamistischen Wahrnehmungs-Verengung dies anders sehen, ändert nichts am verbrecherischen Charakter der Terrorangriffe auf die Zivilbevölkerung.
Aber: weshalb fühlen sich denn Islamisten überhaupt "angegriffen", wie sie meinen, und wie erklären sich ihre gewaltsamen so genannten "Verteidigungs-Aktionen", die schlicht Terror darstellen? Dass der Westen "Gott-los und dekadent" sei, dass er sich angeblich nur materialistischen Werten verschrieben habe, wurde schon festgestellt. Claudia Sautter weist noch auf andere Aspekte hin:
"Dass die westlichen Gesellschaften eben auch als militärische und politische Hegemone wahrgenommen werden, die den Nahen Osten dominieren, ihm jedenfalls versuchen, Sichtweisen, Lebensweisen und die Art und Weise zu produzieren und zu wirtschaften aufdrängen wollen. Wir werden wahrgenommen als Ausbeuter von Öl. Wir werden wahrgenommen als Haus des Krieges, als Haus des Feindes im Gegensatz zum Haus des Islams des Friedens. Es wird wahrgenommen, dass wir Muslime verachten, mehr oder weniger und vor allem wird wahrgenommen, dass wir den Staat Israel in der einen oder anderen Form unterstützen."
Für Michael Wolffsohn, Geschichts- und Politik-Professor an der Bundeswehr-Hochschule in München, ist der in Europa auftretende islamistische Terror hausgemacht und habe im übrigen nichts mit dem Dauer-Nahost-Konflikt zwischen Palästinensern und Israelis zu tun, auch wenn dies als Erklärungspunkt propandistisch immer wieder seitens der Islamisten aufgezeigt und von anderen übernommen würde.
Die Terror-Variante sei auch nur eine Form der totalen Entfremdung von "importierten Menschengruppen", die größtenteils von den Aufnahmegesellschaften wie Ware behandelt würden. Kein Wunder, so Wolffsohn, dass zu einem späteren Zeitpunkt dann ein extremistischer Teil dieser Menschengruppen seine gewalttätigen Rechnungen präsentiere, wobei dies ein erklärender Hinweis und keine verständnisvolle Rechtfertigung der Terroraktionen sei:
"Es sind Menschen, die nie mehr in der alten Welt ihrer Eltern und Großeltern leben und noch nicht, vielleicht nie, in der heutigen Welt, in der sie physisch leben, aber nicht zu Hause sind. Das heißt der innereuropäische Terrorismus ist ein innereuropäisches Problem und ein Alarmzeichen dafür, dass wir es nicht vermocht haben, diese Gruppen an unsere Gesellschaft auch innerlich zu binden."
Die im Prinzip ungelöste Integrationsproblematik der Muslime stellt sich also als die eigentlich Frage - auch nach den Beweggründen für islamistischen Terror heraus. Wäre sie besser gelöst, wäre vielleicht auch die akute Gefahr eines Abgleitens junger Muslime in extremistische Zirkel - bis hin zu gewaltbereiten Islamisten - weniger virulent.
Doch genau darum, um die befriedigende und gewaltpräventive Integration der hier lebenden Muslime, ist es leider nicht zum besten bestellt. Nicht umsonst werden jeweils nach zugespitzten Konfliktsituationen, seien es die Vorkommnisse an der Berliner Rütli-Schule oder jetzt nach den Terror-Versuchen der Kofferbomber, hektisch "Integrationsgipfel" einberufen. Als nächstes soll Ende September eine von Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble inszenierte Islamkonferenz stattfinden, der besondere Bedeutung zukommt.
Welche Probleme Wolfgang Schäuble zu der Islamkonferenz motiviert haben, zeigt auch ein Blick in die multikulturellen Milieus der Ballungszentren in Deutschland, wo sich vielerorts Parallelgesellschaften etabliert haben, wobei die Anfälligkeit der hier lebenden Türken für islamistischen Radikalismus bislang eher gering ausgeprägt ist - noch! Trotzdem sind die Fakten brisant: In Berlin verlassen zum Beispiel 40 Prozent der türkischen Jugendlichen die Schule ohne Abschluss; viele von ihnen sind Muslime. Ein geradezu idealer Nährboden für extremistische Islam-Ideologen, wie der Migrationsforscher und Politikwissenschaftler Stefan Luft von der Universität Bremen warnend erläutert:
"Der Einfluss islamistischer Organisationen nimmt in den ethnischen Kolonien der deutschen Ballungszentren in den vergangenen Jahren kontinuierlich zu. Dies ist eine herausragende Gefahr. Der Kreis, insbesondere an jungen Menschen, die sich Hilfe suchend, Orientierung suchend, an diese islamistischen Leitfiguren hält, wird immer größer und aus dieser sich dynamisch entwickelnden Des-Integration, die wesentlich islamistisch beeinflusst ist, ist es nicht unwahrscheinlich, dass sich in Zukunft auch einzelne Persönlichkeiten völlig ausklinken und sich eben der terroristischen Szene zuwenden."