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"Ihr seid unsere Juden"

Im Iran lebt mit 25.000 Menschen die neben Israel größte jüdische Gemeinde des Nahen Ostens. Angesichts der antisemitischen Ausfälle des gegenwärtigen iranischen Präsidenten Ahmadinedschad mag dies erstaunen. Roya Hakakian, die als Kind jüdischer Eltern im Jahre 1966 in Teheran geboren wurde, beschreibt in ihrer Biographie die Lebenswirklichkeit der iranischen Juden - vor allem die ihrer Generation in den Jahren kurz vor, während und nach der Islamischen Revolution von 1978/79.

Von Katajun Amirpur | 31.07.2008
    Als Roya, jüngstes Kind einer jüdisch-persischen Familie, zwölf Jahre alt ist, findet in Iran eine Revolution statt. Teheran, Royas Heimatstadt, ist erfüllt von einer optimistischen Aufbruchstimmung. Nicht anders als die meisten muslimischen Jugendlichen blicken viele der jüdischen hoffnungsvoll in die Zukunft. Diese Revolution, die vor allem von Studenten sowie der Arbeiter- und der Intellektuellenschicht getragen wurde, sollte die Diktatur des Schah Mohammad Reza Pahlavi beseitigen und Meinungsfreiheit und Unabhängigkeit von fremden Mächten bringen.

    Die Generation von Royas Vater ist skeptischer, denn unter dem Schah hatte sie eine zweite Goldene Ära erlebt - nach der unter dem Perserkönig Kyros, der die Juden aus der babylonischen Gefangenschaft befreit und nach Persien gebracht hatte. Die jüdische Gemeinde Irans war in seiner Regierungszeit, die von 1942 bis 1979 dauerte - anders als in den Jahren zuvor - wirtschaftlich erfolgreich und erfreute sich großer kultureller Autonomie. Ursache dafür war unter anderem das freundschaftliche Verhältnis zwischen Israel und dem Schah.

    Und genau deshalb und weil der neue politische Führer Ayatollah Khomeini in einigen seiner Reden durchaus antisemitisch geklungen hatte, war sich die jüdische Gemeinde und mit ihr Royas Vater nicht sicher, was sie nun unter einer neuen, islamischen Regierung erwartete. Roya hingegen hört von Khomeini über die ältere Schwester einer Schulfreundin und ist fasziniert von seinen Ideen der Freiheit und nationalen Unabhängigkeit. Heute findet sie, dass sich die Befürchtungen der Väter nicht bewahrheitet haben:

    "Im April 1979 hat Khomeini eine sehr wichtige Ansprache gehalten und gesagt, wie unterscheiden zwischen den Juden Irans und dem zionistischen Regime. Und daran haben sich die Juden Irans geklammert. Khomeini selbst hat gesagt, wir verwechseln euch nicht mit denen: Ihr seid seit 2500 Jahren hier und ihr seid unsere Juden. Ihr seid von hier und das da sind menschenfressende, blutrünstige Zionisten. Das war die Philosophie Khomeinis und die besteht weiter fort und in ihrem Schatten fühlen sich die Juden Irans relativ sicher."
    In all den Jahren seit der Islamischen Revolution hat es von wenigen Ausnahmen abgesehen keine spezifische Verfolgung von Juden gegeben. Auch davon erzählt Hakakian in ihrem Buch: Sie werden in dem Maß diskriminiert, wie die anderen, offiziell anerkannten religiösen Minderheiten in Iran diskriminiert werden, das heißt, sie sind frei in der Ausübung ihrer Religion, können aber nicht gleichberechtigt am politischen Geschehen teilnehmen und werden auch im Recht benachteiligt.

    "Nirgendwo im iranischen Recht steht geschrieben, dass Juden nicht Universitätsprofessor werden können. Aber wer es werden möchte, braucht eine Unbedenklichkeitsbescheinigung der Moschee in seinem Viertel. Wie soll ein Jude da dran kommen? Oder ein anderes Beispiel: Zu Beginn des iranisch-irakischen Krieges sind unheimlich viele jüdische Ärzte und Krankenschwestern aus Iran weggegangen. Wieso gerade die? Weil ganz viele Juden, wie viele Muslime auch, zu Kriegszeiten als Ärzte und Krankenschwestern helfen wollten - doch dann wurde ihnen gesagt, sie dürften keine Muslime behandeln, weil sie unrein sind."
    Roya Hakakians Beschreibungen fehlt es nicht an Witz und Sarkasmus. So schildert sie beispielsweise wie die Lehrerin, die muslimische Lehrerin, den jüdischen Schülerinnen erläutert, welcher Satan auf sie lauert, wenn sie ihre Kopftücher verrutschen lassen oder auch nur eine Stirnlocke sichtbar wird. Dabei verharmlost Hakakian sicherlich nichts in ihrem Buch, aber es liest sich auch nicht wie eines der üblichen Schauermärchen aus dem Reich der Ayatollahs. Im Gegenteil: Sie differenziert sehr genau und will deshalb nicht einstimmen in den Chor derer, die eine militärische Intervention in Iran befürworten, weil sie Iran am Vorabend eines neuen Holocausts am jüdischen Volks wähnen. Dass sie sich damit des "appeasements" verdächtig macht, ist ihr klar.

    "Man kann wahrscheinlich der Wahrheit nie wirklich nahe kommen. Sobald man über Iran und Juden redet, fangen alle sofort an mit Deutschland und dem Holocaust und fangen an zu vergleichen. Und dann musst du sagen, nein wie Deutschland war das nicht. Aber sobald du das gesagt hast, klingt es schon wieder so, als sei nichts gewesen. Das Ding ist aber eigentlich gar nicht Iran oder die Außergewöhnlichkeit Irans, sondern außergewöhnlich ist das, was sich hier in Deutschland zugetragen hat. Das ist einfach eine Ausnahme, was hier geschehen ist. Es passierten schlimme Dinge mit den Juden in Iran, aber man machte keine Seife aus ihnen. Und wenn man Iran dann mit Deutschland vergleicht, klingt es immer gleich so, als sei dort alles toll gewesen."
    Wenn Hakakian ihr Buch vorstellt - wie kürzlich auf einer Lesereise in Deutschland - kommt natürlich immer die Frage, ob sich Iran heute nicht an dem Punkt befindet, an dem sich Deutschland 1933 befunden hat, denn schließlich hat Irans Präsident Ahmadinejad durch eine sehr martialische Rhetorik gegenüber Israel von sich Reden gemacht.

    "Mir sagen viele, ich sei sehr naiv, in Deutschland sei es auch am Anfang nicht so schlimm gewesen. Und nun fange es mit Ahmadinejad an und wird dann langsam ganz schlimm. Aber der allgemeine Unterschied ist doch, dass 1933 Hitler für Deutschland etwa Neues war, 2008 ist Ahmadinejad für Iran nichts Neues mehr. Ahmadinejad kommt dreißig Jahre nach Khomeini. Wenn jemand etwas gegen die Juden hätte machen können, dann wäre es Khomeini gewesen. Aber jetzt gibt es kein Volk mehr, dass dem Regime so treu wäre, dass es losziehen würde, Menschen umzubringen."
    Es ist das Verdienst Hakakians, die Lebenswirklichkeit der iranischen Juden abgebildet zu haben. Andererseits wird vermutlich jeder, der "Bitterer Frühling" liest und der auch "Persepolis", den hochgelobten Comicstreifen der Muslimin Marjane Satrapi kennt, der kürzlich in den deutschen Kinos lief, zu dem Schluss kommen, dass die Islamische Revolution in Iran Menschen beider Konfessionen, Juden wie Muslime, gleichermaßen um ihre Träume und um ihre Jugend gebracht hat. Vor dem islamistischen Terror der Mullahs waren und sind liberale Muslime und Juden gleich.

    Hakakian, Roya: Bitterer Frühling, Meine Jugend im Iran der Revolutionszeit, München 2008.