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Ikone der Emanzipation

Simone de Beauvoir gilt als Vorkämpferin für die Rechte der Frau im 20. Jahrhundert. Als Philosophin und Schriftstellerin trat sie entschieden für die intellektuelle und materielle Unabhängigkeit der Frau ein. Sie war überzeugt: Freiheit ist kein Geschenk, Freiheit muss erkämpft werden.

Von Ruth Jung | 09.01.2008
    "Wenn ich meine Lebenslinie betrachte, so bin ich erstaunt über ihre Kontinuität:
    Ich bin geboren und habe gelebt in Paris und auch während meiner Lehrtätigkeit in Marseille und Rouen blieb ich dort verankert. (…) Paris hat sich seit meiner Jugend verändert, und doch finde ich es immer wieder: im Jardin du Luxembourg, an der Sorbonne, in der Bibliothèque National, auf dem Boulevard Montparnasse, an der Place Saint Germain."


    Simone de Beauvoir in ihrer Autobiografie. Die am 9. Januar 1908 geborene "Tochter aus gutem Hause" fand in Paris jenes geistige Klima, das ihr entsprach. In der Metropole der Revolutionen und Avantgarden konnte sie selbstbestimmt leben. Entsprechend ihrer philosophischen Überzeugung, wonach der Mensch nur dann frei sei, wenn er sich selbst als freier Mensch lebt.

    Für dieses Ziel nahm die schöne junge Frau auch den Bruch mit Familie und Konventionen in Kauf. Sich wie die streng katholische Mutter in die vorgegebene Frauenrolle zu fügen, das kam für die brillante Studentin der Philosophie nicht in Frage. Als Zweitbeste ihres Jahrgangs bestand Simone de Beauvoir 1929 das Examen an der Sorbonne; zu diesem Jahrgang gehörten Jean-Paul Sartre, Claude Lévi-Strauss, Raymond Aron und Maurice Merleau-Ponty.

    ""Sie bot uns einen Unterricht von außergewöhnlicher Qualität, und zweifellos liebte sie es, ihr Wissen weiterzugeben. Dennoch war ihre Zeit am Gymnasium wohl nur eine vorübergehende und gewiss nicht die entscheidenste Phase in ihrem Leben","

    erinnert sich eine ehemalige Schülerin an die prominente Philosophielehrerin. Intellektuelle Arbeit und radikale Selbstanalyse waren für Beauvoir notwendige Voraussetzungen für ein Leben in Freiheit, das sie mit eisernem Willen verteidigte. Dazu hätte eine Heirat mit dem Philosophen Jean-Paul Sartre ebenso wenig gepasst wie Kinder.

    1930 schloss sie mit Jean-Paul Sartre einen "erneuerbaren Freundschaftspakt": er hielt ein Leben lang. Beauvoirs erster Roman "L’invitée" ("Sie kam und blieb") erschien 1943. Im selben Jahr gab sie den Lehrerberuf auf, um sich ausschließlich dem Schreiben zu widmen: Essais, Romane, Theaterstücke, Novellen folgten. 1954 erhielt sie den renommierten Prix Goncourt.

    Sie habe nicht gedacht, dass sie sich eines Tages mit Problemen des Feminismus beschäftigen würde, bekundet Simone de Beauvoir 1948 in einem Interview. Sie spricht über jenes Buch, mit dem sie Geschichte schrieb: "Le deuxième sexe" ("Das andere Geschlecht"). Bis dahin sei sie überzeugt gewesen, dass ausschließlich sozio-ökonomische Ursachen die gesellschaftliche Lage der Frau bestimmen.
    Mit wissenschaftlicher Genauigkeit geht Beauvoir der Frage nach, wie Weiblichkeit entsteht. Und die 41-jährige Philosophin erkennt, dass es in erster Linie Erziehung und gesellschaftliche Normen sind, die darüber bestimmen, was Weiblichkeit zu sein hat:

    "Man wird nicht als Frau geboren, man wird zur Frau gemacht. (…) Sie wird stets bestimmt und unterschieden im Verhältnis zum Mann, er jedoch wird nie definiert im Verhältnis zu ihr; sie ist das Unwesentliche im Verhältnis zum Wesentlichen; er ist das Subjekt, er ist das Absolute: Sie ist das Andere."

    Mit ihrer auf über 900 Seiten dargelegten Betrachtung und Analyse der Rolle der Frau in der westlichen Kultur war Simone de Beauvoir ihrer Zeit voraus. Erst 1946 hatten die Französinnen das Wahlrecht erhalten, nach wie vor fügten sich die meisten Frauen dem Diktat des katholischen Familienideals.

    In den Augen der Rezensenten war dieses Buch einer Frau, die sich nicht scheute, offen über weibliche Sexualität zu sprechen, schlicht ein Skandal. Über die Heftigkeit der Angriffe zeigte sich Beauvoir dann doch erschüttert. Trotzdem wurde das in 33 Sprachen übersetzte Buch - der Vatikan setzte es auf den Index - ein Bestseller.

    ""Die emanzipierte Frau sieht sich selbst als aktiver und zupackender Mensch, sie verweigert die passive Rolle, die der Mann ihr als wesenhaft aufzwingen will","

    lautete Beauvoirs Credo. Mitte der 60er Jahre engagierte sie sich aktiv in der neuen Frauenbewegung, deren Wortführerin sie wurde. Es waren die Feministinnen der 60er und 70er Jahre, die ihr Standardwerk wiederentdeckten: "Le deuxième sexe" wurde zur Pflichtlektüre und die Autorin zu einer Ikone der Emanzipation. Denn sie hatte bewiesen, dass Frauen genauso wie Männer zur Freiheit fähig sind - auch um den Preis des Verzichts auf Mutterschaft. Doch dieses Thema hat Simone de Beauvoir zeitlebens ignoriert. Sie starb am 14. April 1986 in Paris.