Der Reigen der medialen Feierlichkeiten zum 100. Geburtstag von Simone de Beauvoir begann mit einem kleinen Eklat: "Simone de Beauvoir - die Skandalöse" titelt diese Woche das links-liberale Wochenmagazin "Nouvel Observateur" und illustriert die Schlagzeile mit nackten Tatsachen: Das Titel-Foto zeigt die Philosophin im Badezimmer, splitternackt, von hinten. Die Frauenorganisation "Choisir la cause des femmes", einst von Simone de Beauvoir mitgegründet, protestierte prompt gegen diesen reißerischen Titel und die - so wörtlich - " Verletzung der Würde der Frauen ". Zu recht. Schließlich ist es kaum vorstellbar, dass der Nouvel Observateur zum Beispiel Albert Camus mit einem Nacktfoto ehren würde. Doch der nackte Hintern von Simone de Beauvoir auf dem Magazintitel ist nicht nur ein x-ter Beleg für sexistische Verkaufsstrategien, sondern sagt auch viel über den, so die Psychoanalytikerin Julia Kristeva, "sehr komplizierten Umgang der Franzosen mit der Person und dem Werk von Simone de Beauvoir":
" Da wird eine Frau gezeigt, die quasi mit dem Hintern denkt. Dass man über ihr Privatleben spricht und die Tatsache betont, dass Leidenschaft bei ihr eine sehr wichtige Rolle spielt, ist schon richtig. Denn sie ist nicht abstrakt - ihr Liebesleben war wichtig für ihre Philosophie, sie ist ja keine Scholastikerin. Aber ich denke, in dieser skandalträchtigen Darstellung steckt viel Aggressivität. "
Eine Aggressivität, die von fern an all die Angriffe erinnert, denen Simone de Beauvoir in Frankreich ausgesetzt war. Zu Lebzeiten und danach.
Mit Entrüstung wurde 1949 das Buch aufgenommen, das Simone de Beauvoir zur Mutter des modernen Feminismus machte: Le deuxieme sexe, Das andere Geschlecht. Der Schriftsteller Julien Gracq beklagte die - Zitat - "erschreckende Unanständigkeit des Tons", Camus "eine Beleidigung des Mannes", Francois Mauriac nannte das Buch schlicht ein "Brechmittel". Und nicht nur Männer reagierten aggressiv.
Kurz nach dem Tod von Simone de Beauvoir 1986 urteilte eine führende französische Feministin kalt: "Dieser Tod ist kein Ereignis, er ist eine Schicksalswende, die den Eintritt der Frauen ins 21. Jahrhundert beschleunigen wird." Simone de Beauvoir war in die Kritik der so genannten "Differenz-Feministinnen" geraten - Beauvoirs Idee von der Gleichheit der Geschlechter, so der Vorwurf, sei männlich dominiert. Julia Kristeva:
" Beauvoir ist eine Universalistin. Wir sind alle Brüder, schreibt sie. Da ist ein Streben danach, genauso wie die Männer zu werden, eine Aufwertung des männlichen Geschlechts.
Psychoanalyse, Literatur, die Entwicklung der Familie, die sozialen Kämpfe für Gleichstellung haben inzwischen eine Komplexität der Frau offenbart, die es bei Beauvoir nicht gibt. Aber die sie uns überhaupt erst zu denken ermöglicht! Ohne "Das andere Geschlecht" war das alles undenkbar - deshalb stehen wir in ihrer Schuld. Aber wir entwickeln etwas Anderes. Wir versuchen, weiter zu gehen. "
Mit ihrer kritischen und gleichzeitig empathischen Haltung ist Julia Kristeva eine Lichtgestalt im französischen Simone-de-Beauvoir-Gedenkrummel. Sie hat auch die zentrale Veranstaltung zum 100. Geburtstag in Paris organisiert: Ein internationales Kolloquium, bei dem nicht nur die Feministin, sondern auch die Schriftstellerin und die Philosophin und nicht zuletzt natürlich auch das legendäre Paar Sartre-Beauvoir gewürdigt und diskutiert werden sollen. Doch Sartre - das ist wohl das Bemerkenswerteste - ist in den letzten Jahren mehr und mehr in den Hintergrund gerückt: Beauvoir wird zunehmend als eigenständige Denkerin wahrgenommen, wenn nicht gar als die eigentliche treibende Kraft bei der gemeinsamen Erfindung des "engagierten Intellektuellen" à la francaise:
" Man hat aufzeigen können, dass die Idee des Engagements von ihr kam. In einem Brief an Sartre schreibt sie, wie ihr Freund Bost - der gerade ihr Liebhaber geworden ist - an der Front leidet, und sie sagt, dass man in so einer Situation nicht neutral bleiben dürfe, das es absolut notwendig sei, sich zu engagieren. Da sieht man, wie bei ihr Gefühlsleben und ein gewisser christlicher Humanismus zu etwas führen, was damit nichts mehr zu tun hat, sondern eine existenzialistische Philosophie werden wird. Eine Philosophie, die auf sehr persönliche und unerwartete Weise in den Falten der Subjektivität aufkeimt. "
"Beauvoir ist aus dem Fegefeuer herausgetreten, um eine außerordentlich präsente und lebendige Figur zu werden." So beschreibt der Leitartikler des "Magazine litteraire" das erstaunliche posthume Comeback von Simone de Beauvoir zum 100. Geburtstag in Frankreich. Ein Comeback, das sich allerdings letztlich auf eine nicht ganz so große Öffentlichkeit beschränkt. So hat zum Beispiel das französische Kulturministerium, das gerade mit großem Trara ein Olivier Messiaen-Jahr zum 100. Geburtstag des Komponisten eröffnet hat, zum 100. von Simone de Beauvoir bisher keine größeren Feierlichkeiten angekündigt. Honni soit qui mal y pense.
" Da wird eine Frau gezeigt, die quasi mit dem Hintern denkt. Dass man über ihr Privatleben spricht und die Tatsache betont, dass Leidenschaft bei ihr eine sehr wichtige Rolle spielt, ist schon richtig. Denn sie ist nicht abstrakt - ihr Liebesleben war wichtig für ihre Philosophie, sie ist ja keine Scholastikerin. Aber ich denke, in dieser skandalträchtigen Darstellung steckt viel Aggressivität. "
Eine Aggressivität, die von fern an all die Angriffe erinnert, denen Simone de Beauvoir in Frankreich ausgesetzt war. Zu Lebzeiten und danach.
Mit Entrüstung wurde 1949 das Buch aufgenommen, das Simone de Beauvoir zur Mutter des modernen Feminismus machte: Le deuxieme sexe, Das andere Geschlecht. Der Schriftsteller Julien Gracq beklagte die - Zitat - "erschreckende Unanständigkeit des Tons", Camus "eine Beleidigung des Mannes", Francois Mauriac nannte das Buch schlicht ein "Brechmittel". Und nicht nur Männer reagierten aggressiv.
Kurz nach dem Tod von Simone de Beauvoir 1986 urteilte eine führende französische Feministin kalt: "Dieser Tod ist kein Ereignis, er ist eine Schicksalswende, die den Eintritt der Frauen ins 21. Jahrhundert beschleunigen wird." Simone de Beauvoir war in die Kritik der so genannten "Differenz-Feministinnen" geraten - Beauvoirs Idee von der Gleichheit der Geschlechter, so der Vorwurf, sei männlich dominiert. Julia Kristeva:
" Beauvoir ist eine Universalistin. Wir sind alle Brüder, schreibt sie. Da ist ein Streben danach, genauso wie die Männer zu werden, eine Aufwertung des männlichen Geschlechts.
Psychoanalyse, Literatur, die Entwicklung der Familie, die sozialen Kämpfe für Gleichstellung haben inzwischen eine Komplexität der Frau offenbart, die es bei Beauvoir nicht gibt. Aber die sie uns überhaupt erst zu denken ermöglicht! Ohne "Das andere Geschlecht" war das alles undenkbar - deshalb stehen wir in ihrer Schuld. Aber wir entwickeln etwas Anderes. Wir versuchen, weiter zu gehen. "
Mit ihrer kritischen und gleichzeitig empathischen Haltung ist Julia Kristeva eine Lichtgestalt im französischen Simone-de-Beauvoir-Gedenkrummel. Sie hat auch die zentrale Veranstaltung zum 100. Geburtstag in Paris organisiert: Ein internationales Kolloquium, bei dem nicht nur die Feministin, sondern auch die Schriftstellerin und die Philosophin und nicht zuletzt natürlich auch das legendäre Paar Sartre-Beauvoir gewürdigt und diskutiert werden sollen. Doch Sartre - das ist wohl das Bemerkenswerteste - ist in den letzten Jahren mehr und mehr in den Hintergrund gerückt: Beauvoir wird zunehmend als eigenständige Denkerin wahrgenommen, wenn nicht gar als die eigentliche treibende Kraft bei der gemeinsamen Erfindung des "engagierten Intellektuellen" à la francaise:
" Man hat aufzeigen können, dass die Idee des Engagements von ihr kam. In einem Brief an Sartre schreibt sie, wie ihr Freund Bost - der gerade ihr Liebhaber geworden ist - an der Front leidet, und sie sagt, dass man in so einer Situation nicht neutral bleiben dürfe, das es absolut notwendig sei, sich zu engagieren. Da sieht man, wie bei ihr Gefühlsleben und ein gewisser christlicher Humanismus zu etwas führen, was damit nichts mehr zu tun hat, sondern eine existenzialistische Philosophie werden wird. Eine Philosophie, die auf sehr persönliche und unerwartete Weise in den Falten der Subjektivität aufkeimt. "
"Beauvoir ist aus dem Fegefeuer herausgetreten, um eine außerordentlich präsente und lebendige Figur zu werden." So beschreibt der Leitartikler des "Magazine litteraire" das erstaunliche posthume Comeback von Simone de Beauvoir zum 100. Geburtstag in Frankreich. Ein Comeback, das sich allerdings letztlich auf eine nicht ganz so große Öffentlichkeit beschränkt. So hat zum Beispiel das französische Kulturministerium, das gerade mit großem Trara ein Olivier Messiaen-Jahr zum 100. Geburtstag des Komponisten eröffnet hat, zum 100. von Simone de Beauvoir bisher keine größeren Feierlichkeiten angekündigt. Honni soit qui mal y pense.