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Ikone der Publizistik

Ohne Marion Gräfin Dönhoff ist die Geschichte der deutschen Publizistik nach 1945 kaum zu erzählen: Sie war es, die aus der "Zeit" das Zentralorgan des deutschen Bildungsbürgers und eine Tribüne kritischer Intellektueller machte.

Von Claus Menzel | 02.12.2009
    Man nannte sie einfach "die Gräfin" – und das hätte man vermutlich auch getan, wenn sie nicht als Tochter einer kaiserlichen Palastdame auf einem Herrensitz in Ostpreußen, sondern etwa im Berliner Wedding zur Welt gekommen wäre. Sie war streng konservativ und eine energische Verfechterin von Liberalität, Aufklärung und politischer Vernunft. Dass sie mit den alerten, jungen Herren, die auch aus ihrem Blatt, der Hamburger "Zeit", ein flockig-lockeres Zeitgeist-Magazin zu machen versuchten, ein paar Probleme bekam, hat sie denn auch nie verheimlicht. Aber Marion Gräfin Dönhoff, geboren am 2. Dezember 1909, war nun einmal "die Gräfin". Autorität, aber nicht autoritär. Tolerant, aber nicht prinzipienlos.

    Tatsächlich lässt sich die Rolle, die diese Publizistin im deutschen Journalismus nach 1945 spielte, kaum überschätzen. Fünf Jahrzehnte lang gehörte sie zur Redaktion der "Zeit", zuständig für die Außen- und die Deutschlandpolitik, und wenn es Konrad Adenauers Rheinischer Republik gelang, das Bürgertum mit der parlamentarischen Demokratie zu versöhnen, war das auch und zumal ihr zu verdanken. Eine Selbstverständlichkeit war das nicht. Schließlich kam die Gräfin aus einer Familie, die zum preußischen Hochadel gehörte.

    "Aus jener Zeit ist die Zweiteilung eigentlich übrig geblieben: Dass ich dem Staat gegenüber, der Gesellschaft gegenüber, dem Ganzen gegenüber eine wahrscheinlich eher konservative Einstellung habe, indem ich die große Priorität des Kollektivs oder der Gemeinschaft sehe. Mir selber gegenüber, meinen Einstellungen anderen Menschen gegenüber ist Liberalität und das Sich-auf-das-Individuum-Einstellen das Wichtige."

    In Frankfurt am Main studierte sie gerade Volkswirtschaft, als Adolf Hitler und seine Nazis die Macht übernahmen. Vergeblich versuchte sie, die Hakenkreuzfahne zu entfernen, die auf dem Dach der Universität hing, immer mal wieder riss sie antisemitische Plakate ab. Dabei war auch sie dem Nationalsozialismus zunächst mit wohlwollendem Interesse begegnet:

    "Also, meine Vorstellung war: Da, in dieser Kombination von Nationalem und Sozialem oder Nationalismus und Sozialismus, da steckt was drin. Da muss man Acht geben. Und dann habe ich ein paar Mal den Hitler gesehen bei Versammlungen, die er abhielt, sah das Abstoßende an dieser Persönlichkeit, konnte mir überhaupt nicht vorstellen, dass der dieses Volk also neuen, herrlichen Zeiten entgegenführen würde. Und die ganze Skepsis begann, da hatte ich doch ein gewisses Gefühl dafür."
    Was Wunder, dass Marion Gräfin Dönhoff bald sehr enge Kontakte zu den Attentätern des 20. Juli 1944 unterhielt. Und nie hat sie vergessen, wem es zu verdanken war, dass sie ihre ostpreußische Heimat verlor. Die wehmütigen Bücher, die sie später ihren Kinder- und Jugendjahren widmete, der Erinnerung an die Himmel, die sich über weiten Feldern wölbten, an die schattigen Alleen und Sonnenblumen in den Gärten, gehören jedenfalls zur großen politischen Literatur der Nachkriegszeit.

    Vielleicht wirkte es deswegen nur konsequent, dass die Gräfin sehr energisch dafür plädierte, den deutschen Sonderweg durch die Geschichte endlich zu verlassen. Nur sollte ihrer Meinung nach der Westbindung die Öffnung gegenüber dem Osten folgen.

    "Erst war ich natürlich ganz für Adenauer gewesen, weil wir mussten ja erst mal Vertrauen im Westen gewinnen. Und das hat der wunderbar gemacht. Und dann kam natürlich, im weiteren Verlauf der Jahre der Punkt, wo er nun irgendwie eine Einstellung zum Osten finden musste. Und da fand ich eben sehr schlimm, dass er überhaupt kein Gefühl dafür hatte, sondern im Gegenteil aus seinem rheinischen Zorn gegen Preußen nun allerhand Gründe fand, mit denen er eigentlich die Mauer verdichtet hat. Aber dann, wie es dann so weit war, dass nun endlich Willy Brandt da war und nun endlich eine Ostpolitik machte, da habe ich mir gesagt: Nun muss man entweder ja oder nein sagen."

    Sie hat ja gesagt, laut und deutlich, obwohl sie den Schmerz über den Verlust der Heimat nie ganz verwinden konnte. In ihren letzten Jahren hat sie auch beklagt, dass der Raubtier-Kapitalismus die Grundlagen jener konservativen Bürgerlichkeit zu zerstören droht, in der sie das Fundament des Staates sah. Mit Auszeichnungen hat man sie überschüttet, gelobt und gefeiert wurde sie genug. Am meisten aber freute sie sich, als eine Schule in Polen ihren Namen bekam.

    Am 11. März 2002 starb Marion Gräfin Dönhoff in Rheinland-Pfalz. Auf einem Schloss.