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Ikone der Studentenbewegung

Am Freitag ist die Urne mit der Asche des Philosophen Herbert Marcuse fast 25 Jahre nach seinem Tod in Berlin beigesetzt worden. Marcuse galt in den Sechzigern als ein Vordenker der Studentenbewegung. In seinem Werk ''Der eindimensionale Mensch" kritisierte er das kapitalistische System, dem man nur durch die ''große Verweigerung'' entgehen könne.

18.07.2003
    Von Andreas Baum

    Am Symposium nehmen teil neben Herbert Marcuse, der zu meiner Linken sitzt...

    Aufbrausender Applaus. Im Jahr 1967 konnte Herbert Marcuse noch ganze Säle füllen. Im Audimax der Freien Universität zu Berlin sollen sich die Zuhörer noch auf den Fluren gedrängelt haben, um Sätzen wie diesen hingebungsvoll zu lauschen:

    Politik der Zerstörung, ohne etwas anderes an seine Stelle zu setzen, nein! Ich glaube, was ich und was die Opposition im Sinn hat, ist, sehr verschieden von einer Politik der Zerstörung um der Zerstörung willen.

    Heute ist das anders. Das Audimax ist nur knapp zur Hälfte gefüllt, Studierende sind eher eine Randerscheinung.

    Ich bin einfach jetzt ganz spät mal vorbeigekommen, und gehe aber vielleicht in die nächste, die dann wieder von vorne anfängt ...

    Vielleicht. Und auch die Frage, wer Herbert Marcuse war, können Studierende der Politologie von heute nur noch vage beantworten.

    Die ganze Frankfurter Schule ist ja schon total bekannt und die ganzen soziologischen Theorien. Also ich kenne mich da noch nicht so gut aus...

    Und außerdem sind Semesterferien. Selbst im traditionell aufrührerischen Asta der Freien Universität findet sich heute niemand mehr, den es drängt, zu Herbert Marcuse etwas zu sagen. Das wäre in den Sechzigern kaum denkbar gewesen. Der kleinen Schar der Marcuse-Anhänger und seiner Angehörigen kann dies nicht die Stimmung verderben. Den Rednern und Rednerinnen im Audimax gilt er immer noch als der Größte.

    Er war charismatisch und hat Hunderttausende von Menschen beeinflusst,

    sagt Angela Davis, US-amerikanischen Bürgerrechtlerin, Marcuse-Schülerin und heute selbst Professorin. Seine Ausstrahlung allein erkläre aber nicht die tiefe philosophische Einsicht, die Marcuses Denken in soziologische und politische Diskurse getragen habe. Peter Marcuse, der Sohn, 75 Jahre alt, betont, dass es weniger darum gehe, Asche in Berlin beizusetzen, als darum, daran zu erinnern, dass Marcuses Ideen immer noch höchst lebendig seien.

    Herbert Marcuse, der 1979 auf einer Vortragsreise durch Deutschland starb, hätte selbst wohl dafür gestimmt, in Kalifornien begraben zu werden. Auch Teile seiner Familie bestimmten mit dem Argument, dass in Deutschland schon genug jüdische Asche läge, dass seine Urne in die USA zurück geführt wurde. Nur ist sie dort nie beigesetzt worden, sondern lagerte in einem Bestattungsinstitut. Es ist Marcuses Enkel Harold, seines Zeichens Professor der Germanistik, zu verdanken, dass Herberts Asche doch noch nach Deutschland kommt, auf den Dorotheenstädtischen Friedhof in Berlin. Harold nämlich glaubt, dass es an der Zeit ist, die demokratischen und antiautoritären Traditionen, die es auch in Deutschland gibt, zu stärken.

    Es waren diese Traditionen, an die ich gedacht habe, dass Herbert eigentlich auf einem Friedhof, wo Hegel, wo Brecht, wo Bahro liegen, dass er eigentlich dort gut aufgehoben werden würde, in dieser Tradition.

    Wenn es stimmt, was Enkel Harold über seinen Großvater sagt, dann war für Herbert Marcuse neben allem Forschen und Schreiben die Arbeit mit seinen Studenten und Studentinnen der Kern seines Wirkens. Weshalb es um so bedauerlicher ist, dass so wenige da sind.

    Herbert hat es immer geliebt zu lehren. Er lehrte wegen seiner Studenten. Die waren die Menschen, die ihm was beigebracht haben.

    Harold Marcuses Meinung zufolge herrschen in seinem Heimatland, den USA, seit den Anschlägen vom 11. September autoritäre Tendenzen. Die Einschränkung der Bürgerrechte unter George W. Bush, der Krieg gegen den Irak, selbst eine Steuerreform zugunsten der Reichen, all dies seien Argumente dafür, sich mit den kapitalismuskritischen Lehren Herbert Marcuses auseinander zu setzen. Aber ohne die Studierenden geht es nicht:

    In den Studenten ruht das Potenzial, schöpferische neue Möglichkeiten zu finden, mit den immer neuen Möglichkeiten, die der Kapitalismus hervorbringt, dass es in diesem kritischen, schöpferischen Potenzial der Studenten, der Intellektuellen liegt, den weiteren Umgang mit den Herrschaftstechniken zu finden. Und ich meine, das ist für mich die Aktualität im Denken Herbert Marcuses.