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Illegale Lebensretter

Ende März 2001 machte die Hamburger Mordkommission einen grausigen Fund: Auf dem Balkon eines Mietshauses entdeckten die Beamten ein totes Baby, nur wenige Tage alt, eingewickelt in eine Plastikhülle.

Von Doris Arp | 06.01.2004
    Meldungen über ausgesetzte Säuglinge und Kindstötungen nach der Geburt lösen stets großes Entsetzen aus. Deshalb wurde die erste Babyklappe, wo Mütter anonym ihr Neugeborenes abgeben können, vor vier Jahren durchweg positiv aufgenommen. Seither sind überall in Deutschland insgesamt mindestens 50 Babyklappen eröffnet worden. Hinzu kommt eine unbekannte Zahl von Krankenhäusern, die schwangeren Frauen eine anonyme Geburt ermöglichen. Beides sind illegale Angebote, die von den Staatsanwaltschaften jedoch in der Regel geduldet werden.

    Die leiblichen Eltern haben sich ans Krankenhaus gewandt und gesagt, sie möchten anonym entbinden. Und das Krankenhaus hat Zivilcourage bewiesen und hat gesagt, wir machen das. Als die Wehen eingesetzt haben, sind die leiblichen Eltern ins Krankenhaus gegangen und haben dann anonym entbunden. Und das war alles Bestens. Das war so eine anonyme Geburt im klassischen Sinne.

    Nach der Geburt fuhren die Eltern wieder nach Hause – einmal halb durch die Republik. Den kleinen Franz, den sie im Krankenhaus ließen, nahmen Susanne und Bernd aus K. auf. Inzwischen sind sie rechtskräftig seine Eltern. Der anonym geborene Junge wurde von ihnen adoptiert.

    Ich denke, dass es eine akute Notlage war. Wir wissen, dass sie relativ jung war, und dass der leibliche Vater ein bisschen älter war, der war um die 30. Wir vermuten, dass sie noch in der Ausbildung war und noch bei den Eltern gewohnt hat, und dass es deswegen auch nicht ging.
    Laut einer Forsa-Umfrage sind 76 Prozent der Bundesbürger für die Einführung der Babyklappe und der anonymen Geburt.

    Die Fakten zwingen ja auch Politiker, darüber nachzudenken, ob eine gesetzliche Regelung erforderlich ist. Dass wir viele, viele Babyklappen schon im Bundesgebiet haben und natürlich auch hier in Baden-Württemberg. Es gibt auch anonyme Geburten. Und alles findet statt in einem Graubereich.
    Die FDP-Justizministerin des Landes Baden-Württemberg Corinna Werwigk-Hertneck wünscht deshalb dringend eine gesetzliche Regelung. Das Land hatte bereits im vorletzten Jahr einen Gesetzesentwurf eingebracht, der vom Bundesrat in die Ausschüsse verwiesen wurde.

    Der Kleine musste beatmet werden. Und die haben den Krankenwagen angerufen. Und die Sanitäter des Krankenwagens haben gefragt: Wer übernimmt die Kosten? Da sind sowohl die Ärzte als auch die Hebammen ins Stocken gekommen und haben gesagt: Wir klären das. Und die Sanitäter haben sofort die Polizei gerufen. Und die Polizei ist sofort ins Krankenhaus gefahren und hat gefragt, was da los ist. Dann haben die erst die Polizei in die Verwaltung gebracht. Und in der Zeit haben die halt die Mutter sicher untergebracht. Ich finde das ist eine Zivilcourage, die sie da bewiesen haben. Sie haben der Frau gesagt, wir unterstützen dich, wir helfen dir, und haben das bis in die letzte Konsequenz gemacht.

    Susanne ist sicher, dass Franz nur durch die Geburt im Krankenhaus überlebt hat. Unerwartet war seine Lunge zusammengebrochen und er musste zunächst künstlich beatmet werden.

    Das ist der zweite Punkt, dass man sagt, es werden ja Kinder ausgesetzt, die dann sterben. Können wir das mit einem solchen Instrument reduzieren. Und das nehmen wir an und das ist ein wichtiger Gesichtspunkt, Müttern zu signalisieren, bevor ihr die Kinder aussetzt oder gar tötet, es gibt die Möglichkeit in einem Krankenhaus auch anonym zu entbinden.

    Babyklappe statt Müllhalde, das ist die eingängige Formel der Befürworter anonymer Angebote. In Hamburg warb der private Anbieter der ersten Babyklappe der Hansestadt mit einer drastischen Schockkampagne. Der Verein beklebte Mülltonnen mit dem Spruch: Bitte keine frischen Babys einfüllen.
    Auch in Berlin gab es eine Werbeaktion: "Wir nehmen dein Kind, wenn keiner es will, ohne Namen, ohne Fragen, ohne Strafe."

    Babys retten, wer will das nicht. Das war so eingängig. Was ich allerdings kritisiere, ist, dass die, die es befürwortet haben, es sofort in die Praxis umgesetzt haben, überhaupt nicht versucht haben, sich auch nur halbwegs fachlich zu informieren.
    Die Diplompsychologin Regula Bott ist seit 17 Jahren im Jugendamt der Stadt Hamburg mit Adoptionen beschäftigt. Sie kritisiert die schnelle Ausbreitung von Babyklappen und anonymer Geburt in den letzten Jahren. Mit dem Angebot habe man überhaupt erst einen Bedarf geschaffen. Und nun, so ihre Kritik, will man diesen erzeugten Bedarf im nachhinein gesetzlich zementieren. Zusammen mit Christine Swientek von der Universität Hannover, die sich ebenfalls seit vielen Jahren mit dem Thema Adoption befasst, hat die Psychologin versucht, Fakten zu sammeln. Denn wissenschaftlich gesichertes Zahlenmaterial von Tötungen, Aussetzungen und anonymen Geburten gibt es bislang nicht.
    Ihre nicht-repräsentative Befragung von rund 50 Prozent aller bundesdeutschen Babyklappen und Krankenhäuser, die anonyme Geburt anbieten, ergab im Herbst 2002, dass innerhalb von cirka zwei Jahren mit Sicherheit 90 Kinder durch diese beiden Maßnahmen zu Findelkindern wurden. Hochgerechnet dürfte sich diese Zahl bis heute auf 120-150 addieren. In der gleichen Zeit sanken die Zahlen von Tötung und Lebendaussetzung nicht. Das angestrebte Ziel, Tötungen und Aussetzungen zu verringern, wird also offenbar nicht erreicht.
    Zum Vergleich: 1999 wurden 21 Kinder ausgesetzt und getötet, im Jahr 2002 waren es 20. In der ersten Hälfte letzten Jahres waren es 10 Kinder.
    Babys werden demnach nicht gerettet, meint Regula Bott. Dafür würden aber zunehmend Neugeborene zum Niemandskind gemacht, ohne jede Chance, die eigenen biografischen Wurzeln je kennen zu lernen. Und auch für die Mütter gibt es kaum ein Zurück aus der Anonymität.

    Sie werden mit der anonymen Geburt zu einer scheinbar einfachen Lösung verführt. Was es später bedeutet für sie und fürs Kind, bleibt völlig außen vor. Die Adoption geht ja gerade weg vom inkognito. Adoptierte und Abgebende, plus Geschwister und Halbgeschwister, manchmal Großeltern suchen inzwischen nach ihrer Geschichte und zu dieser Geschichte gehören Personen, real erfahrbare Personen, dass ich sie möglicherweise sehen und sprechen kann und nicht nur so lückenhafte Informationen und ich weiß nicht so genau. Den ganzen Adoptionsbereich Richtung offene, halb offene Adoption führt es um mindestens 50 Jahre zurück.
    Anonymität war einmal das oberste Gebot bei Adoptionen. Das ist für alle Beteiligten das einfachste, lautete damals die Einstellung der Fachleute. Die betroffenen Kinder erlebten es ganz anderes, weiß man heute aus Erfahrungsberichten von erwachsenen Adoptierten. Sie erzählen von einem Leben mit Andeutungen, Vermutungen, Vertrauensbruch, Unehrlichkeit. Und nicht zuletzt, wenn sie beispielsweise erst als Erwachsene vor dem Standesamt erfuhren, dass ihre Eltern gar nicht ihre leiblichen Eltern sind, hinterließ die Anonymität eine namenlose Lücke in ihrer Geschichte. Gitta Liese ist Vorsitzende der Bundesarbeitsgemeinschaft Adoptierte in Hamburg:

    Unser Verband spricht sich ganz kategorisch gegen Babyklappen und gegen anonyme Geburten aus. Und zwar ist natürlich unser tragendes Argument, dass uns die Kenntnis der Herkunft verweigert wird. Wir begründen das insofern, wir sind die Betroffenen und nur wir wissen, wie es sich damit lebt, seine Herkunft nicht kennen zu dürfen..
    In diesem Frühsommer bekam der Verband von Gitta Liese Rückendeckung auch vom Verfassungsrechtler Ernst Benda. Er hält das Recht des Kindes auf Kenntnis seiner Abstammung für so hoch angesiedelt, dass die Angaben der Mutter unbedingt erhoben werden müssten. Die Juristin Ulrike Riedel befasst sich im Rahmen der Beratung des Bundestages mit dem Problem der Babyklappe und der anonymen Geburt. Sie erläutert die Sichtweise aufgrund des Verfassungsrechts:

    Das Recht auf Kenntnis der Abstammung, das hat das Bundesverfassungsgericht aus Artikel 2, aus dem Persönlichkeitsrecht abgeleitet. Es hat gesagt: Zur freien Entfaltung der Persönlichkeit gehört das Recht des Menschen, seine Geschichte zu kennen, seine Identität zu kennen. Der Staat muss die Bedingungen schaffen, dass dem Kind die Dokumentation seiner Geburt erfolgt und erhalten bleibt. Das ist unser Personenstandsrecht. Und an dieses Persönlichkeitsrecht knüpfen sich alle Familienrechte aus Artikel 6. Und diese Rechte werden von unbekannten, unkontrollierbaren Personen sofort und nicht korrigierbar genommen. Das kann der Gesetzgeber nicht zulassen.
    Kann er doch, meint die Justizministerin von Baden-Württemberg. Die FDP-Politikerin ist optimistisch, dass die erneute Gesetzesinitiative ihres Landes im Bundesrat eine Mehrheit finden wird. Mindestens die CDU-regierten Länder sieht sie auf ihrer Seite. Aber auch innerhalb der SPD und der Grünen gäbe es Befürworter. Der Entwurf sieht eine Verankerung der anonymen Geburt im Familienrecht des BGB ebenso wie im Personenstandsrecht vor. Corinna Werwigk-Hertneck zu den Details:

    Da wird einer Mutter angeboten, in einem staatlichen Krankenhaus zu entbinden. Die Kosten übernimmt das Land. Die Mutter hat binnen acht Wochen die Möglichkeit sich zu entscheiden, ob sie nicht doch zu ihrem Kind stehen will. Die Vormundschaft übernimmt das Jugendamt. Und es soll der Mutter eine Beratung empfohlen werden, in der Hoffnung, dass diese Beratung dazu führt, dass die Mutter sich doch zu ihrem Kind bekennen kann. Wir haben die Möglichkeit vorgesehen, dass die Mutter auch ihren Namen, ihren Personenstand angeben kann. Das wird dann verwahrt und zum 16. Geburtstag hat das Kind dann die Möglichkeit auf diese Daten zurückzugreifen. Aber es ist aus unserem Entwurf nicht zwingend für die Mutter, dass sie dies tut.
    Im ersten Gesetzesentwurf von Baden-Württemberg ist die Beratung noch eine Soll-Vorschrift. Dies wurde geändert in eine Muss-Bestimmung. Die Krankenhäuser wären danach künftig verpflichtet, den Müttern eine qualifizierte Schwangerschaftskonfliktberatung anzubieten. Die Kosten für Geburt und Beratung sollen die Länder übernehmen.
    Leben retten ist wichtiger als die Kenntnis der Abstammung. Dieses zentrale Argument der Befürworter, hält der Jurist Ernst Benda für nicht stichhaltig. Er schreibt:

    Es ist auch verfassungsrechtlich von Bedeutung, ob die von der vorgeschlagenen Regelung erhofften Wirkungen in Richtung auf den Schutz sonst bedrohten Lebens realistisch oder bloße – vielleicht unbegründete – Hoffnungen sind.
    Dieser Nachweis wurde bisher nicht erbracht. Dafür haben die Kritiker Zahlen vorgelegt: Nach der Bilanz der Universität Hannover werden seit 1999 in Deutschland jedes Jahr etwa 30 Neugeborene ausgesetzt oder getötet. Eine konstante Zahl also trotz wachsender anonymer Angebote. Auch in den USA, wo es seit 1999 in mehr als 35 Staaten Gesetze zur Legalisierung von Babyklappen gibt, konnte die Zahl der Aussetzungen und Kindstötungen nach Angaben der Journalistin Nina Bernstein nicht verringert werden. Für die Justizministerin von Baden-Württemberg sind diese Zahlen kein überzeugendes Argument.

    Wie sollen wir denn Zahlenmaterial haben, wenn das alles im Moment noch so unter der Hand im Graubereich stattfindet. Wir müssen es einfach mal machen. Wir können das ja auch zeitlich begrenzen und beobachten, evaluieren und dann haben wir Zahlenmaterial.

    Einfach mal machen, scheint auch ihre Devise für den Graubereich zu sein. Denn mit der offiziellen Billigung des Justizministeriums wurde in Baden-Württemberg vor ein paar Wochen ein Modellprojekt zur anonymen Geburt an zwei Freiburger Kliniken eröffnet. Die Kritikerin Regula Bott, die täglich mit Fragen der Adoption befasst ist, vermutet hinter der stillschweigenden Duldung solcher rechtlich zweifelhaften Projekte politisches Kalkül.

    Ich sehe im Zusammenhang mit diesen Babyklappen und den anonymen Geburtsangeboten politische und vor allen Dingen auch ideologische Interessen. Es ist Teil einer neuen Kampagne, die nicht funktioniert. Das zweite ist, dass es eine billigere Lösung ist staatlicherseits gesehen, nicht Mütter und Kinder zu unterstützen, sondern die Kinder von den Adoptiveltern versorgen zu lassen, mit noch dem Vorteil, dass auch der Markt der Adoptivbewerber bedient wird.
    Die Hamburger Adoptionsvermittlerin Regula Bott hält es für nicht ganz zufällig, dass vor allem kirchliche Träger in die Arbeit mit Babyklappen eingestiegen sind. Das Projekt Moses von Donum Vitae in Amberg wurde im April 1999 eröffnet, genau zu der Zeit als der Papst den katholischen Schwangerschaftskonflikt-Beratungsstellen die Ausstellung des Beratungsschein verboten hatte. In einem kürzlich von terre des hommes veröffentlichen Tagungsband zum Thema schreibt Regula Bott:

    Über die Gründung von Donum Vitae haben sich ehemalige Beraterinnen des Sozialdienstes katholischer Frauen nicht nur die Möglichkeit zur Beratung ungewollt schwangerer Frauen gesichert, sondern ihr Angebot auch noch erweitert um die anonyme Kindesabgabe, eine Form der Adoptionsfreigabe, die in unserem Hilfesystem aus guten Gründen nicht vorgesehen und nicht erlaubt ist.
    Auch im ersten Gesetzesantrag des Landes Baden-Württemberg ist die Absicht angeführt, Abtreibungen zu verhindern. Wörtlich heißt es:

    Gleichzeitig wird eine Legalisierung der anonymen Geburt zu einer Reduzierung der Zahl von Schwangerschaftsabbrüchen beitragen.
    Für viele erwachsene Adoptierte, wie Kerstin, hat die Diskussion einen bitteren Beigeschmack.

    Ich kann gut verstehen, weshalb man damit im Leben nicht klar kommt. Ich wäre beinah mit diesen ganzen Ablehnereien auch nicht klar gekommen. Deswegen, das ist ein ganz bitteres Argument, wenigstens haben sie dich nicht abgetrieben oder lebendig auf den Müll geworfen. Was soll ihnen ein Kind darauf antworten?

    Der allerwichtigste Grund ist, Frauen in Notsituationen zu helfen. Wir stellen fest, dass es immer wieder Frauen in Notsituationen gibt, die ihre Schwangerschaft verleugnen, die ihr Kind anonym zur Welt bringen oder in Stresssituationen sogar ihr Kind töten nach der Geburt. Gerade wir Politiker müssen dafür sorgen, dass Frauen in Notsituationen auch die Hilfe des Staates bekommen. Und hier gibt es eine Gesetzeslücke, die geschlossen werden muss.

    Die FDP-Bundestagsabgeordnete Ina Lenke gehört zu einem interfraktionellen Arbeitskreis, der sich parallel zur Bundesratsinitiative des Landes Baden-Württemberg auf Bundestagsebene um die Legalisierung der anonymen Geburt bemüht. Auch das gab es in der vorherigen Legislaturperiode schon einmal. Vier Tage vor der Einbringung des Gesetzesentwurfs im Bundestag zog die damalige Gruppe ihren Vorschlag wieder zurück, da die Kritik quer durch die Fraktionen zu groß war. Vor allem die damalige SPD-Bundestagsabgeordnete Margot von Renesse kritisierte damals den Versuch als "Rückfall in die Zeit von Hänsel und Gretel". Die Idee, auf diese Weise Kinder vor dem Tod zu retten, hielt sie für

    Aktionismus auf dem sozialpolitischen Niveau eines Gartenlaube-Romans.
    Ein Kompromiss wird gesucht – zum Beispiel die "vertrauliche Geburt", bei der die Ämter die Daten kennen, aber erst das heranwachsende Kind den Namen der leiblichen Mutter erfahren soll. Den Adoptiveltern, die bisher wussten, von wem das Kind stammt, soll diese Kenntnis vorenthalten werden. So könne dem Recht des Kindes auf Kenntnis seiner Herkunft Rechnung getragen werden, meinen die Befürworter der "vertraulichen Geburt". Und hinzu kommt: Auch die Ängste der Mutter würden berücksichtigt.

    Anonyme Geburt, da hat die Mutter tatsächlich die Möglichkeit anonym zu bleiben. Bei der vertraulichen Geburt ist sie verpflichtet ihre Daten anzugeben und das Kind hat ab dem 16. Lebensjahr die Möglichkeit auf die Daten der Mutter zurückzugreifen. Es bleibt also fraglich ob die Mutter anonym bleibt oder nicht. Das Kind hat’s in der Hand.

    Ein unzureichender Schutz der Mutter, meint Stuttgarts Justizministerin Corinna Werwigk-Hertneck. Und darin sieht sie sich auch durch das Urteil des Europäischen Gerichtshofes vom letzten Februar bestätigt. Der hatte die Klage einer 38jährigen Französin abgewiesen, den Namen ihrer Mutter zu erfahren. In Frankreich besteht seit 1941 ein Gesetz zur anonymen Geburt. Jährlich werden etwa 600 Kinder dort anonym entbunden und zurückgelassen. Inzwischen leben in Frankreich über 400 000 Menschen, die keine Kenntnis ihrer biologischen Herkunft haben.
    Aufgrund eines starken öffentlichen Drucks, hat Frankreich die gesetzliche Regelung im Januar 2002 reformiert. Seither besteht eine zentrale Stelle, die nach der anonymen Geburt alle Daten, Angaben und Anfragen zu dem Menschen sammelt. Nur wenn Mutter und Kind die Aufhebung der Anonymität wünschen, ist dies möglich. Im Falle der 38jährigen Pariserin wies die Mutter den Wunsch ihrer Tochter zurück. Dies respektierte der Gerichtshof mit der Abweisung der Klage. Die Juristin Ulrike Riedel sieht jedoch keine Vergleichbarkeit mit der deutschen Rechtslage.

    Dieser Fall betraf eine völlig andere Sach- und Rechtslage. Dass dieser Fall als positives Signal für ein weiteres Vorgehen in Deutschland gewertet wird, das ist einfach eine Fehlinformation. Zum Beispiel hat Sternipark im Internet eine Interpretation des Urteils sofort reingestellt und diese Interpretation war falsch.
    "Sternipark" ist ein freier Träger in Hamburg, der dort die erste Babyklappe eingeführt hat und ein großes Findelkind-Projekt betreibt. Der Hamburger Senat entzog dem Verein die finanzielle Unterstützung.
    Die Psychologin Regula Bott bezweifelt ganz grundsätzlich, dass mit anonymen Angeboten wirklich Frauen in Not geholfen wird. Das derzeitige Umschwenken der Politik von Babyklappen – wo Mütter und Kinder das Risiko der unbegleiteten Geburt tragen – auf die anonyme Geburt hält sie für keine wirkliche Alternative. Das Grundübel für alle Betroffenen – Mütter und Kinder – sei die lebenslange Anonymität. Die bestehenden Angebote seien ausreichend und könnten ausgebaut werden, meint die Fachfrau, wenn man denn wirklich die Notlage der Mütter ernst nähme. Sie schreibt im Tagungsband der Kinderhilfsorganisation terre des hommes:

    Babyklappen und anonyme Geburten – mitfinanziert durch private Spender und Sponsoren – sind erheblich kostengünstiger als die Bereitstellung von Beratungsstellen, Sozialhilfeleistungen, Einrichtungen zur Mutter-Kind-Betreuung. Für Findelkinder dagegen muss, materiell jedenfalls, der Staat nicht aufkommen – das tun die gut situierten Adoptiveltern.
    Das Recht eines jeden Kindes zu wissen, woher es kommt, wird dafür stillschweigend geopfert.