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Illegale Usurpation eines islamischen Friedhofs?

In Jerusalem will das Simon-Wiesenthal-Center, das in Los Angeles residiert und dort seit 1993 ein Holocaust-Museum betreibt, ein "Museum der Toleranz" errichten. Es soll die Geschichte des Antisemitismus thematisieren, aber auch Konflikte innerhalb der jüdischen Gemeinschaft und das Problem der Koexistenz von Juden und Palästinensern im modernen Israel. Als Architekten des 120-Millionen-Projektes hat man den Amerikaner Frank Gehry gewonnen, dessen Guggenheim-Museum in Bilbao zum Publikumsmagneten geworden ist. Gehry legte einen ambitionierten Entwurf vor - in der für ihn typischen Formen- und Materialvielfalt. So könnte das "Museum für Toleranz" in Jerusalem auf gutem Wege sein - wenn nicht ausgerechnet der Bauplatz die Toleranz der arabisch-islamischen Bewohner auf eine harte Probe stellte.

Von Joseph Croitoru | 06.01.2006
    Um das im Bau befindliche Toleranz-Museum in Jerusalem ist jetzt ein neuer Streit entbrannt, und diesmal kommt die Kritik aus unerwarteter Richtung: Von der arabisch-islamischen Seite. Scheich Raid Salah, Anführer der arabisch-israelischen islamischen Bewegung, die überall im Land Überreste einstiger palästinensischer Moscheen und Friedhöfe zu präservieren bemüht ist, bezichtigt die Initiatoren des Toleranz-Museums jetzt der Intoleranz: Der Museumsbau, so Salah, werde auf dem Areal eines großen alten muslimischen Friedhofs errichtet, dessen Geschichte bis in die mittelalterliche islamische Epoche der Stadt zurückgeht. Vor laufender Kamera, eskortiert von Botschaftern mehrerer arabischer Länder sowie dem Jerusalemer Großmufti Ikrama Sabri, verkündete Salah, er könne anhand alter Grundbucheinträge beweisen, dass das gesamte Gelände zumindest bis 1948 zum historischen islamischen Friedhof "Maaman Allah" gehört habe – zu deutsch: Ort der Sicherheit Allahs. Obgleich im Islam Friedhöfe als Tabu gelten und nicht bebaut werden dürfen, haben die israelischen Behörden dieses Verbot jahrzehntelang mit Füssen getreten. Immer wieder wurden muslimische Friedhöfe zerstört und neu bebaut. Erst die islamische Bewegung israelischer Araber machte aus dem religiösen Denkmalschutz ein Politikum. So musste etwa in Nesher bei Haifa eine Hauptverkehrsstraße nach Protesten der Islamisten einem alten und längst stillgelegten muslimischen Friedhof weichen und über eine Brücke umgeleitet werden. Ging es dort um eine Begräbnisstätte, die eher national-palästinensischen Symbolwert besitzt, da dort der erste palästinensische Mudschahid, Scheich Izz a-Din al-Qassam, begraben liegt, so ist der Friedhof in Jerusalem von völlig anderem Kaliber. Hier ruhen nach islamischer Überlieferung die Märtyrer der mittelalterlichen Schlacht um Jerusalem, jener Schlacht, mit der der islamische Feldherr Saladin die Kreuzritter aus der heiligen Stadt vertrieb. Die Grabstätte assoziieren Muslime mit diesem Sieg und mit dem vom Islam erhobenen Anspruch auf Jerusalem. So wird das Schicksal dieses Friedhofs etwa auf der Internetseite der palästinensischen fundamentalistischen Organisation Hamas als Beweis für die anhaltende Besetzung des muslimischen Jerusalem durch die neuen Kreuzritter angeführt.

    Diese Empfindlichkeiten werden auf israelischer Seite aber kaum wahrgenommen. Die beauftragte Baufirma und die Museumsleitung bestehen darauf, dass die Stadt alle Einzelheiten des Bauprojekts genehmigt und alles seine Richtigkeit habe. Die Verantwortlichen setzen sich indes nicht nur über die Kritik der arabisch-israelischen Islamisten bedenkenlos hinweg, sie werfen ihrem Anführer Salah sogar vor, den gegenwärtig in Israel stattfindenden Wahlkampf manipulieren zu wollen. Andere, wie etwa der israelische Anwalt und Historiker Shmuel Berkovich, der die Geschichte der heiligen Stätten in Jerusalem erforscht hat, verweisen darauf, dass sich der Friedhof zwar früher über ein weit größeres Areal erstreckt hatte, dass aber der Großmufti von Jerusalem schon 1927 mit einer Fatwa den weiteren Ausbau gestoppt und sogar Teile des Geländes für den Bau privater Gebäude freigegeben hatte. Der Islamist Salah sieht dies anders. In seiner Version der Geschichte treten die damaligen britischen Mandatsherren als Besatzer auf, die die palästinensischen Muslime mit Waffengewalt gezwungen hätten, auf die weitere aktive Nutzung ihres größten Friedhofs zu verzichten. Hinter Salah steht mittlerweile ein beträchtlicher Teil der Öffentlichkeit in der arabischen Welt. Nachdem auch der populäre arabische Fernsehsender "Al-Dschasira" über den Streit berichtet hat, ist eine Eskalation des islamischen Protests so gut wie programmiert.