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Im Alter studieren

Sie sind im Altersruhestand, aber lange Spaziergänge machen, mit den Enkeln spielen – das reicht ihnen nicht. Diese "älteren Mitbürger" sind seit heute wieder Studenten: in der ersten Universität für Senioren. In Horn-Bad Meinberg im Kreis Lippe hat sie den Betrieb aufgenommen.

Von Christine Etrich |
    "Ich freue mich, dass sie so zahlreich erschienen sind....."

    Gesundheitswissenschaftler Dr. Paul Wolters ist heute schon am Ziel eines großen Wunsches. Er ist der Initiator des "Europäischen Zentrums für Universitäre Studien der Senioren". Der Wissenschaftler hat fast 30 Jahre lang an der Universität in Bielefeld unterrichtet, selbst im Ruhestand, weiß er am besten, wie lernhungrig seine Generation ist.

    " Wir sind mitten im demografischen Wandel, in absehbarer Zeit wird die Gruppe der über 60-jährigen die absolut größte Gruppe in unserer Gesellschaft sein und diese Gruppe wird diese Gesellschaft mitgestalten und wird kreativ in dieser Gesellschaft tätig sein müssen und dafür brauchen wir eine Form des lebenslangen Lernens, d. h. der Beschäftigung mit gesellschaftlichen Fragen, die man auch über wissenschaftliche Weiterbildung verstärken kann."

    Gasthörer an einer Universität – wie das mittlerweile rund 20.000 Menschen im Alter zwischen 60 und 70 Jahren praktizieren – das ist nichts für Karl-Heinz Webel. Nur zuhören reicht ihm nicht, er will "richtig studieren". Der Bielefelder ist 73 Jahre alt, war Ingenieur und Berufsschullehrer. Seit einiger Zeit lernt er in der Volkshochschule Spanisch – das ist nicht genug

    " "Es ist ein bisschen Luft für was Neues"

    Karl-Heinz Webel will studieren, ohne große Ambitionen zu haben

    "Ich mache es nicht für ein bestimmtes Ziel, um dort einen besonderen Abschluss mit beruflichen Perspektiven zu bekommen, sondern im Grunde genommen mache ich es für die Zeit jetzt, das heißt also, die Studienzeit selber muss schon eine Zeit sein, die spannend ist."
    Professor Heinrich Schäfer spitzt die Ohren. Der Geschichtswissenschaftler und Theologe ist heute der erste Dozent in der Seniorenuniversität. Normalerweise lehrt er an der Hochschule in Bielefeld. Dort ist er "jüngeres Publikum" gewohnt. In Horn-Bad Meinberg ist sein ältester Student 80 Jahre alt

    ":"Die Pädagogik sieht in sofern anders aus, das man aus der vorhandenen Erfahrung, die von den Teilnehmern hoffentlich mitgeteilt wird, etwas entwickeln kann, indem man unterschiedliche Erfahrungswerte kombiniert, reflektiert, kritisiert und zu gemeinsamen Lösungen vorstößt. Ich wünsche mir kreative Zusammenarbeit und im Laufe des Seminars Resultate, mit denen alle Teilnehmer sich neue Horizonte eröffnen für ihr gesellschaftspolitisches Handeln.""

    Studiert wird zwei Jahre lang an zwei Tagen in der Woche. Donnerstags und freitags ist Anwesenheitspflicht. Das Studium richtet sich an Menschen, die sich intensiv und systematisch mit gesundheitswissenschaftlichen, medizinischen, philosophischen oder auch politischen Themen beschäftigen möchten. Studium generale heißt es und schließt mit einem Universitätszertifikat ab.

    Für Elisabeth Schuster aus Detmold ist dieses Studium ein eigenes Geschenk an ihren 65. Geburtstag. Die Pflegedienstleiterin ist seit zwei Jahren im Ruhestand und war bis dahin für 180 Mitarbeiter zuständig. Beim Thema "Lernen im Alter" gibt sie sich selbstbewusst:

    " "Ich habe im Beruf viele Mitarbeiter schulen müssen, und habe eigentlich erfahren, das Ältere vielleicht ein bisschen länger brauchen, aber auf Grund ihrer Lebens- und Vorerfahrung anders lernen. Die nutzen das passend zu ihrem Vorwissen und nicht so, wie man mit 20 lernt, dass man alles so in sich reinstopfen lässt, da guckt man, was brauche ich, was nicht, wo möchte ich mich vertiefen und was ist mir egal"."

    Die Seniorenuniversität will aber nicht nur für die Selbstverwirklichung im Alter sorgen, das Studium soll auch gesellschaftliche Relevanz haben. Etliche "Senioren-Studenten planen, ihre Fachwissen der Wirtschaft als Berater in Unternehmen zur Verfügung zu stellen, andere wollen sich ehrenamtlich engagieren, qualifizierter als vorher. Die Studiengebühren betragen 1200 Euro jährlich. Elisabeth Schuster:

    " "Das ist es mir wert, das ist mir aber auch nicht fremd, weil ich all die Jahre hindurch Fortbildung betrieben hat und das hat immer Geld gekostet."

    Elisabeth Schuster ist wenig aufgeregt, aber auch ein bisschen stolz, dass sie seit heute wieder Studentin ist – und ihre Familie?

    " Tja, die denken, da ist sie gut beschäftigt, ist sie von der Straße, hat sie was zu tun (Lachen) Ich denke, das kommt schon positiv rüber."