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Im Angesicht des Terrors
Deradikalisierung von Islamisten

Es gibt Hunderte gewaltbereite Islamisten in Deutschland, sogenannte Gefährder, die die Polizei ganz oben auf ihrer Liste hat. Menschen, die nach Syrien oder Irak gereist sind, um dort mit dem selbst ernannten "Islamischen Staat" zu kämpfen. In Berlin gibt es verschiedene Initiativen, die sich um Deradikalisierung bemühen.

19.11.2015
    Die Broschüre "Extremistischer Salafismus als Jugendkultur"
    Die Broschüre "Extremistischer Salafismus als Jugendkultur" (dpa/picture alliance/Maja Hitij)
    "Wir haben es geschafft, dass Jugendliche nicht ausreisen, wir haben es geschafft, dass eine Normalität zurückkehrt, wir haben es geschafft auch ein paar Jugendliche zurück aus Syrien und Irak zu bringen. Wir haben es geschafft, dass manche Jugendliche angefangen ehrlich mit ihren Eltern über solche Themen zu reden."
    Der Berliner Psychologe und Buchautor Ahmad Mansour kann stattliche Erfolge nennen. Er arbeitet für die Organisation "Hayat", die nach seinen Angaben mittlerweile 200 Familien betreut, deren Kinder in den Islamismus entglitten seien.
    Auch Thomas Mücke und sein Violence Prevention Network arbeiten an der Deradikalisierung von Islamisten, Syrienheimkehrer inklusive. Seit einem halben Jahr finanziert der Berliner Innensenator diesen Einsatz. Dass die Zahl der gewaltbereiten Islamisten, der Ausreisewilligen und der Rückkehrer stetig steigt entmutigt den erfahrenen Streetworker nicht.
    "Das Thema Extremismus wird uns immer beschäftigen in der Gesellschaft, wird uns immer herausfordern, aber ich bin mir sicher durch eine engagierte Präventions- und Interventionsarbeit kann man der Szene erheblich ihren Wirkungskreis eingrenzen."
    Der Horror könnte auch konstruktive Effekte haben
    Die Terrorakte, die Islamisten in den letzten Tagen in Europa verübten, hätten für seine Mitarbeiter keinen zusätzlichen Motivationsschub gebracht, sagt Mücke, man sei ohnehin hoch motiviert und spüre täglich, wie wichtig die eigene Arbeit sei. Aber - so seltsam das klingt - bei seinen ausstiegswilligen islamistischen Klienten könnte der Horror auch konstruktive Effekte haben.
    "Keiner sympathisiert mit dem was da in Frankreich passiert ist, sondern das hat den Nachdenkprozess verstärkt, solche Terroranschläge können Jugendliche aufrütteln die anfangen nachzudenken, die Fragen stellen war das richtig was ich da gemacht habe?, die sind nachdenklicher geworden."
    Anfang der Woche hatte BKA-Chef Holger Münch für Deutschland mehr Aussteigerprogramme für Islamisten gefordert. Dem stimmt Thomas Mücke zu, vor allem mehr Mittel für Beratungsstellen und mehr Netzwerke, die auch die Kommunen mit einbeziehen fände er sinnvoll. Allerdings sei die Situation in Deutschland im europäischen Vergleich schon recht gut:
    "Es haben sich viele wirksame Konzepte in den letzten Jahren herauskristallisiert und man muss auch zur Politik sagen: Die hatte den Bereich in den Vorjahren etwas vernachlässigt, aber man kann seit einem Jahr sagen, dass da auch viel Verantwortungsbewusstsein entstanden ist, da hat sich sehr vieles bewegt."
    Sowohl Mansour als auch Mücke melden aber auch große weiße Flecken auf der Landkarte der Deradikalsierungsbemühungen in Deutschland.
    Man überlasse Islamisten das Feld
    Zum einen überlasse man den Islamisten zu oft das Feld, wenn sie jungen Menschen auf der Identitätssuche und in Lebenskrisen genau die Hilfe und Zuwendung böten, die diese bräuchten, so Mansour.
    "Wir müssen diese Jugendlichen viel früher erreichen, und zwar bevor es die Salafisten tun. Es gibt Videos, wo sie vor JVAs stehen und warten auf Jugendliche, die dort entlassen werden, um ihnen Angebote zu machen. Sie warten vor den Casinos, wo die Jugendlichen ihren aller letzten Euro verloren haben, sie nehmen sie aus den Drogen, aus der Kriminalität raus."
    Thomas Mücke plädiert außerdem für bessere Betreuung in den Gefängnissen, damit nicht auch dort für den Dschihad rekrutiert werden kann.
    Die Deradikalisierung wird noch lange dauern
    Auch im Internet und sozialen Medien könnten die Radikalen all zu oft die politische Diskussion etwa über die Lage in Syrien oder die Situation der Flüchtlinge dominieren warnt Mansour und damit die Jugendlichen für sich gewinnen.
    "Die Bilder, die da vermittelt sind, sind schwarz-weiß. Und da frage ich mich wo bleiben wir? Können wir nicht darüber nachdenken, einfach Sozialarbeiter im Internet einzustellen? Die da unterwegs sind, die da Gegen-Narrative schaffen, die da in der Lage sind in Diskussionen reinzugehen und Jugendliche zu erreichen?"
    Probleme gibt es auch, wenn die Deradikalisierung auf einem guten Weg ist und die Integration ins normale gesellschaftliche Leben ansteht. Thomas Mücke macht das am Fall eines jungen Syrienheimkehrers deutlich, der schließlich soweit war, dass er seinen Schulabschluss nachholen wollte, damit aber eine ganze Schule in Aufruhr versetzte.
    "Ich weiß noch wie die Schulleiterin mich angerufen hat und sagte: Muss das an meiner Schule sein, geht das nicht woanders, kann der Innenminister seine Hand ins Feuer für diesen Jugendlichen? Sie werden keinen Innenminister finden, der das tun wird."
    Fazit: Die Deradikalisierung von Islamisten in Deutschland hat gerade erst begonnen und sie wird noch lange dauern.