Ach, wäre man nur so gelassen! Jede Zeile dieses romanhaften Essays ist von einer geradezu übermenschlichen Ausgewogenheit geprägt, einem ruhigen Stoizismus desjenigen, der weiß, daß uns am Ende unserer Tage alle das Gleiche erwartet. Nicht, daß Thomas Lynch uns die Grausamkeiten des Lebens ersparte – selbst in Milford gibt es genug davon –, aber er besitzt, wie sonst vielleicht nur ein tiefgläubiger Christ, den Trost der Gewißheit. Neben Sherwin B. Nulands nüchtern-medizinischem Abriß unserer letzten Stunden ("Wie wir sterben" von 1994), ist Thomas Lynchs "Im Auftrag des Herrn" der zweite geglückte Versuch, den Tod in unser überbordend diesseitiges Leben zu reintegrieren. Erstaunlicherweise kommen beide Bücher aus Amerika, dem Land, wo man immer noch glaubt, den Tod medizinisch-technisch besiegen zu können. In Wahrheit ist sein einziger Gegner die Literatur, die hier einen Punktsieg davonträgt. Freilich ... am Ende nützen all die Worte nur den Lebenden.
Im Auftrag des Herrn
Sie gehört in jede ordentliche Schriftstellerbiographie, die Berufsangabe "Leichenträger und -wäscher", terminus technicus "Friedhofsschaffner". Ein ernstzunehmender Autor muß mit dem Tode persönlich zusammengetroffen sein, und das Bestattungswesen bietet einen zivilisierten Einstieg ins Themenfeld. Was aber, wenn ein Begräbnisunternehmer – ein "Undertaker", wie er in Amerika so schön heißt – zu schreiben beginnt, ohne seinen Brotberuf aufzugeben? Von Koketterie kann man da kaum noch sprechen, und in der Tat ist Thomas Lynch – welch bildhafter Name! – nichts weniger als kokett. Gern würde man sagen, er liebe seinen Beruf, aber das wäre doch ein bißchen viel verlangt. Er achtet ihn und begreift ihn als organischen Teil seiner Biographie. Von Kindesbeinen an mit dem Tode vertraut, kehrt er nach dem College und einer dichterischen Sturm-und-Drang-Periode in Irland, dem Lande seiner Ahnen, nach Milford, Michigan zurück, um ins Geschäft seines Vaters einzusteigen. Der Dienst der schwarzbefrackten Männer scheint einer der wenigen Berufe zu sein, die die moderne Gesellschaft von den Vätern auf die Söhne überträgt. Auch Lynchs Brüder und Verwandte entkommen dem Friedhofsquadrat nicht – alles Bestatter; ja ein Onkel versucht sich sogar in der potenzierten Form der Totenentsorgung, einem Service, der bei besonders abstoßenden Selbstmorden, Gewaltverbrechen und zur Unkenntlichkeit verwesten Leichen für Sauberkeit sorgt. Das Geschäft boomt, allerdings nur, bis der aus der selben Gegend stammende Pathologe Jack Kevorkian eine perfekte Selbstmordmaschine konstruiert und damit durch die Talkshows zieht. Erbittert liquidiert Onkel Eddie seine Firma, denn er ahnt, daß mit dem Siegeszug des fleckenfreien Maschinensuizids seine Haupteinnahmequelle versiegen wird. Geld und Tod bilden im Bestattungswesen einen unauflöslichen Akkord, daran ist nichts Verwerfliches. Mit der Sicherheit eines Quasi-Beamten kann der einzige Bestattungsunternehmer in Milford, einem Kaff von fünfzehntausend Seelen, auf eine geregelte Existenz schauen; er weiß, daß jeder im Ort sein Kunde wird. Unentrinnbar – nur wann, weiß er nicht.
Ach, wäre man nur so gelassen! Jede Zeile dieses romanhaften Essays ist von einer geradezu übermenschlichen Ausgewogenheit geprägt, einem ruhigen Stoizismus desjenigen, der weiß, daß uns am Ende unserer Tage alle das Gleiche erwartet. Nicht, daß Thomas Lynch uns die Grausamkeiten des Lebens ersparte – selbst in Milford gibt es genug davon –, aber er besitzt, wie sonst vielleicht nur ein tiefgläubiger Christ, den Trost der Gewißheit. Neben Sherwin B. Nulands nüchtern-medizinischem Abriß unserer letzten Stunden ("Wie wir sterben" von 1994), ist Thomas Lynchs "Im Auftrag des Herrn" der zweite geglückte Versuch, den Tod in unser überbordend diesseitiges Leben zu reintegrieren. Erstaunlicherweise kommen beide Bücher aus Amerika, dem Land, wo man immer noch glaubt, den Tod medizinisch-technisch besiegen zu können. In Wahrheit ist sein einziger Gegner die Literatur, die hier einen Punktsieg davonträgt. Freilich ... am Ende nützen all die Worte nur den Lebenden.