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Im Bunker des lebensfeindlichen Hochmuts

Dem Regisseur Calixto Bieito geht es in seinen Inszenierungen oft um Unterdrückung und Gewalt. So durfte man gespannt sein, ob er auch mit Lorcas Stück "Bernarda Albas Haus" in Mannheim einen Skandal provozieren würde.

Von Cornelie Ueding | 02.04.2011
    Totenglocken für Bernarda Albas zweiten Mann. An dem Seil, das wie ein Uhrenpendel über dem düsteren Bühnenpodest schwingt, hängt eine junge Frau, nackt, aufgeknüpft für die verordneten acht Trauerjahre. Am Ende wird Bernardas jüngste Tochter daran hängen. Selbstmord. Und wieder wird die Mutter den Töchtern befehlen, wie sie sich nach außen hin zu verhalten haben: Ihr habt zu schweigen! "Meine Tochter ist unberührt gestorben" hat die Losung zu sein.

    Nein, nicht Calixto Bieitos Inszenierung ist diesmal der Skandal – skandalös ist allein das barbarische Verschweigen der brutalen Unterdrückung, die systematisch und lustvoll Leben zerstört. Lorcas Stück voller Schmerz und Angst und ungestilltem Verlangen zeigt, dass der Terror in der Familie anfängt. Und sein spanischer Regisseur konfrontiert sich in der formal strengen, beklemmenden und mit Beifallsstürmen gefeierten Mannheimer Inszenierung mit den Albträumen seiner Kindheit, und auch mit dem kollektiven Albtraum, der allen Kulturen des Schweigens eigen ist.

    Die Bilanz von Lorcas grausamer Familienchronik ist vernichtend: Tot oder im Innersten zerstört die fünf Schwestern, ihr Bräutigam angeschossen. Dazu eine als verrückt kasernierte Großmutter und eine sadistisch-unterwürfige Dienerin. Dennoch von allem ungerührt die Herrscherin, Bernarda, die dieses Schreckensregiment im eigenen Haus gnadenlos durchexerziert. Gnadenlos und blind für die Wirklichkeit. Bieito macht nun aber die Bühne nicht zum Tribunal und auch nicht zum Spielfeld für Provokationen – sondern streng und hochkonzentriert zum Experiment: Was geschieht, wenn, nach dem Tode des Vaters, eine rigide Mutter und fünf unverheiratete Töchter zurückbleiben? Was, wenn ein rabiater Hochmut zum Entschluss führt, das Leben auszusperren, das Haus mitsamt seinen Bewohnerinnen für Jahre in ein luft- und lustloses Gefängnis der Trauer zu verwandeln?

    Sechs ununterscheidbar verschleierte schwarze Witwen, reglos am Anfang – doch unter den Trauerschleiern brodeln explosive Gefühle: Frustration, Rivalität, Gehässigkeit, Verachtung, Neid, Hass. Wahrlich nicht bloß ein "Zickenkrieg". Die Drastik, mit der Lähmung und Hassausbrüche in Mannheim dargestellt werden, besteht nun nicht in den von Bieito ja fast erwarteten Gewaltexzessen. Sondern in einer minutiösen körpersprachlichen Umsetzung der ins Unerträgliche gesteigerten Spannungen, der unvermuteten Gefühlsumbrüche und auch all des Nichtgesagten. Exzessiv ist das Stück selber durch seine radikale Anlage: alles dreht sich um Männer, nicht obwohl, sondern weil während der gesamten anderthalb Stunden nicht ein einziger Mann konkret in Erscheinung tritt. Umso mehr regen belauschte Gespräche "hinter vergitterten Fenstern", Klänge von draußen und der verstorbene Vater die Frauenfantasien über Männer an, bis zur peinigenden Peinlichkeit.

    Die sich wechselseitig der altjüngferlichen Frigidität, Hässlichkeit und mentalen Deformation bezichtigenden späten Mädchen konzentrieren ihr Interesse schließlich auf einen Mann. Auch der bleibt zwar ein Phantom, hat aber immerhin einen Namen, Pedro, und zeigt vor allem ein erkennbares, mit einem Verlöbnis besiegeltes Interesse an der Mitgift der ältesten Schwester, der einzigen Tochter aus Bernardas erster Ehe. Dies bringt das subtile System der latenten Aggressivität in kleinen Dosierungen aus dem Gleichgewicht.

    Da kann Frau Bernarda mit dem Ledergürtel noch so hart zuschlagen – die freigesetzten Emotionen sind stärker als ihre Kräfte. Gewalt, Gier und Schweigen – in diesem Klima der Verdächtigungen, Unterstellungen und unterdrückten Sexualität werden alle zu Opfern des eigenen Systems – und man kann die Szene, trotz der radikalen Aussperrung der Außenwelt, durchaus als politische Parabel begreifen. Nicht nur über das Spanien der Franco-Zeit. Dieses Haus, ein Bunker lebensfeindlichen Hochmuts und gefühlsabstinenten Dogmatismus, erweist sich als wahre Brutstätte der Gewalt. Die Malträtierten quälen sich im Verbund mit einer ebenso abgefeimten wie unterdrückten, tückischen wie treuen Dienerin bis aufs Blut. Bis eine von ihnen, die jüngste, sich zu befreien versucht - und wenig später an der Decke hängt. Ende ohne Katharsis.

    Bieito exekutiert, ganz "werkgetreu" und brillant, mit einem fantastischen Frauenensemble die Unzerstörbarkeit eines auf Zerstörung und Menschenvernichtung ausgerichteten Systems; zu dem auch wir als Beobachter, Voyeure, Mitmacher gehören – indem wir schweigen.
    Informationen des Nationaltheaters Mannheim zur Inszenierung von "Bernada Albas Haus"