Knatternde Motorroller und hupende Autos, die sind aus dem Stadtbild von Hanoi nicht wegzudenken. Wer sich hier durch die Altstadtgassen treiben lassen will, muss vorher die dicht befahrenen Hauptverkehrsstraßen überqueren. Für uns Europäer eine Herausforderung. Denn wir müssen in die fahrenden Mopedschlangen laufen, ohne stehen zu bleiben oder gar zögernd einen Schritt zurück zu machen.
Mit dem notwendigen Mut gelangen wir unbeschadet auf die andere Straßenseite, ohne unter die Räder zu kommen, denn die Motorroller umfahren uns geschickt. Das ist fast so etwas wie ein Sinnbild für das vietnamesische Zusammensein, viele Menschen leben eng miteinander, ohne sich im Alltag zu nahe zu treten.
Wir gehen erleichtert weiter, vorbei an kleinen Garküchen, aus denen feurige Düfte unsere Nasen locken. Davor sitzen Männer und Frauen auf kleinen roten Plastikstühlen, die an Kindergärten erinnern, und schlürfen ihre Nudelsuppen. Gleich nebenan gibt es Seidenstoffe in bunten strahlenden Farben. Freundliche Vietnamesinnen laden Spaziergänger ein, sich hier maßgeschneiderte Kleider nähen zu lassen. Uns zieht es jedoch mehr in die duftende Kräuterstraße, wo in den schmalen kleinen Häuschen traditionelle Medizin angeboten wird.
Viele Vietnamesen kommen hier in den Kräuterladen und lassen ihre kleinen und großen Wehwehchen behandeln. Beliebt sind beispielsweise getrocknete Litschis, die in riesigen Vorratsgläsern im Regal der traditionellen Apotheke stehen und gegen Kopfschmerzen helfen sollen. Wenige Häuser weiter stoßen wir auf den ersten Tempel, der recht unscheinbar an die Nachbarhäuser angrenzt. Wir gehen durch das leuchtend gelb gestrichene Tor in einen Innenhof, in dem viele exotische Pflanzen üppig wachsen und Holztreppen zum Altarraum führen, in dem eine Buddhafigur steht.
Der Duft von Sandelholz erfüllt jeden sofort, denn auf dem Altar stehen unzählige abgebrannte Räucherstäbchen. Und wir werfen einen Blick auf all die anderen Opfergaben vor dem Buddha: verpackte Kekse und Kuchen, Coladosen, Früchte, Blumen und Geldscheine. In die Tempel kommen die Menschen aber nicht nur, um zu beten, erklärt uns Christian Oster, der seit vielen Jahren in Hanoi lebt und westliche Besucher gern in die vietnamesische Kultur einführt.
"Die Tempel dienen der Ahnenverehrung, haben aber auch eine Doppelfunktion, sind nämlich zugleich auch Gemeindehäuser. Und in diesen Tempeln wird heute noch die Rente ausbezahlt; oder, wenn die Frau Xuan der Nachbarin die Salami vom Brot geklaut hat, wird das da diskutiert. Also die ganzen sozialen Dinge eines Gemeindehauses übernimmt der Tempel oder die Mitarbeiter eines Tempels."
Die Tempelkultur macht uns neugierig und wir lassen uns deshalb von Christian Oster zum Literaturtempel, einer großzügigen Anlage am Stadtrand, fahren. Im Auto fühlen wir Europäer uns gleich viel geschützter, nicht nur weil wir uns dem tosenden Verkehr nicht mehr so ausgeliefert fühlen, sondern auch, weil wir der schwülen Hitze für eine Zeit im klimatisierten Auto entfliehen können. Wir gleiten geradezu durch das Verkehrschaos und wundern uns immer wieder, dass wir nicht hier und da anecken.
Vor dem Eingang des Tempels kommt uns eine Lastenträgerin entgegen, eine zierliche Frau mit Strohhut, die auf ihren Schultern eine Art Waage balanciert. An der Holzlatte auf ihren Schultern hängen vor und hinter ihr Tragekörbe, auf denen sich frische Ananas stapeln. Die Anstrengung ist ihr nicht anzusehen - ganz im Gegenteil: Sie bietet uns mit einem warmen Lächeln die Ananas zum Kauf an. Gern lassen wir uns von den Früchten erfrischen, bevor wir durch das massive Steintor auf die Tempelanlage gehen.
"Insgesamt besteht diese Anlage hier aus fünf Höfen. Da sind die fünf Elemente, Wasser, Luft, Metall, Erde, Feuer. Und dieser Hof, dieser Anlage ist nach einem geomantischen System gebaut, nämlich in Nord-Süd-Richtung, ist sehr symmetrisch angelegt. Das spiegelt einerseits die Harmonie, die Ausgeglichenheit, das, was wir von Yin und Yang kennen, das Schwarz-Weiss, das Tag-und-Nacht, das Ineinandergreifen; und zeigt eben auch diese Präzision innerhalb dieser wertkonservativen Philosophie, also das, was wir eben wiederfinden im Verwaltungsbereich, im Militärbereich. Da hat der Konfuzianismus seine Hand drüber."
1070 wurde dieser Tempel der Literatur gegründet und vor neun Jahren wieder neu aufgebaut. Er gilt als erste Universität von Hanoi. Seine Blütezeit hatte der Tempel im 15. Jahrhundert, da kamen die meisten Studierenden aus dem Umland, um sich hier ganz den geistigen Dingen des Lebens zu widmen. Sie wohnten in der Anlage und ließen sich dort von ihren Lehrmeistern unterweisen. Im großflächigen Innenhof hängen heute rote Laternen. Was damals hier geschah, ist auf den ersten Blick nicht zu erkennen.
"Das ist der Hof, wo früher die Prüfungen abgenommen wurden. Es gab Elefanten, es gab Wachtürme, auf denen Wächter standen und beobachtet haben, ob die Studenten schummeln. Sie saßen hier, wenn die Sonne schien, unter einem kleinen Zelt mit Bambusstäben und hatten ihren Schreibstein und ihren Pinsel und haben das, was sie auswendig gelernt hatten, niedergeschrieben. Das waren Prüfungen, die dauerten bis zu drei Monaten. Und heutzutage ist das ja ein bisschen anders."
Angezogen werden viele vietnamesische Studierende bis heute von der Tempelanlage. Vielleicht sind es die schwingenden rot geziegelten Dächer der Pagoden, die eine Leichtigkeit in die Tempelanlage zaubern, die uns auf jeden Fall geistig beflügelt. Viele kommen aber auch hierher, um sich von den wissenschaftlichen Ahnen Kraft für die eigenen Prüfungen zu holen. Eine Schlüsselrolle spielen dabei die übergroßen Steinschildkröten, die auf dem Gelände seitlich unter den Pagodendächern aufgereiht stehen.
"Die Schildkröte ist ganz wichtig. Die Schildkröte steht für Weisheit, für Ewigkeit, für Beständigkeit. Und auf den Schildkröten platziert sind diese Steinstählen. Und auf diesen Steinstählen ist vermerkt, wer seinen Doktortitel in der zweiten Prüfung bestanden hat. Weise Leute, die dann mit dem Jahrgang Namen und dem Fach, das sie studiert haben vermerkt sind. Und ihr seht, dass diese Schildkröte einen ziemlich speckigen Kopf hat. Das hängt damit zusammen, dass Studenten, die kurz vor einer Prüfung stehen, in Scharen hierher kommen und dann sozusagen ihre Hand auflegen, um sozusagen die Weisheit dieser Doktoranden aufzusaugen."
In der größten Pagode am Ende des begrünten parkähnlichen Geländes steht auf einem goldrot verziertem Altar nicht etwa ein Buddha, sondern die bronzene Figur des ersten Universitätsrektors. Blumen, Kerzen und vergoldete Holzverzierungen würdigen bis heute seine Leistungen; ein Teil der vietnamesischen Ahnenverehrung.
Wir saugen weiter die Besonnenheit und Ruhe, die die Tempelanlage ausstrahlt auf, schlendern vorbei an Bäumen und Buchshecken und bleiben fasziniert an einem archaisch wirkenden Baum stehen, dessen lange Luftwurzeln zum Boden herunterhängen.
"Der heißt Bodibaum, unter dem hat Buddha seine Erleuchtung erhalten. Aber die Fachbezeichnung ist eigentlich ein Ficus Religiosa, weil er für die Vietnamesen auch eine besondere Bedeutung hat, nämlich: In diesem Baum wohnen oder verstecken sich Geister oder Gespenster und Monster. Und ihr seht manchmal in großen Schalen, die in diese Bäume gehängt werden, das man versucht mit diesen Schalen, mit diesen Teelichtern dann die Götter zu besänftigen."
Wir sind von dem Besuch des Literaturtempels auf jeden Fall so besänftigt, dass wir uns langsam wieder ins bunte Treiben von Hanoi aufmachen können; vorbei an Rikschas, mit denen sich viele Touristen durch die Stadt fahren lassen, vorbei an Fahrrädern, die so mit Körben beladen sind, dass man sie kaum erkennen kann und vorbei am Ho Hoan Kiem See, an dem sich besonders die Frauen treffen, um Tai Shi oder Jazzgymnastik zu machen; trotz Hitze und knatternder Motorroller.
Mit dem notwendigen Mut gelangen wir unbeschadet auf die andere Straßenseite, ohne unter die Räder zu kommen, denn die Motorroller umfahren uns geschickt. Das ist fast so etwas wie ein Sinnbild für das vietnamesische Zusammensein, viele Menschen leben eng miteinander, ohne sich im Alltag zu nahe zu treten.
Wir gehen erleichtert weiter, vorbei an kleinen Garküchen, aus denen feurige Düfte unsere Nasen locken. Davor sitzen Männer und Frauen auf kleinen roten Plastikstühlen, die an Kindergärten erinnern, und schlürfen ihre Nudelsuppen. Gleich nebenan gibt es Seidenstoffe in bunten strahlenden Farben. Freundliche Vietnamesinnen laden Spaziergänger ein, sich hier maßgeschneiderte Kleider nähen zu lassen. Uns zieht es jedoch mehr in die duftende Kräuterstraße, wo in den schmalen kleinen Häuschen traditionelle Medizin angeboten wird.
Viele Vietnamesen kommen hier in den Kräuterladen und lassen ihre kleinen und großen Wehwehchen behandeln. Beliebt sind beispielsweise getrocknete Litschis, die in riesigen Vorratsgläsern im Regal der traditionellen Apotheke stehen und gegen Kopfschmerzen helfen sollen. Wenige Häuser weiter stoßen wir auf den ersten Tempel, der recht unscheinbar an die Nachbarhäuser angrenzt. Wir gehen durch das leuchtend gelb gestrichene Tor in einen Innenhof, in dem viele exotische Pflanzen üppig wachsen und Holztreppen zum Altarraum führen, in dem eine Buddhafigur steht.
Der Duft von Sandelholz erfüllt jeden sofort, denn auf dem Altar stehen unzählige abgebrannte Räucherstäbchen. Und wir werfen einen Blick auf all die anderen Opfergaben vor dem Buddha: verpackte Kekse und Kuchen, Coladosen, Früchte, Blumen und Geldscheine. In die Tempel kommen die Menschen aber nicht nur, um zu beten, erklärt uns Christian Oster, der seit vielen Jahren in Hanoi lebt und westliche Besucher gern in die vietnamesische Kultur einführt.
"Die Tempel dienen der Ahnenverehrung, haben aber auch eine Doppelfunktion, sind nämlich zugleich auch Gemeindehäuser. Und in diesen Tempeln wird heute noch die Rente ausbezahlt; oder, wenn die Frau Xuan der Nachbarin die Salami vom Brot geklaut hat, wird das da diskutiert. Also die ganzen sozialen Dinge eines Gemeindehauses übernimmt der Tempel oder die Mitarbeiter eines Tempels."
Die Tempelkultur macht uns neugierig und wir lassen uns deshalb von Christian Oster zum Literaturtempel, einer großzügigen Anlage am Stadtrand, fahren. Im Auto fühlen wir Europäer uns gleich viel geschützter, nicht nur weil wir uns dem tosenden Verkehr nicht mehr so ausgeliefert fühlen, sondern auch, weil wir der schwülen Hitze für eine Zeit im klimatisierten Auto entfliehen können. Wir gleiten geradezu durch das Verkehrschaos und wundern uns immer wieder, dass wir nicht hier und da anecken.
Vor dem Eingang des Tempels kommt uns eine Lastenträgerin entgegen, eine zierliche Frau mit Strohhut, die auf ihren Schultern eine Art Waage balanciert. An der Holzlatte auf ihren Schultern hängen vor und hinter ihr Tragekörbe, auf denen sich frische Ananas stapeln. Die Anstrengung ist ihr nicht anzusehen - ganz im Gegenteil: Sie bietet uns mit einem warmen Lächeln die Ananas zum Kauf an. Gern lassen wir uns von den Früchten erfrischen, bevor wir durch das massive Steintor auf die Tempelanlage gehen.
"Insgesamt besteht diese Anlage hier aus fünf Höfen. Da sind die fünf Elemente, Wasser, Luft, Metall, Erde, Feuer. Und dieser Hof, dieser Anlage ist nach einem geomantischen System gebaut, nämlich in Nord-Süd-Richtung, ist sehr symmetrisch angelegt. Das spiegelt einerseits die Harmonie, die Ausgeglichenheit, das, was wir von Yin und Yang kennen, das Schwarz-Weiss, das Tag-und-Nacht, das Ineinandergreifen; und zeigt eben auch diese Präzision innerhalb dieser wertkonservativen Philosophie, also das, was wir eben wiederfinden im Verwaltungsbereich, im Militärbereich. Da hat der Konfuzianismus seine Hand drüber."
1070 wurde dieser Tempel der Literatur gegründet und vor neun Jahren wieder neu aufgebaut. Er gilt als erste Universität von Hanoi. Seine Blütezeit hatte der Tempel im 15. Jahrhundert, da kamen die meisten Studierenden aus dem Umland, um sich hier ganz den geistigen Dingen des Lebens zu widmen. Sie wohnten in der Anlage und ließen sich dort von ihren Lehrmeistern unterweisen. Im großflächigen Innenhof hängen heute rote Laternen. Was damals hier geschah, ist auf den ersten Blick nicht zu erkennen.
"Das ist der Hof, wo früher die Prüfungen abgenommen wurden. Es gab Elefanten, es gab Wachtürme, auf denen Wächter standen und beobachtet haben, ob die Studenten schummeln. Sie saßen hier, wenn die Sonne schien, unter einem kleinen Zelt mit Bambusstäben und hatten ihren Schreibstein und ihren Pinsel und haben das, was sie auswendig gelernt hatten, niedergeschrieben. Das waren Prüfungen, die dauerten bis zu drei Monaten. Und heutzutage ist das ja ein bisschen anders."
Angezogen werden viele vietnamesische Studierende bis heute von der Tempelanlage. Vielleicht sind es die schwingenden rot geziegelten Dächer der Pagoden, die eine Leichtigkeit in die Tempelanlage zaubern, die uns auf jeden Fall geistig beflügelt. Viele kommen aber auch hierher, um sich von den wissenschaftlichen Ahnen Kraft für die eigenen Prüfungen zu holen. Eine Schlüsselrolle spielen dabei die übergroßen Steinschildkröten, die auf dem Gelände seitlich unter den Pagodendächern aufgereiht stehen.
"Die Schildkröte ist ganz wichtig. Die Schildkröte steht für Weisheit, für Ewigkeit, für Beständigkeit. Und auf den Schildkröten platziert sind diese Steinstählen. Und auf diesen Steinstählen ist vermerkt, wer seinen Doktortitel in der zweiten Prüfung bestanden hat. Weise Leute, die dann mit dem Jahrgang Namen und dem Fach, das sie studiert haben vermerkt sind. Und ihr seht, dass diese Schildkröte einen ziemlich speckigen Kopf hat. Das hängt damit zusammen, dass Studenten, die kurz vor einer Prüfung stehen, in Scharen hierher kommen und dann sozusagen ihre Hand auflegen, um sozusagen die Weisheit dieser Doktoranden aufzusaugen."
In der größten Pagode am Ende des begrünten parkähnlichen Geländes steht auf einem goldrot verziertem Altar nicht etwa ein Buddha, sondern die bronzene Figur des ersten Universitätsrektors. Blumen, Kerzen und vergoldete Holzverzierungen würdigen bis heute seine Leistungen; ein Teil der vietnamesischen Ahnenverehrung.
Wir saugen weiter die Besonnenheit und Ruhe, die die Tempelanlage ausstrahlt auf, schlendern vorbei an Bäumen und Buchshecken und bleiben fasziniert an einem archaisch wirkenden Baum stehen, dessen lange Luftwurzeln zum Boden herunterhängen.
"Der heißt Bodibaum, unter dem hat Buddha seine Erleuchtung erhalten. Aber die Fachbezeichnung ist eigentlich ein Ficus Religiosa, weil er für die Vietnamesen auch eine besondere Bedeutung hat, nämlich: In diesem Baum wohnen oder verstecken sich Geister oder Gespenster und Monster. Und ihr seht manchmal in großen Schalen, die in diese Bäume gehängt werden, das man versucht mit diesen Schalen, mit diesen Teelichtern dann die Götter zu besänftigen."
Wir sind von dem Besuch des Literaturtempels auf jeden Fall so besänftigt, dass wir uns langsam wieder ins bunte Treiben von Hanoi aufmachen können; vorbei an Rikschas, mit denen sich viele Touristen durch die Stadt fahren lassen, vorbei an Fahrrädern, die so mit Körben beladen sind, dass man sie kaum erkennen kann und vorbei am Ho Hoan Kiem See, an dem sich besonders die Frauen treffen, um Tai Shi oder Jazzgymnastik zu machen; trotz Hitze und knatternder Motorroller.
