Ermunterung zum Eigensinn Das war der Kern der Arbeit der evangelischen Akademie seit ihrer Gründung in den fünfziger Jahren. Tschiche spürt ihr und den Reaktionen der DDR-Staatsmacht in seinem Buch nach.
Der Autor und ehemalige Kirchenangestellte schildert kurz das partielle Versagen auch der Bekennen-den Kirche in der Nazizeit und legt die Gründungsambitionen für die Evangelischen Akademien im Osten dar. Die Kirche wollte durchaus der immer mehr dominierenden und von der DDR geförderten atheistischen Weltanschauung etwas entgegensetzen. Die DDR-Macht witterte Anti-Kommunismus, und als ein vorsichtig agierender Anti-Realsozialismus war die Akademiearbeit durchaus gedacht. Die Evangelische Akademie war keine beliebige kirchliche Einrichtung. Sie war die institutionalisierte geistige Speerspitze einer vom Westen mitfinanzierten Evangelischen Kirche. In ihr sammelten sich die Außenseiter. Mit Folgen für das Binnenklima. Tschiche beschreibt das Phänomen freundlich:
Die handelnden Personen in der Akademie verschärften oft den Konflikt.
Sie gaben der Arbeit Facettenreichtum und konkrete Farben....Die prägenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter waren in der Regel Einzelgänger, die immer wieder innerbetriebliche Personalquerelen auslösten. Der Druck von außen wurde daher begleitet von Spannungen im Inneren.
Das Buch fasst verschiedene Konfliktlinien zusammen und verrät so viel über die DDR: der Konflikt mit der Staatssicherheit dürfte am wenigsten erstaunen. Man kennt die Zersetzungsmaßnahmen und Methoden aus anderen Vorgängen – die Staatssicherheit kann nicht verhindern, das die Akademie spätestens unter ihrem Leiter Hans-Jochen Tschiche ab 1978 zu einem Sammelplatz von DDR-Kritikern wurde, die ganz normalen Leuten in der ostdeutschen Provinz begegneten. Spannender stellt sich die zweite Konfliktlinie dar: das Agieren der Kirchenoberen, um den zum Teil beträchtlichen Druck des Staates auf die Akademie abzuwehren. Und da bescheinigt Tschiche rückblickend der Kirchenleitung mehr Geschick, als er dies damals für möglich gehalten hätte. Wegen seiner Radikalität wurde er häufiger von den Kirchenoberen belehrt. Aber die Akten berichten davon, dass sie gleichzeitig häufiger die schützende Hand über ihn hielten, ohne Tschiche das wissen zu lassen. Und hier stößt das Buch an eine Grenze: Tschiche muss passagenweise über Tschiche schreiben und vermeidet autobiografische Heldengeschichten. Er zitiert aus Akten und schreibt über sich in der dritten Person. So viel understatement wirkt sympathisch, es verkleinert aber seine historische Leistung, und auch die seiner Mitarbeiter. Schon am 21.September 1968 – also kurz nach der Niederschlagung des Prager Frühlings – erklärte er öffentlich in Zusammenhang mit einem Kirchentag in Stendal zum Ost-West-System-Vergleich:
"Die Systeme im Westen und Osten sind nicht fähig, die anstehenden Probleme zu lösen und müssen deshalb gestürzt werden."
Gern würde man so etwas jetzt als Ton-Dokument einblenden oder ein paar Stimmungsbilder von den zahlreichen, mitunter heftigen, aber freundlich-konzentriert geführten Diskussionen einspielen. Doch es gibt sie nicht. Selbst Fotos sind rar. Niemand wollte der Staatssicherheit die Arbeit abnehmen. Und falls diese konspirativ alles mitgeschnitten haben sollte, so sind die Bänder wohl verschollen.
Tschiche machte die Akademie zum Forum, ließ Künstler auftreten. Die Liedermacherin Bettina Wegner lockte junge Leute an. Als Gunter de Bruyn auftrat, musste Tschiche 50,- Mark Geldstrafe zahlen. Wegen Stefan Hermlin und Christa Wolf sollten es dann 300,- Mark Ordnungsstrafe sein. Der Bestrafte weigerte sich – der Staat verzichtete auf die Zwangsvollstreckung. Keine andere Evangelische Akademie in der DDR nutzte ihre Möglichkeiten so radikal und machte Freiräume zu machtfreien Räumen. Für das, was auch Tschiche heute noch als Aufgabe der Politik empfindet: das angstfreie Gespräch. Sicher wäre das in Ostberlin, Leipzig oder Dresden so nicht möglich gewesen, auch im Theater gab es ja immer wieder das Phänomen, heikle Inszenierungen nur an Provinzbühnen zuzulassen. So lud man Referenten aus dem Westen ein – zum Beispiel Manfred Rexin vom der DDR-Führung verhassten Rundfunksender RIAS. Bei der Lektüre von Tschiches Buch und den reichlich eingestreuten Auszügen aus Stasi-Akten kann man die wütende Verblüffung der DDR-Machtverwalter schon verstehen, die immer wieder die Kirchenleitung auf die zunehmende Abwesenheit des traditionellen christlichen Denkens hinweisen. Es muss den Kirchenverantwortlichen hoch angerechnet werden, das sie diese Politisierung zuließen und diese Akademie zu einem der ungehemmten Wirkungsort einer DDR-Opposition werden konnte. Aber nicht ausschließlich. Tschiche war zwar radikal, aber er war kein Fanatiker. Sonst wären nicht die bekanntesten DDR-Schriftsteller bei ihm zur Lesung erschienen. Er baute die Akademie zu einem offenen Gesprächsforum aus.
Die Akademie war eben nicht nur ein Ort, wo dem gesellschaftlichen Engagement das Wort geredet wurde. Sie blieb auch immer eine Nische, in der man das Schöne erfahren und Wissen erwerben konnte. Und sie war ein Ort der Auszeit vom Alltag.
Besonders interessant sind auch immer wieder die Beschwerden von Gläubigen an die Kirchenleitung, die Tschiche eine zu große Sympathie für die politische Bewegung der Grünen im Westen unterstellen und meinen, er vertrete mit seinen Tagungen deren Haltung. Der Druck von prinzipientreuen Christen auf die Kirchenleitung, auf die Pfarrer, Akademieleiter oder Mitarbeiter der Offenen Jugendarbeit gefährdet die Kirche. Eine Konfliktlinie, die bislang kaum beachtet oder analysiert worden ist. Das Buch ist ein erster Schritt dazu.
Hans-Jochen Tschiche hielt es schon während der Auflösung der DDR nicht mehr in der Kirche. Ab März 1990 im Bundestag, dann im Landtag machte er als Abgeordneter für Bündnis 90/Die Grünen Politik. Aber das wäre dann doch Thema eines anderen Buches. Immerhin gehörte er zu den wenigen DDR-Bürgern, die außerhalb konspirativer Kreise politische Meinungsbildung schon geübt hatten – wie alle Mitarbeiter der Evangelischen Akademie Sachsen-Anhalt.
Hans-Jochen Tschiche: Boykottnest. Die Evangelische Akademie Sachsen-Anhalt im Visier der DDR-Staatsmacht, Mitteldeutscher Verlag 2008, Halle (Saale), 160 Seiten
Der Autor und ehemalige Kirchenangestellte schildert kurz das partielle Versagen auch der Bekennen-den Kirche in der Nazizeit und legt die Gründungsambitionen für die Evangelischen Akademien im Osten dar. Die Kirche wollte durchaus der immer mehr dominierenden und von der DDR geförderten atheistischen Weltanschauung etwas entgegensetzen. Die DDR-Macht witterte Anti-Kommunismus, und als ein vorsichtig agierender Anti-Realsozialismus war die Akademiearbeit durchaus gedacht. Die Evangelische Akademie war keine beliebige kirchliche Einrichtung. Sie war die institutionalisierte geistige Speerspitze einer vom Westen mitfinanzierten Evangelischen Kirche. In ihr sammelten sich die Außenseiter. Mit Folgen für das Binnenklima. Tschiche beschreibt das Phänomen freundlich:
Die handelnden Personen in der Akademie verschärften oft den Konflikt.
Sie gaben der Arbeit Facettenreichtum und konkrete Farben....Die prägenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter waren in der Regel Einzelgänger, die immer wieder innerbetriebliche Personalquerelen auslösten. Der Druck von außen wurde daher begleitet von Spannungen im Inneren.
Das Buch fasst verschiedene Konfliktlinien zusammen und verrät so viel über die DDR: der Konflikt mit der Staatssicherheit dürfte am wenigsten erstaunen. Man kennt die Zersetzungsmaßnahmen und Methoden aus anderen Vorgängen – die Staatssicherheit kann nicht verhindern, das die Akademie spätestens unter ihrem Leiter Hans-Jochen Tschiche ab 1978 zu einem Sammelplatz von DDR-Kritikern wurde, die ganz normalen Leuten in der ostdeutschen Provinz begegneten. Spannender stellt sich die zweite Konfliktlinie dar: das Agieren der Kirchenoberen, um den zum Teil beträchtlichen Druck des Staates auf die Akademie abzuwehren. Und da bescheinigt Tschiche rückblickend der Kirchenleitung mehr Geschick, als er dies damals für möglich gehalten hätte. Wegen seiner Radikalität wurde er häufiger von den Kirchenoberen belehrt. Aber die Akten berichten davon, dass sie gleichzeitig häufiger die schützende Hand über ihn hielten, ohne Tschiche das wissen zu lassen. Und hier stößt das Buch an eine Grenze: Tschiche muss passagenweise über Tschiche schreiben und vermeidet autobiografische Heldengeschichten. Er zitiert aus Akten und schreibt über sich in der dritten Person. So viel understatement wirkt sympathisch, es verkleinert aber seine historische Leistung, und auch die seiner Mitarbeiter. Schon am 21.September 1968 – also kurz nach der Niederschlagung des Prager Frühlings – erklärte er öffentlich in Zusammenhang mit einem Kirchentag in Stendal zum Ost-West-System-Vergleich:
"Die Systeme im Westen und Osten sind nicht fähig, die anstehenden Probleme zu lösen und müssen deshalb gestürzt werden."
Gern würde man so etwas jetzt als Ton-Dokument einblenden oder ein paar Stimmungsbilder von den zahlreichen, mitunter heftigen, aber freundlich-konzentriert geführten Diskussionen einspielen. Doch es gibt sie nicht. Selbst Fotos sind rar. Niemand wollte der Staatssicherheit die Arbeit abnehmen. Und falls diese konspirativ alles mitgeschnitten haben sollte, so sind die Bänder wohl verschollen.
Tschiche machte die Akademie zum Forum, ließ Künstler auftreten. Die Liedermacherin Bettina Wegner lockte junge Leute an. Als Gunter de Bruyn auftrat, musste Tschiche 50,- Mark Geldstrafe zahlen. Wegen Stefan Hermlin und Christa Wolf sollten es dann 300,- Mark Ordnungsstrafe sein. Der Bestrafte weigerte sich – der Staat verzichtete auf die Zwangsvollstreckung. Keine andere Evangelische Akademie in der DDR nutzte ihre Möglichkeiten so radikal und machte Freiräume zu machtfreien Räumen. Für das, was auch Tschiche heute noch als Aufgabe der Politik empfindet: das angstfreie Gespräch. Sicher wäre das in Ostberlin, Leipzig oder Dresden so nicht möglich gewesen, auch im Theater gab es ja immer wieder das Phänomen, heikle Inszenierungen nur an Provinzbühnen zuzulassen. So lud man Referenten aus dem Westen ein – zum Beispiel Manfred Rexin vom der DDR-Führung verhassten Rundfunksender RIAS. Bei der Lektüre von Tschiches Buch und den reichlich eingestreuten Auszügen aus Stasi-Akten kann man die wütende Verblüffung der DDR-Machtverwalter schon verstehen, die immer wieder die Kirchenleitung auf die zunehmende Abwesenheit des traditionellen christlichen Denkens hinweisen. Es muss den Kirchenverantwortlichen hoch angerechnet werden, das sie diese Politisierung zuließen und diese Akademie zu einem der ungehemmten Wirkungsort einer DDR-Opposition werden konnte. Aber nicht ausschließlich. Tschiche war zwar radikal, aber er war kein Fanatiker. Sonst wären nicht die bekanntesten DDR-Schriftsteller bei ihm zur Lesung erschienen. Er baute die Akademie zu einem offenen Gesprächsforum aus.
Die Akademie war eben nicht nur ein Ort, wo dem gesellschaftlichen Engagement das Wort geredet wurde. Sie blieb auch immer eine Nische, in der man das Schöne erfahren und Wissen erwerben konnte. Und sie war ein Ort der Auszeit vom Alltag.
Besonders interessant sind auch immer wieder die Beschwerden von Gläubigen an die Kirchenleitung, die Tschiche eine zu große Sympathie für die politische Bewegung der Grünen im Westen unterstellen und meinen, er vertrete mit seinen Tagungen deren Haltung. Der Druck von prinzipientreuen Christen auf die Kirchenleitung, auf die Pfarrer, Akademieleiter oder Mitarbeiter der Offenen Jugendarbeit gefährdet die Kirche. Eine Konfliktlinie, die bislang kaum beachtet oder analysiert worden ist. Das Buch ist ein erster Schritt dazu.
Hans-Jochen Tschiche hielt es schon während der Auflösung der DDR nicht mehr in der Kirche. Ab März 1990 im Bundestag, dann im Landtag machte er als Abgeordneter für Bündnis 90/Die Grünen Politik. Aber das wäre dann doch Thema eines anderen Buches. Immerhin gehörte er zu den wenigen DDR-Bürgern, die außerhalb konspirativer Kreise politische Meinungsbildung schon geübt hatten – wie alle Mitarbeiter der Evangelischen Akademie Sachsen-Anhalt.
Hans-Jochen Tschiche: Boykottnest. Die Evangelische Akademie Sachsen-Anhalt im Visier der DDR-Staatsmacht, Mitteldeutscher Verlag 2008, Halle (Saale), 160 Seiten