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Im Fadenkreuz

Man kennt ihn als den Maler der "Flag" und "Targets", jener Gemälde, die einfach die amerikanische Flagge zeigen oder breite, konzentrische Kreise, die Zielscheiben ähneln. Jasper Johns, der heute 80 Jahre alt wird, ging es in seiner frühen Malerei vor allem um eines: Zeichen, die jeder erkennt.

Von Carsten Probst | 15.05.2010
    Die Legenden um Jasper Johns' Leben und Werk sind längst geschrieben. Über Johns' erste Ausstellung zum Beispiel, die Ende der 50er-Jahre zugleich die Eröffnungsausstellung der Galerie Leo Castelli in New York war. Ein unbekannter junger Künstler in einer unbekannten neuen Galerie. Nicht der Rede wert - oder etwa doch? Zur Tür herein kommt Alfred Barr, Gründungsdirektor des Museum of Modern Art. Für das MoMA kauft Barr vom Fleck weg drei Arbeiten: Die New Yorker Kunstszene ist paralysiert. Der Marktwert von Johns' Gemälden springt über Nacht auf Rekordhöhen. Der junge, wortkarge Johns, das absolute Gegenbild zu einem Robert Rauschenberg oder Andy Warhol, ist plötzlich Kunststar. Er selbst, so scheint es, konnte die zeitweilige Hysterie um seine Bilder nie ganz nachvollziehen.

    "Da mag eine Idee in meinen Bildern sein oder auch keine. Ihre Bedeutung mag nur darin bestehen, dass das Gemälde überhaupt existiert - es wird die Leute unabhängig davon erregen oder kalt lassen, vielleicht wollen sie auch irgendetwas mit dieser Malerei anstellen, weil sie nun einmal gerade im selben Raum sind wie die Bilder auch. Sie reagieren eben darauf, wie sie auf alles andere auch reagieren."

    Zu den Legenden zählt auch, dass es der Überdruss an den hochemotionalen, riesigen Tropf- und Wischgemälden der abstrakten Expressionisten gewesen sei, der der nüchternen, lakonischen, strengen und dabei durchaus konservativen Malerei eines Jasper Johns den Weg geebnet habe. Johns wurde zu dieser Zeit berühmt durch Motive, die, wie er sagt, "jeder kennt", die für niemanden neu sind. Jeder hat sie in seinem Kopf irgendwie mitgeschaffen: Die amerikanische Flagge zum Beispiel. Besondere Verzückung löste Johns damit aus, dass er für die Grundierung der Farbe auf die antike Technik der Enkaustik zurückgriff, also auf geschmolzenes Wachs, das unter der Farbe erst langsam erkalten musste. Das gab den Bildern eine körperliche, halb transparente Anmutung, sie wurden zu Objekten, ohne ihr abstraktes Zeichendasein dabei einzubüßen. In einem frühen Interview aus der damaligen Zeit ergänzt Johns:

    "Die Malereien, die dann folgten, waren Zielscheiben und Nummern. Solche einfachen Dinge, die jeder kennt, gaben mir die Möglichkeit, Abstand zu halten von der Arbeit, mich neutral zu ihr zu verhalten. Ich machte zwar das Bild, aber ich beurteilte es nicht mehr."

    Geboren wurde er am 15. Mai 1930 in Augusta im US-Bundesstaat Georgia. Er habe schon als Kind immer Künstler werden wollen, sagt Johns von sich. Die Objektkunst eines Marcel Duchamp inspirierte ihn dann später, der Gedanke, das Bild, den Malakt selbst zum Kunstobjekt werden zu lassen, ohne dass sich darin noch der Ausdruck eines künstlerischen Selbst wiederfindet.

    Doch nicht von ungefähr pflegte Johns auch enge Beziehungen zum Tänzer Merce Cunningham und dessen Lebenspartner, dem Komponisten John Cage, später auch zu Samuel Beckett, für deren Bühnenperformances er Bilder und Entwürfe lieferte. Johns' Bilder selbst sind abstrakte logische Figuren von Bewegung, rhythmische Ordnungssysteme des Körperlichen im Raum.

    "Meine Malerei bezieht sich nicht auf Dinge, die Bilder sind, sondern darauf, wie Dinge getan werden, also auch auf Arten und Weisen zu malen, die ich in meiner Malerei anwende, die ich zuvor noch nicht angewandt habe und durch die ich irgendwie ein geschickterer Künstler werde."

    Das Publikum wird in seiner scheinbar individuellen Bewegung im Raum vor diesen Bildern auf die unbewussten logischen Muster seines Handelns zurückgeworfen. Johns' Bilder, erhaben und ausdruckslos zugleich, stehen für die neue Zeit, den Beginn der Pop Art, der reinen Konsumwelt, deren kostbare Trophäen sie sogleich auch selbst werden sollten. Inzwischen wohlhabend, kehrt der Maler in den 70er-Jahren zu konventionelleren Maltechniken zurück und verschwindet dadurch allmählich auch aus dem Fokus der großen Museen. Bis heute verbindet sich der Name Jasper Johns vor allem mit jener Phase zwischen 1955 und 1965, als er mit seinen "Flags" und "Targets" und "Numbers" der amerikanischen Kunst eine neue Richtung gab.

    DVD-Tipp:
    Titel: "Ideas in Paint: Jasper Johns"
    Produktion Rick Tejada-Flores / arthaus 2002
    ISBN 3-939873-03-9