Archiv


Im Garten der Nymphe

Das Tinguely-Museum in Basel zeigt 150 Gemälde, Skulpturen und Kollagen von Max Ernst. Im Mittelpunkt der Retrospektive steht dabei ein monumentales Werk des wohl bedeutendsten deutschen Surrealisten: das Wandbild "Im Garten der Nymphe Ancolie".

Von Christian Gampert |
    Es ist immer schön, wenn man eine Ausstellung um ein einziges Bild herumgruppieren kann, das dann auch ein Thema vorgibt. Im Fall der Basler Schau ist das ein riesiges surreales Wandbild, das Max Ernst im Sommer 1934 in ein Tanztheater am Züricher Bellevue-Platz gemalt hat. Es misst vier mal fünf Meter und entfaltet, ein bisschen obszön, lippenrote Blüten vor Blättern und hellgrün-gelbem Grund, dazwischen Finger, ein nacktes Frauenbein und eine angedeutete insektoide Gestalt, die allerdings einen Vogelkopf hat und dem ständigen bildnerischen Alter Ego des Künstlers, der Vogelfigur "loplop", nicht ganz unähnlich ist.

    Dieses im Lauf der Jahre beschädigte Bild, einst Hintergrund-Animation für tanzende Paare, wurde auf Platten aufgetragen und wird nun im Museum restauriert, jeder kann bei der langwierigen Arbeit zugucken und lernen, dass Kunstgeschichte Rekonstruktion ist. Das Bild dominiert eine nach allen Richtungen wuchernde Schau, die eigentlich "im Garten der Lüste" heißen müsste und ein surreales Zwischenreich beleuchtet - zwischen Botaniklehrbuch, freudiger Animalität und Horrorkabinett. Altmeister Werner Spies, Autor auch des Max-Ernst-Oeuvre-Katalogs, hat im Hintergrund die Fäden gezogen - und erzählt nun von der frühen wilden Dada-Zeit bis zum Spätwerk, wobei ihm mehr an komplexen motivischen Gegenüberstellungen als an einer Chronologie gelegen ist.

    Im Grunde ist in dem zentralen Wandbild, "Pétales et jardin de la nymphe Ancolie", das gesamte Ausstellungsprogramm versammelt: um bedrohliche, bisweilen aber auch zauberisch-heitere Mischwesen geht es, Menschen, Pflanzen, Tiere verbinden sich in traum- oder auch alptraumhaften Amalgamierungen, die titelgebende Nymphe "Ancolie" heißt auf deutsch Akelei, aber natürlich schwingt auch die Melancholie melodisch mit.

    Wenn man die alten Dada-Provokationen wie das "mobile Herbarium" und den sich in der Bläue räkelnden Frauenleib der "Puberté proche" dann einmal abgeschritten hat, merkt man aber doch, dass die Zeitgeschichte, und das heißt: die heraufdräuende Nazizeit, ihre Spuren im Werk hinterlassen hat - in den fleischfressenden Pflanzen, dem bleichen Mond vor dunklem Gestrüpp, den Steinwüsten. Werner Spies stellt diesen Aspekt durchaus in den Vordergrund:

    "Aus den Gesprächen mit Max Ernst wurde mir immer wieder klar, wie stark er in seinem Werk der 30iger Jahre auf die politischen Umstände reagierte. Zum Beispiel diese Collagen aus den 30iger Jahren, diese wunderbaren Blätter zu ‚une semaine de bonté’, sind nach der Auskunft von Max Ernst auch entstanden als Gegenrede zum Diskurs der Nazis. Das sind Bilder, die vergleichbar sind mit Goyas 'desastres de la guerra' und 'proverbios'."

    Es gibt die heitere, spielerische Seite des Max Ernst, die Hesperiden-Gärten, die Vogelwesen, die fröhlich-erotische Verführung des Vegetativen; und es gibt die dunkle Nacht über dem Rhein, die auch nach dem Krieg, als 1953 nochmals "Vater Rhein" beschworen wird und Max Ernst sich dem Fluss seiner Kindheit anverwandelt, nicht ganz weicht.

    Spies hat einige Ikonen für diese Ausstellung losgeeist; 80 Prozent der Bilder stammen angeblich aus Privatbesitz, phallisch-archaische Plastiken, ein bei Giacometti in Maloja gefertigtes steinernes Ei sowie großartige Beispiele für Collage-Technik und damals neue Malverfahren wie kratzen, durchdrücken, tropfen, spachteln. Ernst war ein exzellenter Zeichner - Voraussetzung für die virtuose Umsetzung des Un- und Überwirklichen. Dass auch Jean Tinguely vom surrealen Max Ernst fasziniert war, wird durch eine kleine Ehrenbezeigung am Rande klar: ein federgeschmückter Tinguely-Ochsenkopf winkt ein herzliches Salut. Und Werner Spies hebt den alten Dadamax sogar auf das Podest einer psychoanalytisch fragenden Gestalt:

    "Er stand mit mir vor seinen Bildern als Fragender. Er malte im Grunde Dinge, die auch an seine eigene Interpretationsfähigkeit appellierten. Es gab keine definitiven Lösungen. Und deshalb sind diese Kreaturen, diese Pflanzen-Tier-Wesen bei ihm so entscheidend: das sind Mischformen, wo man nicht richtig weiß, geht es Richtung Tier, Richtung Pflanze, geht es Richtung Mythologie, Richtung Realität. Er wollte solche Sachen offen lassen."