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Im Kleinlaster durch die Steppe

Mit der Schau "Intersections Intersected” zeigt das New Yorker New Museum eine Retrospektive des südafrikanischen Fotografen David Goldblatt. Rund 120 Arbeiten bieten einen außergewöhnlich neutralen und unaufgeregten Blick auf ein großes Land mit großen Problemen.

Von Sacha Verna | 02.08.2009
    Eigentlich wollte David Goldblatt Pressefotograf werden. Als solcher nahm er an der letzten Konferenz des African National Congress' teil, bevor dieser 1960 von Südafrikas Apartheid-Regierung verboten wurde. Goldblatt hatte über eine Stunde lang pausenlos fotografiert, ohne je auf den Gedanken zu kommen, dazwischen die Filmrolle zu wechseln. Als er endlich nach dem Film sah, musste er feststellen, dass seine Kamera kein einziges Bild aufgenommen hatte.

    "In dem Moment entschied er, dass er nicht zum Action-Fotografen geboren war. Und dass er auch nicht fähig war, seine Bilder in einer Umgebung zu schießen, die vor Aufregung vibriert. Dass er vielmehr eine Art meditative Ruhe braucht, um zu arbeiten. Er sieht seine Aufgabe darin, den Alltag zu fotografieren und diesen nicht zu dramatisieren oder mit Botschaften aufzuladen – sondern einfach derjenige zu sein, der ruhig das betrachtet, was vor ihm liegt."

    Das ist Richard Flood, der die große Retrospektive des südafrikanischen Fotografen David Goldblatt im New Yorker New Museum organisiert hat. Rund 120 Arbeiten aus fünf Jahrzehnten sind in der Ausstellung "Intersections Intersected” versammelt. Keine einzige davon schreit "Spektakel, Spektakel, schau mich an!”.

    Dabei enthalten Goldblatts Sujets durchaus Zündstoff: Ein schwarzer Junge steht mit erhobener Faust vor den Gräbern ermordeter Anti-Apartheid-Aktivisten. Eine Aids-Schlaufe verblasst irgendwo in der Wüste auf einem Stein und erinnert zugleich an das Stammeszeichen von Eingeborenen. Eine Farmerin posiert mit ihrem Geburtstagskuchen in ihrem völlig vertrockneten Gemüsegarten.

    David Goldblatt, der 1930 als Sohn litauischer Juden in der Nähe von Johannesburg geboren wurde, bezeichnet sich als "unlizensierten, selbsternannten Beobachter und Kritiker der südafrikanischen Gesellschaft”. Seine Fotografien sind insofern politisch, als sie das Leben in einem Land mit gelinde gesagt wechselhafter Geschichte dokumentieren.

    Goldblatt unternehme regelmäßig Expeditionen quer durch Südafrika mit einem Kleinlaster, den er zu einer Dunkelkammer und zu einem Wohnwagen umgebaut habe, erklärt Richard Flood die Arbeitsweise des Fotografen. Die großformatige Farbaufnahme einer Familie nomadischer Schafscherer ist so auf einer staubigen Landstraße entstanden:

    "Er kam an dieser kleinen Karawane von Leuten vorbei und fuhr ihnen ungefähr eine Viertelmeile voraus, parkte seinen Truck, stellte seine Kamera auf und wartete damit auf sie. Dann fragte er sie, ob er sie fotografieren dürfe. Sie willigten ein."

    Der Respekt für die Menschen, die er fotografiert, spricht aus jedem einzelnen von David Goldblatts Bildern:

    "Es ist entscheidend für ihn, ein förmliches Verhältnis zu den Porträtierten zu haben, kein zwangloses. Er spricht nicht mit ihnen, während er sie fotografiert, er versucht nicht, die Stimmung aufzulockern. Er baut seine Kamera auf und bittet sie, eine Stellung einzunehmen. Auf diese Weise glaubt er sicherzustellen, dass die Würde der Porträtierten nie angetastet wird."

    Trotzdem oder eben deshalb wirken diese Bilder nie leb- oder gar lieblos. Selbst wo nichts außer einer Gruppe weißer Kreuze in der Unendlichkeit der Steppe zu sehen ist – und die Unendlichkeit der südafrikanischen Landschaft spielt in Goldblatts Werk eine zentrale Rolle – selbst in dieser Kombination aus Tod und gleißendem Sonnenlicht also kommt die Verbundenheit dieses Fotografen mit seiner Heimat zum Ausdruck. Richard Flood beschreibt David Goldblatts Arbeit als stilles Selbstgespräch. Ein Selbstgespräch – vielleicht. Aber eines, das zum Dialog einlädt.

    Die Ausstellung "Intersections Intersected: The Photography of David Goldblatt” ist noch bis am 11. Oktober in New Museum in New York zu sehen.