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Im Kot gefunden

Paläontologie. - Wer in die Vergangenheit der Erde schauen will, muss an Hinweisen nehmen, was er bekommen kann. So ziehen Paläontologen sogar aus den versteinerten Überbleibseln uralter Kothaufen ihre Schlüsse. Schwedische Forscher haben die Exkremente von kreidezeitlichen Dinosauriern untersucht und herausgefunden, dass Gräser mindestens zehn Millionen Jahre älter sind, als man bisher immer annahm. In der aktuellen "Science" berichten sie über ihre Ergebnisse.

Von Michael Stang |
    Paläontologen interessieren sich nicht nur für Knochen und Eier von Dinosauriern, sondern auch für Koprolithen. Diese Hinterlassenschaften der Riesenechsen gehen auf das griechische Wort Kopros zurück und das bedeutet Kot. Koprolithen sind versteinerte Kothaufen. In den meist kugelförmigen Ausscheidungen können die Forscher erkennen, was die Produzenten des versteinerten Dungs gefressen haben. Als Caroline Strömberg vom schwedischen naturhistorischen Museum in Stockholm zusammen mit indischen Kollegen Dinosaurierkot der späten Kreidezeit aus dem heutigen Indien untersuchte, stieß sie auf kleine, harte Einlagerungen, so genannte Phytolithen, in diesem Fall von Gräsern.

    "Sie bestehen aus Kieselsäure und werden mit dem Grundwasser in die Pflanzen geschwemmt. Dann setzen sie sich in den einzelnen Zellen fest. Graspflanzen haben sehr viele von ihnen und schleifen deshalb die Zähne von Weidetieren extrem ab. Der große Vorteil ist, dass wir die Phytolithen im Gegensatz zu Pollen sehr gut unterscheiden können."

    Diese Phytolithen verraten aber weitaus mehr als nur den Speiseplan der Kotproduzenten. Anhand der Mikrofossilien konnten die Forscher erkennen, welche Pflanzen damals schon verbreitet waren. Überraschenderweise waren dies vor allem Gräser. Bislang waren die Forscher davon ausgegangen, dass sich Gräser erst viel später - frühestens vor etwa 55 Millionen Jahren - entwickelt haben. Die untersuchten Kothaufen stammen aber aus der Zeit der Oberkreide und sind etwa 65 Millionen Jahre alt. Die Forscher entdeckten zudem verschiedene Typen dieser Phytolithen. Die Gräser hatten schon einige Entwicklungszeit hinter sich. An diesen Einlagerungen forscht seit Jahren auch Dolores Piperno. Die Wissenschaftlerin vom Smithsonian Tropical Research Institute in Panama sieht die Arbeit von Caroline Strömberg als Meilenstein der Paläontologie.

    "Der eine wichtige Aspekt dieser Arbeit ist, dass die Forscher zum ersten Mal beweisen konnten, dass die Gräser schon sehr früh weit entwickelt und weit verbreitet waren. Der zweite wichtige Punkt ist, dass die Forscher beweisen konnten, dass sich Tiere und Pflanzen in Reaktion aufeinander entwickelt haben."

    Bislang vermuteten die Forscher, dass die frühen Säugetiere große Zähne hatten, weil sie diese für ihre Lebensweise brauchten, ähnlich wie dies bei Bibern der Fall ist. Die neuen Erkenntnisse deuten aber darauf hin, dass die Tiere ihre Zähne hauptsächlich zum Zermalmen der Nahrung - insbesondere der Gräser - genutzt haben. Und das wesentlich früher, als alle Forscher bislang angenommen hatten, so auch Caroline Strömberg:

    "Es war eine unglaubliche Überraschung, ein absoluter Schock. Alle Forschungen gingen bislang davon aus, dass die Ausbreitung der ersten Gräser eng mit dem Klimawandel am Ende der Kreidezeit einherging. Wir haben jetzt gezeigt, dass der Grund für die weltweite Ausbreitung der Gräser aber ein anderer sein muss, da die Ausbreitung viel früher begann. Das ist genau das Gegenteil von dem, was alle vorher geglaubt haben. Damit haben wir sogar die errechneten Zahlen der Genetiker übertroffen, die bereits andeuteten, dass die Gräser älter sein müssen, als alle bisherigen Fossilfunde."

    Damit haben sich die Gräser in einer Zeit entwickelt und verbreitet, als Indien noch zu dem großen Urkontinent Gondwana gehörte. Als sich Indien am Ende der Kreidezeit vom Festland löste, müssen die Gräser bereits auf beiden Seiten etabliert gewesen sein. Dolores Piperno sieht in dieser Arbeit den Beginn einer neuen Forschungsrichtung:

    "Die Forscher müssen als nächstes schauen, wie weit verbreitet die Phytolithen wirklich sind. Sie können jetzt die bekannten Fossillagerstätten aus der Kreidezeit exakt nach diesen Phytolithen absuchen."

    Die Forscherin hofft, dass der Paläontologie damit eine ergiebige Datenquelle für die späte Kreidezeit zur Verfügung steht. Einzelne Phytolithen in einer Ablagerungsschicht ermöglichen Einblicke in die Vergangenheit. Noch aussagekräftiger sind die Ablagerungen aber in Koprolithen. Denn alle darin enthaltenen Ablagerungen standen nicht nur auf dem Speiseplan des Kotproduzenten, sondern die Pflanzen müssen auch zeitgleich die kreidezeitliche Vegetation bestückt haben, da die Koprolithen die Überreste einer Mahlzeit sind. Kothaufen können also teilweise mehr Informationen über die damalige Zeit preisgeben, als ein vollständiges Dinosaurierskelett.