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Im Kriegsgebiet

Die vielfach ausgezeichnete deutsche Dramatikerin Dea Loher ist eine Frau fürs Schreckliche. Ihre Stücke, ihre Texte handeln vom Tod in der Gaskammer, vom Terrorismus der Roten Armee Fraktion und vom Treiben der auch nicht gerade netten mythischen Figur des Blaubart. Nun präsentierte sie "War Zone" am Maxim Gorki Theater in Berlin.

Von Michael Laages |
    Etikettenschwindel - freundlicher lässt sich das "Projekt" kaum beschreiben, dass das neue Gorki-Team da vom Zaun gebrochen hat. "Warzone", im Handzettelchen des Theaters untertitelt "Fünf Texte aus dem innersten Kriegsbereich", ist eben kein "neues Stück" von Dea Loher; es dokumentiert nur die grundsätzlich fahrlässige Spekulation mit einem prominenten Namen - um auch diesen noch eingemeinden zu können für den Eröffnungsmarathon, mit dem ja die Gorki-Großsprecher immerhin nichts weniger in Aussicht stellen als die Neu-Erfindung des guten alten Stadttheaters mit den Mitteln der Recherche an den Rändern der Großstadt.

    Gerade in dieser Hinsicht hätte speziell diese Autorin allemal einiges beizusteuern, und zwar formuliert in "richtigen" Stücken - aber die waren eben leider nicht in Uraufführungen zu haben, die der neue Gorki-Intendant und Regisseur Armin Petras spielplanfüllend versprochen hat. Stattdessen hat die Dramaturgie des Hauses fünf Loher-Texte montiert; sie haben keinen Zusammenhang, außer der Tatsache, dass sie vom Krieg und den Folgen auf den Menschen handeln - was ja an sich ein guter Ausgangspunkt wäre. Doch es sind eben obendrein Miniaturchen, frei von der Dramaturgie des Theaters - entnommen sind sie der Szenen-Sammlung "Magazin des Glücks", die in Hamburg schon mal sieben "richtige" kleine Uraufführungen wert war, und bislang waren die Texte vom Krieg schon Material für ein Hörspiel. Und das war wahrscheinlich auch eher gut so.

    Drei Männer skandieren im Chor den Auftrag für den letzten Marsch, der sie, endgültig und todgeweiht, uniformiert - äußerlich sowieso, aber auch innerlich: in der Bereitschaft, bis an die allerletzte Grenze des eigenen Ich, also das eigene Sterben zu gehen. Später taucht das Terzett noch ein paar Mal: in einer stumm simulierten Vergewaltigung, im Chor der Killer über die kriegsbedingte Selbstverständlichkeit des Tötens. Eine Frau trifft vor einem ausgebrannten Haus dessen greisen Besitzer - und schreiend verstummt sie vor dessen Elend und dem eigenen Nicht-helfen-Können. Eine andere flüchtet vor den Killern und muss auf der Flucht, und um die Kinder zu retten, zur Killerin werden. Schließlich noch ein Monolog der Liebsten daheim: "Ich bin das Leben, das ihr nicht versteht, und der Tod, der euch begehrt!" - als kleine, finstre Sprechoper wären diese Miniaturen denkbar, und vielleicht sogar stark; mit stärkerem Personal! Sie füllen nun aber obendrein bestenfalls ein Viertel der 75 Uraufführungsminuten - drum herum hat Lara Kugelmann, künstlerisch-choreographische Partnerin des Intendanten Petras, sechs Damen und Herren zum Tanz gebeten - Berliner Laien, liebenswerte Menschen bestimmt, die (so will es wiederum die Dramaturgie) "Alltagserfahrung strukturellrer Gewalt in Deutschland" vor- und darstellen sollen, tanzend.

    Aber warum? Um zu dokumentieren, wie weit unsere Leiden am Alltag entfernt bleiben muss (Gottseidank!) von den Höllen des Krieges? Wenn's so wäre, dürften die Laien sich mit ihrem Kleinkram durchaus denunziert fühlen - als Jammerlappen. Aber die Dramaturgie glaubt ja nicht mal den eigenen Ideen - denn ernstlich erzählt wird nichts von Frau Bajinski und Herrn Hergemöller, Frau Friedrich und Herrn Knuth, Frau Schicke und Herrn Völcker. Auch was ihr Leben ausmacht, ist unkenntlich wie der Zusammenhang von Lohers Text; sie hüpfen nur rum, wenn sie nicht gerade ziemlich albern Nijinski oder andere Tanz-Größen imitieren oder gar wie blöde zwitschernd und wie auf Bäumen hockend Vögel spielen zur schmerzhaft zerhäckselten Musik. Arbeit mit Laien kann extrem aufregend sein im Theater - dies hier ruft die dümmste Reaktion hervor, die denkbar ist bei solchen Projekten: dass sie das ja ganz nett machten, diese Laien. Das ist die schlimmste Art von Verachtung für "wirkliches Leben" auf der Theaterbühne: Sympathie mit halbem Herzen.

    Matthias Huhn heißt der Regisseur, und er fällt dadurch auf, dass er trotz eher fortgeschrittenem Alter die Art des Kids von heute bevorzugt, die Jeans auf halber Höhe am Hintern zu tragen. Na klasse. Was er dem Theater zu geben hat, ist derweil nicht zu sehen an diesem vertanen Abend. Was das neue Maxim-Gorki-Theater mit derartigem Schmarren beitragen will zur "Biographie der Großstadt", bleibt auch eher unklar. Und Dea Loher tat gut daran, in Sao Paulo zu bleiben statt zur Premiere zu kommen - dort, in Brasiliens Megamonstermetropole, hat morgen ihr bis dato bestes "richtiges" Stück Premiere: "Unschuld". Berlin kann sie sich schenken.