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Im Labyrinth der Einsamkeit

Die Risse in der Geschichte und in seinem eigenen Leben haben Octavio Paz' Werke geprägt und ihn vom "Labyrinth der Einsamkeit" sprechen lassen. Der Schriftsteller und langjährige Diplomat seines Landes Mexiko wurde vielfach für sein literarisches Werk ausgezeichnte, 1990 mit dem Nobelpreis für Literatur. Gestorben ist Octavio Paz vor zehn Jahren in Mexiko City.

Von Christian Linder | 19.04.2008
    Als Octavio Paz mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet wurde, ehrte der damalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker in seiner Laudatio Paz als einen der profiliertesten Vertreter der lateinamerikanischen Kultur, der in seiner Person vereine, was diese Kultur ausmache, nämlich, mit Paz' eigenen Worten:

    Imagination, Sensibilität, Liebenswürdigkeit, Sinnlichkeit, Melancholie, ein tiefes Gefühl für das Jenseitige und ein nicht weniger ausgeprägter Sinn für das Hier und Jetzt.

    Für diese Kultur Lateinamerikas steht das Werk von Octavio Paz gleichrangig neben dem Werk eines Pablo Neruda, Jorge Luis Borges oder Gabriel Garcia Marquez. Wie Borges verfügte Paz über eine literarische Bildung, die ihresgleichen suchte und entstanden war bei der Lektüre nicht zuletzt der europäischen Literatur, mit der Paz lebenslang einen intimen inneren Dialog geführt hat. Überhaupt stand der Dialog für das poetische wie auch politische Konzept von Paz, das er in seiner Dankrede zur Verleihung des Friedenspreises erläuterte:

    "Der einfachste und wesentlichste Ausdruck der Demokratie ist der Dialog, und der Dialog öffnet die Türen des Friedens. Nur wenn wir die Demokratie verteidigen, wird es uns möglich sein, den Frieden zu bewahren. Die Freiheit gibt es nicht vor dem Frieden, aber auch nicht nach ihm: Frieden und Freiheit sind unauflöslich miteinander verbunden."

    Geboren am 31. März 1914 in der Nähe von Mexiko City hat Octavio Paz früh die Widersprüchlichkeit und den Riss seiner Zeit erfahren - denn dieser Riss ging quer durch seine Familie. Sein Großvater unterstützte das Regime des Diktators General Diaz, der Mexiko wie seinen Großgrundbesitz regierte, während Octavio Paz' Vater ein enger Vertrauter des Revolutionärs und Bauernführers Emiliano Zapata war.

    Dem Einfluss des Vaters folgend, brach Paz später ein Studium ab und ging in die Provinz Yucatán, wo er eine Schule für Arbeiter- und Bauernkinder aufbaute. Aber es war auch weltweit eine Zeit der Bürgerkriege, und Paz, inzwischen überzeugter Kommunist geworden, stellte sich während des Spanischen Bürgerkrieges - er war 1937 zu einem Schriftstellerkongress nach Madrid gekommen - auf die Seite der Republikaner, die sein Ansinnen, an ihrer Seite mit dem Gewehr zu kämpfen, jedoch zurückwiesen mit der Bitte, für die gemeinsame Sache in Mexiko zu arbeiten.

    Also reiste Paz 1938, nach einem Zwischenaufenthalt in Paris, nach Mexiko zurück. Was er von dort beobachten musste, war eine der bestimmenden Erfahrungen in seinem Leben: Als Stalin das Räte-Modell der spanischen Republikaner verhinderte; als er dann auch noch mit Hitler einen Pakt schloss und schließlich sogar Leo Trotzki, den einstigen Kampf-Gefährten, dem Paz mehrfach begegnet war, im mexikanischen Exil ermorden ließ, wandte Paz sich ab - für ihn das Ende des Gedankens an die große proletarische Revolution.

    Während seines Europaaufenthaltes hatte die Begegnung mit den Surrealisten um André Breton Paz auf die Idee gebracht, dass das, was man gewöhnlich eine menschliche Identität nennt, nichts anderes ist als eine Illusion.

    Identität ist wie ein Spiegelbild von etwas, das man sich nur einbildet.

    "Ich ist ein anderer", behauptete Paz nun mit Arthur Rimbaud und verknüpfte diese geheimnisvolle Botschaft des französischen Schriftstellers mit Motiven der alten mexikanischen Kultur, mit Mythen und Sagen und Legenden. Ein Zauberer in seinem Labor, der mit den Hieroglyphen spielte und seiner Zeit und dem kollektiven Leben aller die Geheimnisse zu entreißen versuchte.

    Die Dichtung ist Metamorphose, Veränderung, alchimistischer Vorgang, und darum grenzt sie an die Magie, an die Religion und andere Versuche, den Menschen zu verwandeln und aus 'diesem’ und 'jenem’ diesen 'anderen’ zu machen, der er selber ist. Das Bild verwandelt den Menschen und lässt ihn seinerseits Bild werden, das heißt Raum, in dem die Gegensätze verschmelzen. Und der Mensch selber, von Geburt an in sich zerrissen, versöhnt sich mit sich selbst, wenn er Bild wird, wenn er 'ein anderer’ wird.

    Sein Bild vom Menschen hat Paz in einer mehr als fünfzigjährigen Arbeit auszuformulieren versucht, bis in die letzten ästhetischen Abstraktionen hinein den Schatten nachzeichnend, den ein Mensch auf die Welt wirft. Dabei hat er nie seinen Pragmatismus verloren, die Einsicht in die Notwendigkeit, hier und heute auf seine Zeit und die Lebensbedingungen aller zu reagieren.

    Dieser intellektuelle Weltbürger und mexikanische Patriot hat seinem Land über viele Jahre als Diplomat gedient, unter anderem sechs Jahre als Botschafter in Indien. Als 1968, kurz vor den Olympischen Spielen in Mexiko, eine Studenten-Demonstration von der Polizei blutig aufgelöst wurde und dabei 340 Menschen ums Leben kamen, legte er aus Protest sein Botschafteramt nieder und widmete sich wieder ausschließlich seiner Literatur, auf der Suche nach einem Sinn der Geschichte, wissend, dass allein die Suche nach diesem Sinn schon Sinn mache, so wie er auch von seiner Poesie gesagt hat, die Worte, die er schreibe, seien auf der Suche nach ihrem Sinn, und eben darin bestehe ihr ganzer Sinn.