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Im Luxuszug durch die Highlands

Das raue Wetter in den schottischen Highlands ist nichts für zarte Wandersleute. Doch auch, wer sich vor Regen und scharfem Wind fürchtet, kann die einzigartige Landschaft kennenlernen, und zwar per Zug. Luxusliebhaber wählen für ihre Bahnfahrt ins Herz der Highlands den über 100 Jahre alten Nobelzug "The Royal Scotsman".

Von Claudia Decker |
    Unüberhörbar, dies ist eine schottische Reise. Aber es wäre irreführend, einfach von einer "Zugfahrt" zu sprechen. Denn dieser Zug ist ein Prachtexemplar: Bordeauxrot, wie auf Hochglanz poliert, Vorhänge an den Fenstern, so warten am Bahnsteig neun Waggons, auf jedem prangt in ganzer Länge der stolze Schriftzug "The Royal Scotsman". Und wirklich, wir empfinden ihn wie eine königliche Kalesche, die für uns am Bahnsteig bereitsteht. So beschreiten wir den roten Teppich, der eigens für uns ausgerollt wurde, ertragen das ohrenbetäubende Spiel unseres Dudelsackpfeifers in vollem Schottenornat mit Kilt, klar, und ohne Anstrengung besteigen wir unser rollendes Hotel über ein kleines Treppchen, auch dieses königlich.

    Michael, der Train Manager reicht uns dabei galant die Hand.

    "Please come on board and enjoy some champagne."

    Zur Begrüßung gibt es Champagner, im Salonwagen am Ende des Zuges, vorbei an der Bibliothek, gut gefüllt mit Reisebüchern und Romanen, vorbei auch am Weinkeller und an der Küche, in der Mark und Danny auf kleinstem Raum vergnügt die Suppenkelle schwingen.

    Im Salon: Der sogenannte Observation Car ist ein behaglich-gediegenes Wohnzimmer, die Sofas mit grünem Samt bezogen, dezentes Schottenkaro auf Kissen und Stühlen. Kleine Tischchen erlauben das Abstellen der Drinks. Blumenbuketts haben auch noch Platz. Dunkelroter Teppichboden, weiße Art-déco-Lampenschirme, Ventilatoren an der Decke, viel lackiertes Holz - das hier ist gepflegte Nostalgie.

    Die Waggons des Royal Scotsman stammen aus dem späten 19. Jahrhundert und wurden mit Liebe zum Detail restauriert.

    Helle, geraffte Samtvorhänge an den Panoramafenstern lassen freie Sicht nach draußen. Wir nippen am Champagner, lehnen uns entspannt zurück.

    Im Moment kann nichts schöner sein, als in diesem Luxus die Gegenwart und ihre lästigen Begleiter - wie Handys und Laptops- einfach zu vergessen: Der Nostalgie hier sind wir verfallen und bereit, uns entführen zu lassen auf eine Reise zu Schottlands schönsten Gärten, schönsten Landschaften, zu Landhäusern und ihren Bewohnern. Vier Tage lang.

    Der Schlafwagen ist rasch in Augenschein genommen - 16 Doppel- und vier Single-Kabinen. Und auch dort gibt es auf kleinstem Raum mehr als man braucht, sogar einen Schreibtisch mitsamt Briefpapier! Die dunkle Holzvertäfelung glänzt im Schein der Wandlämpchen, große Spiegel sorgen für optische Größe, und das winzige Bad hat eine Dusche - perfekt.

    Das ist der Rhythmus, der Bahnfreunde in Entzücken versetzt. Der Rhythmus einer vergangenen Zeit, als Züge noch gemächlich durch die Landschaft rollten und ihre Waggons Pullmanwagen waren, was besonderen Komfort verhieß. Maximal 70 Meilen pro Stunde fährt der Royal Scotsman und allein schon das behutsame Tempo gibt den Takt für ein anderes Zeitgefühl.

    "Also ich schau raus und habe das Gefühl, in einer anderen Welt zu sein. Es ist alles so entschleunigt. Man schaut die Farben an, diese wunderschönen wild wachsenden Rhododendren, den gelben Ginster, die dunklellila-blauen Hasenglöckchen - es ist einfach nur schön, einfach schön."

    Aber sie hat die Reise auch wegen der Gärten gebucht. Also heißt es raus aus dem bequemen Samtsitz und rein in den Bus, auf zum ersten Garten. In diesen vier Tagen werden wir sieben Gärten und Landsitze besuchen. Und jeder Garten öffnet aufs Neue eine eigene faszinierende Welt.

    Gleich der erste ist eine Besonderheit, unique, wie Bill Balfour, der alte Kustos von Edzell Castle, sagt, als er voller Enthusiasmus von der Geschichte und vom Charakter seines Gartens erzählt. Und er philosophiert: Es ist ein Lustgarten, ein Abbild seines längst verblichenen Schöpfers.

    Der Garten hat die Zeiten überdauert. Die hohe Backsteinmauer aus dem frühen 17. Jahrhundert, die dem Burgherrn Sir David Lindsday zugeschrieben wird, gibt dem Garten Abgeschiedenheit, Stille. Welche Blumen damals hier blühten, ist nicht überliefert, nur die Mauer blieb in den schottisch-englischen Kriegen unversehrt. Der Garten wurde in den 30ern neu angelegt, aber er hat den Geist alter Zeit bewahrt und ist ein Juwel, smaragdgrün, ein Kunstwerk aus Buchsbaum-Ornamenten, -bäumchen und -hecken in exaktem Formschnitt, mal streng geometrisch, mal in sanfter Linienführung. Alles in diesem Garten hat seine Bedeutung, erklärt der Kustos weiter, und zeigt auf Muster und Figürchen in der Mauer. Ja, dieser Garten ist ein spiritueller Ort - ein Ort der Stille, mit einer ganz besonderen Atmosphäre, einem ganz besonderen Duft.

    Bill spürt der Geschichte dieses grünen Fleckchens Erde nach, macht uns aufmerksam auf die uralten Gravierungen in der Mauer, mit der Sir David Lindsay damals seinen Status dokumentierte.

    Wirklich, was für ein wunderbarer stiller Ort.

    - Der Zug rollt weiter. Aber im Salonwagen ist der Besuch des grünen Juwels von Edzell Castle noch am nächsten Morgen Gesprächsthema - auch wegen der Geistergeschichten, die sich die Leute von Edzell Castle erzählen. Schottland wäre ärmer ohne diese Storys.

    Uns ruft der nächste Garten, als wir Inverness, die Hauptstadt der schottischen Highlands, passiert haben. Seine Clans und die Whisky-Produktion haben die Highlands weltberühmt gemacht - das Bergland im Norden Schottlands, auch Heimat des Fabelwesens von Loch Ness. Aber das Ungeheuer kümmert uns nicht..

    Wir besuchen Hector und seine Mutter Mrs. Munro, eine quicklebendige alte Dame in ihrem Schloss aus dem 18. Jahrhundert. Allein die Auffahrt zeigt: Die Munros haben einen atemberaubenden Ausblick auf uralte Bäume, auf einen See, auf Wald und Berge. Aber erst der Garten!

    Es regnet nicht, die alte Dame freut sich, ihren hübschen Garten präsentieren zu können - was will man mehr. Die Laune ist prächtig.

    Im Schutz hoher Mauern wuchern Rhododendronbüsche mehr als mannshoch in Pink und Rot, dazwischen Azaleen und eine große weiße Kamelie. Kieswege führen vorbei an Staudenbeeten mit Lupinen in allen Farben. Und immer wieder Rosen. Was vor Jahrzehnten noch der Hühnerhof des Hauses war, ist jetzt eine Augenweide. Bloß mit den Namen der Gewächse hat es die Lady nicht mehr so. Aber sie erinnert sich noch an die Personen, die ihr die Blumen einmal geschenkt haben.

    Dass die Blumen hier so rasch und üppig wachsen, erklärt Sue, eine unserer Betreuerinnen, damit, dass Schottland zwar ein kühles Klima hat, aber - bedingt durch den Golfstrom - nur selten Frost. Dazu kommt der viele Regen, der saure Boden, den viele Blumen mögen, und im Sommer sind die Tage sehr lang. Schottland hat zwar wenig Sonne, aber im Sommer fast 24 Stunden Tageslicht.

    Der Regen beendet unsere Tour durch den Garten der Munros. Drinnen dürfen wir die Besichtigung fortsetzen, geführt von Mutter und Sohn: Von den Schlafräumen im ersten Stock geht es bis hinunter in den Keller, wo eine große Schlossküche noch unverändert zu bestaunen ist, wie sie von der Dienerschaft benutzt wurde bis kurz nach dem Zweiten Weltkrieg, als das Haus noch keinen Strom hatte und man sich mit Kerzen behalf. Das hatte den Vorteil, dass man nicht sah, wie viele Ratten durchs Haus liefen, sagt die rüstige alte Lady.

    Bei Sandwiches und Shortbread-Keksen gibt Hector - im Alltag Landwirt und Whiskybrauer - dann noch einen Abriss über 700 Jahre Familiengeschichte und wartet mit einer Whisky-Verkostung auf. Man könnte glatt vergessen, dass man auf Reisen ist.

    Jeden Tag stehen zwei Gärten auf dem Besichtigungsprogramm, einer schöner als der andere, jeder auf seine Weise spektakulär und großzügig entworfen, jeder in jahrzehntelanger Arbeit liebevoll gehegt, aber mit jeweils eigenem Charakter. Wir haben gelernt: Ein Garten trägt das Antlitz seines Gestalters.
    Und jeden Tag gleiten wir durch grüne Täler und Ebenen, vorbei an Bergen, Schafweiden und dunklen Seen, an deren Ufer sich tatsächlich Seehunde rekeln. Immer begleitet von der so wohltuend gleichförmigen Melodie des Zuges.

    Die Gespräche zwischendrin, im Salonwagen oder bei den Mahlzeiten im Speisewagen, drehen sich längst nicht mehr nur um Gärten und die täglichen Mühen, sie in Form zu halten. Eine bunte Gruppe hat sich da zusammengefunden, Deutsche, Spanier, ein Paar aus den USA, Engländer, zwei Schotten ... und wir palavern über Gott und die Welt und natürlich auch über das Essen, das so gut ist, dass man einfach nicht widerstehen kann.

    Nach dem Dinner treffen sich alle wieder im Salonwagen, bei Wein oder Whisky zum Ausklang eines schönen Tages.

    Es herrscht Wehmut, als am fünften Tag der Garten-Tour Edinburgh wieder in Sicht kommt.

    "Das war eine Super-Reise. Es gibt keine angenehmere Art, Schottland und seine Geschichte und die Leute kennenzulernen. Die Gärten waren hervorragend. Nur kommt man jetzt zurück und sieht den eigenen Garten mit ganz anderen Augen. Äußerst beeindruckend war auch die Wärme und Herzlichkeit und Offenheit gegenüber wildfremden Leuten. Also das war eine runde Sache. An und für sich könnte man die ganze Reise jetzt noch mal rückwärts machen."