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Im Namen der Atommacht Frankreich

1985, als Frankreich Nukleartests vor Tahiti durchführte, sollte die "Rainbow Warrior" die Proteste der Atomgegner anführen. Doch in der Nacht vor dem Ablegen versenkten französische Agenten das Schiff. Heute kann man vor Neuseeland zu dem Wrack tauchen.

Von Andreas Stummer | 10.07.2010
    Ein wolkenverhangener Morgen in der Matauri-Bucht im Norden Neuseelands. Durch Wind und Regen nimmt ein einsames Motorboot Kurs auf die offene See. An Bord: eine Handvoll Sporttaucher. Ihr Ziel liegt etwa zweieinhalb Kilometer vor der Küste, in 30 Metern Tiefe auf dem Grund des Pazifiks. Das Wrack des legendären Greenpeace-Schiffes "Rainbow Warrior".

    Je näher das nasse Grab der Rainbow Warrior kommt, desto ruhiger wird es an Deck. Wortlos werden Tauchmasken und Sauerstoffgeräte angelegt. Chris Petropolis ist eigens aus Südafrika angereist. Nicht wegen des klaren Wassers vor der neuseeländischen Küste oder der seltenen Fischarten. Er ist hier, um ein Stück Geschichte aus nächster Nähe zu sehen:

    "Hier zu tauchen ist etwas Besonderes, weil da unten die Rainbow Warrior liegt. Der Name steht für Spionage, eine politische Affäre und einen Terrorakt gegen eine Umweltschutzorganisation. Das Versenken der Rainbow Warrior ist bis heute nicht vergessen und das Wrack eine historische Tauchstelle."

    Das Wrack der Rainbow Warrior bekam vor der Matauri-Bucht ein Seebegräbnis wie ein Maori-Häuptling. Das Schiff war ein verwundeter Krieger, ein stolzer Kämpfer für eine bessere Umwelt. Es musste erst geborgen und dann zu seiner letzten Ruhestätte geschleppt werden. Versenkt, leckgeschlagen und manövrierunfähig durch einen Sabotageakt im Hafen von Auckland, etwa 200 Kilometer weiter südlich.

    1985. Es ist die Zeit der französischen Nukleartests vor Tahiti. Die Rainbow Warrior soll als Flaggschiff von Greenpeace die Proteste der Atomgegner in der Südsee anführen. Doch in der Nacht vor der Abreise aus Auckland reißen zwei Sprengladungen ein Loch in den Rumpf des Schiffs, die Rainbow Warrior läuft voll Wasser und sinkt.

    Ein Greenpeace-Fotograf an Bord stirbt. Ermittlungen ergeben, dass sechs französische Agenten die Rainbow Warrior im Regierungsauftrag versenken sollten. Vier entkommen, die zwei Saboteure aber werden schnell gefasst und zu je zehn Jahren Haft verurteilt. Die Führung in Paris, unter Staatspräsident Francois Mitterrand, streitet zunächst alles ab, bemüht sich dann aber erfolgreich um die Auslieferung der Täter.

    Die Bombenleger sitzen nur einen Bruchteil ihrer Strafe ab – nicht in Neuseeland, sondern auf einer zu Frankreich gehörenden Südseeinsel. Später bekommen die Agenten sogar einen Verdienstorden des Militärs verliehen. Die Verantwortlichen in der französischen Regierung werden nie zur Rechenschaft gezogen. Für ganz Neuseeland: Ein Affront. Geoffrey Palmer, damals neuseeländischer Justizminister, ist bis heute nicht gut auf die Franzosen zu sprechen:

    "Wir konnten nicht fassen, was passiert war. Der Anschlag und die Lügen der Franzosen waren ein Skandal. Nie zuvor wurde Neuseelands innere Sicherheit so angegriffen und mit Füßen getreten. Das Versenken der Rainbow Warrior war Terrorismus im Regierungsauftrag. Eine Kriegserklärung der Franzosen."

    Die Neuseeländer protestierten auf ihre Art: mit wütenden Demonstrationen vor der französischen Botschaft und einem Boykott aller Frankreich-Importe. Tauchlehrer Kelly Weeds hat nicht vergessen, wie niemand mehr Baguettes, Camembert oder französischen Wein kaufte. Aus Protest wurde Champagner kistenweise ins Meer gekippt.

    "Die Franzosen waren unsere Verbündeten. Tausende Neuseeländer sind in zwei Weltkriegen in Frankreich gestorben und nicht einmal 60 Jahre später jagen die Franzosen eine Bombe in unserem Land hoch. Aber das Versenken der Rainbow Warrior hat uns alle vereint. Danach sagte ganz Neuseeland: "Wir bleiben nuklearfrei – und der Rest der Welt kann uns mal."

    Der Anschlag auf die Rainbow Warrior in Neuseeland war für Frankreich eine Bombe, die nach hinten losging. Seitdem herrscht zwischen beiden Ländern diplomatische Eiszeit. Die ganze Welt begann die französischen Atomversuche in der Südsee scharf zu kritisieren, bis sie, im Jahr 2000, in der Amtszeit von Jacques Chirac, eingestellt wurden. Greenpeace gewann Hunderttausende neue Mitglieder.

    Auch heute, 25 Jahre später, steht Neuseeland noch immer zu: "Atomkraft – nein danke". Nicht einmal nuklearbetriebene U-Boote des Alliierten USA oder Fregatten mit Atomsprengköpfen an Bord dürfen in Neuseeland anlegen. Und jährlich pilgern Tausende zum Wrack der Rainbow Warrior.

    Maggie Greenwood ist Mädchen für alles in der Matauri-Bucht. Sie führt den Campingplatz direkt am Strand, den Kramerladen, in dem es alles von Angelhaken bis zu Zündhölzern gibt – und sie ist ein wandelndes Auskunftsbüro. Wenn sie nicht gerade Touristen zeigt, wo genau das Wrack des Greenpeace-Schiffs vor der Küste liegt, schickt Maggie sie hinauf zum Mahnmal. Einem steinernen Regenbogen auf einer Anhöhe über der Bucht.

    Ganz oben auf dem Hügel einer Landzunge ist das Denkmal nicht zu übersehen. Kein Wunder, dass die Regierung Frankreichs alles unternahm, um es zu verhindern. Immer wieder wurden aus Paris Gelder für ein Mahnmal zugesagt, aber nie ausbezahlt. Erst die Lügen nach dem Anschlag, dann gebrochene Versprechen: Dover Samuels, früher Minister für Ureinwohner in Neuseeland, hatte irgendwann genug. Er sprach mit Maori-Stammesälteren in der Matauri-Bucht, einem Künstler und der Regierung in Wellington – drei Jahre später hatte er der Rainbow Warrior ein Denkmal gesetzt. Auf dem kleinen Dienstweg.

    "Das Land, auf dem das Mahnmal steht, wurde von unserem Maori-Stamm zur Verfügung gestellt, das Geld für die Skulptur kam von den Anwohnern hier in der Gegend. Wir kümmern uns auch darum, dass das Denkmal nicht von Gras überwachsen wird. Jahr für Jahr gehen Tausende nach oben auf den Hügel. Denn das Rainbow Warrior-Mahnmal ist wie ein Ausrufezeichen, das der übrigen Welt zeigt, dass Neuseeland immer nuklearfrei bleiben wird."

    Vom Greenpeace-Flaggschiff zum Natur-Wallfahrtsort - obwohl sie von Algen und Korallen überwuchert auf dem Meeresgrund liegt und die weißgetünchte Friedenstaube und der Regenbogen auf ihrem Rumpf längst nicht mehr zu erkennen sind: Die Rainbow Warrior ist noch immer ein Symbol der Umweltbewegung.

    "Die Rainbow Warrior ist immer noch in unseren Herzen, das Schiff ist noch da und nicht vergessen. Das Schiff war ein Wahrzeichen für den Naturschutz, heute ist es selbst Teil der Natur. Zur Rainbow Warrior hinunterzutauchen ist ein Erlebnis – als ob man einen verstorbenen Freund besucht."