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Im Namen der Gleichheit

Im Jahr 1787 entstand in London die erste Bewegung zur Abschaffung der Sklaverei. 20 Jahre später hatte die Initiative ihr Ziel erreicht: Großbritannien verbot den Menschenhandel. In China war es staatlichen Institutionen und privaten Haushalten sogar noch bis Anfang des 20. Jahrhunderts erlaubt, Sklaven zu halten.

Von Otto Langels | 10.03.2010
    "Gegenwärtig überprüft unser Herrscherhaus gewissenhaft die Gesetze, um unserem Land größeren Wohlstand zu ermöglichen. Aber der Menschenhandel, dessen Wurzeln in der Antike liegen und den man überall auf der Welt verurteilt, wurde in China niemals verboten und wird hierzulande immer noch praktiziert. Dieser Umstand wirft ein ungünstiges Licht auf die Herrschaft Ihrer Majestät und macht in anderen Ländern einen schlechten Eindruck."

    In einem Memorandum an den Kaiser vom März 1906 plädierte Chou Fu, Generalgouverneur von Nanking, für die Abschaffung der Sklaverei.

    Seit dem 2. Jahrhundert vor Christus hatte es in China Menschenhandel gegeben, wenn auch nicht in größerem Umfang. Während der Ch'ing-Dynastie unternahm das chinesische Kaiserhaus im 18. und 19. Jahrhundert halbherzige Versuche, die Freilassung von Sklaven zu regeln, ohne jedoch den Menschenhandel völlig abzuschaffen.

    "Der Herr war gehalten, den Sklaven korrekt zu behandeln, das heißt wie ein menschliches Wesen",
    schreibt der Sinologe Marinus J. Meijer in seiner Abhandlung über die Sklaverei um 1900.

    "Dennoch war der Sklave ein untergeordnetes Mitglied des Haushalts. Er aß nicht mit der Familie am selben Tisch. Er benutzte nie die Personalpronomen "Du" oder "ich", wenn er seinen Herren ansprach. Als Eigentümer des Sklaven hatte sein Herr das Recht, ihn zu verkaufen."

    Leibeigene gab es in China nicht nur in Privathaushalten. So mussten Mörder und Giftmischer Sklavendienste beim Militär verrichten. Wegen besonders schwerer Vergehen - wie Mord und Zerstückelung der Leiche zu magischen Zwecken oder Züchtung von Schlangen zur Herstellung tödlicher Gifte - konnten die Täter in eine Grenzregion verbannt werden. Dort dienten sie den Soldaten einer Garnison als Sklaven.

    Als Chou Fu dem kaiserlichen Hof seine Vorschläge zur Abschaffung der Sklaverei unterbreitete, befand sich das Land in einem desolaten Zustand. Denn nach einer Intervention acht ausländischer Mächte im Jahr 1900 hatte China einem demütigenden Frieden zustimmen müssen. Teile der gesellschaftlichen Elite forderten deshalb politische Veränderungen. Die Berliner Sinologin Mechtild Leutner:

    "Es gab da ausgearbeitete Gesetzestexte, ausgearbeitete Programme. Man hat sie weiterentwickelt, weil natürlich der Druck, jetzt im Innern Reformen durchführen zu müssen und zu wollen, noch verstärkt wurde."

    Gefordert wurden unter anderem eine Verwaltungs- und Steuerreform, ein modernes Erziehungswesen sowie Mitbestimmungsrechte des Volkes.

    "Es wurden erste Ansätze demokratischer Reformen durchgeführt. Und da ist natürlich diese Idee, die wir bei Sklaverei natürlich dahinter haben, der Gleichheit aller Menschen zu sehen."

    In diesem Kontext richtete der Generalgouverneur von Nanking sein Memorandum an den kaiserlichen Hof. Dort reichte man es an den hohen Beamten Shen Chia-pen weiter, der eigene Vorschläge formulierte:

    "Alle Vorschriften, die den Verkauf von Menschen regeln, sollten aufgehoben werden. Der Kauf und Verkauf von Menschen sollte strikt verboten werden, unabhängig davon, ob es sich um Sklaven, Konkubinen oder adoptierte Kinder handelt."

    Die Vorschläge stießen auf erheblichen Widerstand. Erst nach Jahren legte sie der Verfassungsausschuss dem Thron vor. Schließlich genehmigte die kaiserliche Regierung am 10. März 1910 das Gesetz zur Abschaffung der Sklaverei.

    Leibeigenschaft und Sklaverei gehören seitdem offiziell der Vergangenheit an, aber immer wieder dringen Berichte an die Öffentlichkeit, dass bis heute Menschen in China wie Sklaven behandelt werden:

    "Wir sollten unseren Lohn längst haben. Doch die Aufseher wissen nichts davon. Sie reden nur von dem dringenden Auftrag, der gekommen ist."

    Im vorliegenden Fall mussten junge Wanderarbeiterinnen in einer Fabrik 18 bis 20 Stunden ohne Unterbrechung und ohne Essen Hosen zuschneiden. Woanders sperrten Unternehmer Minderjährige in Ziegeleien und Bergwerken wie in einem Gefängnis ein. Wachen prügelten die Jugendlichen, um sie zur Arbeit anzutreiben. Nachrichten aus China 100 Jahre nach der offiziellen Abschaffung der Sklaverei.