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Im Neoprenanzug den Berg hinauf

Beim Canyoning durchquert man eine Schlucht - und zwar laufend, schwimmend und indem man sich abseilt. Alles, was man dazu braucht, sind ein Schluchtenführer und ein dicker Neoprenanzug.

Von Kerstin Ruskowski |
    "Und, Stefan? Passt?"

    "Ich bin noch nicht ganz sicher."

    Ein Ganzkörperanzug aus Neopren - das ist die passende Kleidung fürs Canyoning, das Begehen einer Schlucht. Denn das Wasser, das die Berge hinunterfließt, ist kalt: nur etwa acht Grad. Deshalb lautet der erste Programmpunkt jeder Expedition in die Schlucht: Einkleiden.

    Jeder Teilnehmer schlüpft in einen engen Neoprenoverall ohne Arme. Darüber zieht man eine langärmelige, ebenso enge Jacke mit Kapuze. Neoprensocken und -handschuhe schützen auch Hände und Füße vor dem eiskalten Wasser. Zum Schluss zieht man noch die Schuhe an, steigt in einen Klettergurt und setzt einen Helm auf. Fertig.

    "I kontrollier Euch dann noch einzeln, ob der richtige Sitz passt. Ob die Verschlüsse alle zu san. Wird dann bei jedem Teilnehmer einzeln kontrolliert."

    Unser Canyoning-Guide Manfred ist ein drahtiger Mittvierziger mit einer extra Ausbildung als Schluchtenführer. Seit sechs Jahren durchquert er regelmäßig mit Gruppen die Schluchten im steirischen Ennstal. Die Gruppengröße variiert zwischen vier und acht Personen.

    Wir sind heute zu sechst. Für uns hat Manfred sich eine etwa zweistündige Tour entlang der Salza vorgenommen, eines kleinen Flusses, der von einem Stausee über eine Schlucht ins Tal hinabführt. Bevor es losgeht, gibt Manfred uns erste Instruktionen.

    "Wir werden uns in der Schlucht vorsichtig bewegen, schleichend bewegen. Wir schauen, dass wir nicht ausrutschen. Die Steine sind nass und rutschig. Wir passen auf bei den Sprüngen - es gibt eine spezielle Sprunghaltung, die ich Euch dann noch mal erklären werde, und wir werden auch Abseilen."

    Bevor wir uns abseilen können, müssen wir aber erst einmal ein Stück bergauf wandern. Es geht vorbei an einem etwa 25 Meter hohen Wasserfall, der in einen kleinen See mündet. Daneben geht es über einen unbefestigten Waldweg nach oben. Der trockene Gummianzug quietscht und zwackt. Dann geht es zum ersten Mal ans Abseilen.

    "Der erste kommt zu mir, der sich abseilen will. Der Mutigste."

    "Ach jo. Hab ich es hinter mir - sagen wir lieber mal so."

    "Du wirst bei mir fixiert mit diesem Mastwurfknoten. Ich hab Dich gesichert, Du kannst ganz zu mir rüberkommen. Du kannst Dich auch noch auf dieser Seite festhalten und jetzt nimmst die Rückenlage ein: Dein ganzes Gewicht in den Sitzgurt hängen ... "

    Bodo lehnt sich zurück, die Fußsohlen am Fels. Manfred hat das Seil in einem speziellen Knoten durch den Karabinerhaken geschlungen. Langsam lässt er das Seil hindurchlaufen, während Bodo in kleinen Schritten am Fels hinabläuft.

    "Er kann die Hände jetzt auslassen, ganz frei, beide Hände. Wenn er seitlich kippen würde, kann er sich rechts und links mit den Händen schützen. "

    Kurze Zeit später ist Bodo unten in der Schlucht angekommen. Er löst den Knoten an seinem Karabiner, schaut nach oben und streckt uns seinen Daumen entgegen. Das ist das Zeichen für Manfred, dass alles ok ist.

    Der nächste Abschnitt unserer Schluchtentour führt über Geröll und glitschige Steine zu einem kleinen Pool. Nacheinander schwimmen wir die etwa acht Meter auf die andere Seite. Die im Neoprenanzug gespeicherte Luft gibt Auftrieb. Ich fühle mich wie eine Mischung aus Luftballon und Hund, als ich auf die andere Seite paddle.

    Auf der anderen Seite klettern wir auf den nächsten Felsvorsprung. Hier dürfen wir zum ersten Mal springen - in den Pool, durch den wir grade geschwommen sind. Doch vorher gibt Manfred uns noch Hinweise zur richtigen Sprunghaltung.

    "Die Füße geschlossen halten und die Arme an den Körper anliegend, um sich nicht zu verletzen, wenn's einem die Schultern nach oben reißt."

    Jakob ist als erster wieder im Wasser.

    Auch die anderen probieren den ersten Sprung.

    Doch es geht noch höher hinaus als bloß vier Meter.

    "Wir können uns jetzt auf sechs Meter steigern. Wer die sechs Meter problemlos springt, kann auch diese neun Meter springen. Mit den Gästen beim BAC sagen wir, vier und sechs Meter sind genug. Für Einsteiger. Also, neun Meter lassen wir Gäste normal nicht springen - außer sie haben natürlich schon etliche Touren gemacht und sind sehr gut."

    Auch die sechs Meter springen alle ohne große Probleme. Anders geht es manchen bei dem Absprung aus neun Metern Höhe. Zwar kann man sogar im Schwimmbad vom 10 Meter-Brett springen. Aber es macht eben doch einen Unterschied, ob man auf einer abgesicherten Plattform über einem Schwimmbecken steht oder auf einem grasbewachsenen Felsvorsprung über einem Schluchtensee, dessen Tiefe man nicht kennt. Stefan jedenfalls schaut etwas skeptisch nach oben, wo sich gerade Charlotte zum Absprung bereit macht.

    "Ich find, das sieht schon ganz schön hoch aus."

    Doch Charlotte lässt sich nicht abhalten.

    Und auch wir anderen können von den hohen Sprüngen kaum genug kriegen.

    Doch die Sprünge in das eiskalte Wasser sind nur einer der Höhepunkte beim Canyoning. Manfred verspricht uns noch einen weiteren.

    "Wir gehen jetzt zu unserem letzten Abseiler: 25 Meter Höhe über einen Wasserfall. Ihr werdets im Wasserfall verschwinden, hinter dem Wasserfall abseilen und in einen Pool tauchts ihr ein. Da versuchts ihr dann schwimmend eure Fixierung zu lösen und an den Rand zu schwimmen."

    Wenig später hocke ich auf einem Stein am Scheitelpunkt des Wasserfalls und schaue dem herabrauschenden Wasser hinterher. Jetzt wird auch mir ein wenig mulmig. Herunterspringen wollte ich aus dieser Höhe nicht.

    Als erstes seilt Manfred wieder Bodo ab - mit 50 der Gruppenälteste. Schon nach wenigen Metern ist sein gelber Helm in der Gischt verschwunden. Wenige Minuten später taucht unten Bodos Daumen auf: Er ist heil angekommen. Dann folgt der Rest der Gruppe - einer nach dem anderen. Charlotte hat dieser letzte Teil unserer Canyoning-Tour am besten gefallen.

    "Also der Wasserfall ist krass. Irgendwann hab ich so gedacht, ich krieg keine Luft mehr, weil ich direkt da abgelassen wurde, wo das Wasser so richtig runterkommt. Und dann kriegste halt schon irgendwie echt viel Wasser ins Gesicht und so."

    Nach diesem letzten Abseilen sind wir zurück am Ausgangspunkt unserer Tour. Auch Bodo hat es Spaß gemacht. Und: Er hat sich bei der Tour sogar entspannt, sagt er. Ein bisschen anstrengend war es aber doch.

    "Ich muss sagen: gerne wieder. Aber höchstens ein Mal im Jahr."