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Im Netz abkupfern

In Stuttgart lud vergangene Woche die landeseigene Medien- und Filmgesellschaft zu einem Workshop "Social Software in der Wertschöpfung". Dabei sollte Unternehmen gezeigt werden, wie sie im Internet entstandene Kommunikationsformen wie Webcasts, Wikis oder Weblogs nutzen können, um ihre Produktivität zu erhöhen.

Von Achim Killer | 22.07.2006
    Es wird nicht unbedingt einfacher, wenn Wissenschaftler sich mit einer Sache befassen. Podcasting, das Internet-Lexikon Wikipedia und Weblogs sind für die meisten Surfer inzwischen etwas Alltägliches. Nicht so aber der Begriff, unter dem diese Kommunikationsformen in der Wissenschaft neuerdings diskutiert werden: "Social Software". Dr. Dennis Mocigemba von der International University Bremen definiert ihn so:

    "Der zentrale Aspekt von Social Software ist einerseits, das Leute Computertechnologie nutzen, um nicht nur individuelle Aufgaben zu unterstützen, sondern auch, um miteinander ins Gespräch zu kommen, um sich sinnhaft aufeinander zu beziehen, interagieren, kommunizieren. Und zum anderen, dass dadurch Communities entstehen."

    Und diese Communities haben es in sich. Ihre Mitglieder leisten Gewaltiges, ohne dafür bezahlt zu werden. Das beste Beispiel dafür ist die Internet-Enzyklopädie Wikipedia. Von intrinsischen Motiven spricht da der Sozialwissenschaftler, Motiven, die in der Sache selbst liegen. Ayelt Komus, Professor für Betriebswirtschaftslehre an der Fachhochschule Koblenz:

    "Schaut man sich die Gründer der Wikipedia-Nutzer an, der Autoren, so findet man eben vor allen Dingen intrinsische Motive, den Wunsch, gewisse Dinge inhaltlich zu verbessern, den Wunsch, das Wissen der Welt allgemein zugänglich zu machen. Und die spannende Frage ist jetzt, wie kann ich das hinein bringen in das Unternehmen."

    Und dazu fällt dem Betriebswirtschaftler natürlich einiges ein, das leidige Problem der Handbücher beispielsweise.

    "Überall wird geklagt, dass diese Verfahrensanweisungen zum einen schlecht verständlich sind, vielleicht einfach auch die Sprache des Nutzers nicht treffen, weil sie von Experten erstellt werden, was an der Stelle auch von Nachteil sein kann. Und überall wird auch geklagt, dass es ein extrem hoher Aufwand ist, diese Dinge zu erstellen, also einfach ein Kostenfaktor. Warum nicht einfach solche Verfahrensanweisungen, Handbücher ins Inter- oder Intranet stellen als Wiki, was dann der Nutzer aus seiner alltäglichen Erfahrung erweitern, verfeinern und in seine Sprache besser übertragen kann."

    Und auch das Problem, dass Produkte am Markt, also an den Bedürfnissen der Zielgruppe, vorbei entwickelt werden, ließe sich über ein in der Entwicklungsphase ins Internet gestelltes Wiki angehen.

    "Wenn der Kunde nun ein bestimmtes Produkt haben möchte, dann soll er doch selber in das Wiki mit reinschreiben, was er sich nun da vorstellt. Ich denke, in dieser Hinsicht werden wir noch viele Möglichkeiten, viele spannende Dinge sehen, die auch in dieses Schlagwort der Colaboration, der Zusammenarbeit über Organisationsgrenzen hinweg, abzielen und sicherlich parallel auch in die Richtung der Virtualisierung über die Grenzen von Raum und Zeit hinweg möglich ist.

    An der Fachhochschule Koblenz ist untersucht worden, inwieweit etablierte Organisationstheorien das Phänomen der modernen Internet-Communities erklären können, also die ernorme und gute Arbeit, die im Umfeld von Wikis und Weblogs geleistet wird. Das Ergebnis ist wenig erstaunlich: Klassische Ansätze versagen hierbei völlig, jener von Frederick Taylor etwa, der auf eine möglichst effiziente Arbeitsteilung setzt, oder der von Henri Fayol, bei dem es um eine stringente und durchschaubare Hierarchie geht. Moderne Konzepte hingegen, die auf die Qualität der Arbeit, die Fähigkeit einer Gruppe zur Selbstorganisation und auf die Motivation ihrer Mitglieder abstellen, greifen sehr viel besser. Aber obwohl sich das alles sehr gut anhört - für die Beschäftigten von Unternehmen, die social Software nutzen wollen, liegen darin auch Gefahren. Julia Franz von der erziehungswissenschaftlichen Fakultät der Universität Nürnberg-Erlangen:

    "Wichtig ist, deutlich zu machen, dass sich ein Spannungsfeld konstituiert, ein sehr ambivalente Spannungsfeld von Freiheit auf der einen, Kontrolle auf der anderen Seite. Freiheit insofern, dass solche Gruppenprozesse ermöglicht werden, die aber auch gleichzeitig mit Überwachungsstrategien einhergehen. So kann man zum Beispiel sehen, wer wann wie viel arbeitet, und solche Prozesse werden sichtbar und damit überwachbarer.

    Da ist Social Software genau so wie jedes andere Computerprogramm: Logfiles, die das Verhalten des Anwenders protokollieren, gibt's in der Regel genügend. Und sie liegen in einer Form vor, in der sie leicht weiterverarbeitet werden können.