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Im Neuland der Zwergteilchen

Ein Nanoteilchen ist derart winzig - ein Nanometer ist ein Milliardstel Meter - dass es problemlos in einen menschlichen Zellkern wandern kann. In Sonnencreme sind beispielsweise oft Nanoteilchen enthalten, auch in Autoreifen. Gehen wir mit dem Einsatz der Zwergteilchen ein Risiko ein?

Von Ingeborg Breuer | 24.11.2011
    In dem Thriller "Beute" des amerikanischen Schriftstellers Michael Crichton entweichen Schwärme winzigster Nanopartikel aus dem Labor und schließen sich zu immer intelligenteren Wesen zusammen. Am Ende ergreifen sie von den Forschern Besitz und steuern deren Verhalten und Gedanken. Der Roman, 2002 erschienen, wurde zum Bestseller. Zu einer öffentlichen Diskussion über Nanotechnologie kam es deshalb aber nicht. Dr. Tade Matthias Spranger vom Bonner Institut für Wissenschaft und Ethik und Veranstalter der Tagung:

    "Das ist erstaunlich. Wenn ich Socken aus gentechnisch veränderter Baumwolle verkaufe, dann hab ich einen breiten gesellschaftlichen Diskurs. Wenn ich aber Socken mit Silberionen verkaufe, dann hab ich keinen Diskurs. Und es scheint in der Tat eher eine gefühlsmäßige Entscheidung zu sein, dass Bürger auf den Begriff Nanotechnologie eher positiv reagieren, während beim Begriff Gentechnologie, Biotechnologie bestimmte Aversionen vorherrschen."

    Nanotechnologie ist ein boomender Wirtschaftszweig. Doch bis heute können sich die wenigsten darunter etwas vorstellen. Die Technik beschäftigt sich mit den Eigenschaften kleinster Teilchen – ein Nanometer, das ist das Milliardste eines Meters. Nanopartikel werden im Alltag eingesetzt, damit zum Beispiel Sonnencreme durchsichtig – und keine deckweißartige Creme ist oder damit Kleidung schmutzabweisend wird. Prof. Michael Decker, Physiker am Institut für Technikfolgenabschätzung in Karlsruhe:

    "Der größte Bereich ist die Materialwissenschaft, das ist in der gesellschaftlichen Wahrnehmung ein relativ unspektakulärer Bereich, also Materialien, die man in ihren Eigenschaften optimieren kann, und zwar dank Nanotechnologie auch in sich widersprechenden Eigenschaften, also Weichheit und Robustheit, oder bei einem Autoreifen ganz offensichtlich, eine lange Lebensdauer, was eine gewisse leichte Rolleigenschaft bedeutet, aber auch gute Haftung beim Bremsen auf Schnee."

    Die Tücke der Winzlinge liegt nun darin, dass sie im Kleinstformat völlig andere physikalisch-chemische Eigenschaften annehmen als derselbe Stoff in der Makrowelt. Und diese Eigenschaften wechselten auch noch einmal je nachdem, wie klein die Teilchen nun verwendet werden.

    "Genau da setzt das Problem an, dass Materialien im Nanobereich unterschiedliche Eigenschaften haben. Dass ich nicht sagen kann, ein Platinbarren, den ich in der Hand halte, der zeigt die gleichen physikalischen, biologischen, chemischen Eigenschaften wie Platin im Nanobereich. Wir haben ja auch bei einigen Vorträgen gehört, dass es erhebliche Probleme bereitet, weil ein Material im Bereich von 50 Nanometern sich anders verhalten kann als im Bereich von 70 Nanometern oder 100."

    Gold, Silber oder reiner Kohlenstoff entfalten möglicherweise als Nanopartikel im Organismus bislang wenig erforschte Nebenwirkungen. Insbesondere dann, wenn sie zum Beispiel über die Lunge, aber auch durch den Verdauungstrakt oder durch die Haut in den Körper gelangen. Befürchtungen werden geäußert, dass diese kleinen Teilchen ähnlich gefährlich für den Menschen sein könnten wie einst Asbest, dessen Schädlichkeit auch erst spät entdeckt wurde.

    "Jedem ist bekannt dass Feinstäube oder Rauch von Zigaretten bestimmte Schädigungen in der Lunge hervorrufen. Und genau dieses Prinzip macht man sich auch mit einer heilenden Wirkung zunutze, dass man sagt, man macht wirklich Aerosole, produziert Feinstäube, mit denen man Medikamente auch in den kleinsten Winkel der Lunge noch bringen kann. Man sieht, dass diese Nanopartikel in Regionen des Körpers wiedergefunden werden, wo sie zunächst nichts zu suchen haben, also sie gehen in Zellen rein, selbst in den Zellkern. Das heißt, die körpereigenen Abwehrmechanismen, die weißen Blutkörperchen, die sehen die Teilchen nicht mehr, dafür sind sie zu klein, und damit lagern sie sich irgendwo ab."

    Zudem könnten die Teilchen, die in größeren Dimensionen harmlos sind, auf der Nanoebene durchaus toxisch – also giftig – sein.

    "Auch da muss man sagen, die toxikologische Forschung ist in Bezug auf Nanopartikel noch in den Anfängen. Also, die müssen ihre Methoden jetzt schärfen, und da gibt es Indizien, die sagen, dass da giftige Stoffe dabei sind. Es gibt auch kontroverse Studien, die sagen, es ist nicht giftig."

    Technikethik, so der Philosoph Prof. Dieter Sturma von der Universität Bonn, frage immer danach, wie Verantwortung, wie Risiken, wie Nutzen und Lasten bei neuen Technologien verteilt sind. Im Fall der Nanotechnologie stehe man dabei aber vor einem Problem, dass komplexer sei als bei anderen Technikbewertungen.

    "Das ist in der Nanotechnik so viel schwieriger, weil die Skalen, die Größenordnungen eine ganz wichtige Rolle spielen, das heißt, Substanzen verhalten sich auf unterschiedlichen Ebenen ganz anders und können völlig unproblematisch in weiten Teilen sein - und dann plötzlich in einer Skala hochtoxisch. Und das ist nicht gut in den Griff zu bekommen, ohne, dass man von Einzelfall zu Einzelfall geht."
    Für die Nanoforschung gilt - ähnlich wie für andere Technologien - das sogenannte "Vorsorgeprinzip". Das heißt: Auch wenn die Risiken einer neuen Technik noch nicht hinlänglich erforscht sind, müssen vorbeugende Maßnahmen ergriffen werden, um Schäden für Umwelt oder Mensch zu vermeiden. Doch bislang fehlen für die Nanoforschung noch klare Regeln, wie dieses Vorsorgeprinzip umgesetzt werden kann. Michael Decker:

    "Die Gesellschaft sagt, wir wollen sehr vorsichtig damit umgehen, aber wir machen weiter. Das ist ein sehr wichtiger Punkt im Vorsorgeprinzip und das ist für mich der brisanteste Topic, wo im Moment auch die ganze Regulierungsdebatte läuft. Also, wie können wir diese Teilchen überhaupt regulieren, was auch die Industrie möchte. Die möchte ja auf sicherem Boden agieren können, das ist der härteste Punkt im Moment."

    Erste Juristen fordern bereits ein neues "Nanogesetz". Doch auch wenn solche Forderungen, so der Rechtswissenschaftler Tade Matthias Spranger, übers Ziel hinausschießen, stelle sich dennoch die Frage, ob das bisherige Recht ausreiche, um mit den neuen Risiken umzugehen.

    "Es geht darum, ob zum Beispiel unser Umweltrecht dazu geeignet ist, mit Nanomaterialien umzugehen. Denn wenn ich die Materialien kaum nachweisen kann, wenn diese Materialien in gängigen Filteranlagen nicht gefiltert werden können und so in die Umwelt gelangen, ist die Frage, ob die Umweltschutzstandards verschärft werden müssen, ob die Basisprinzipien, die wir zum Schutz der Bürger haben, ob die modifiziert werden müssen, weil wir bei den Materialien noch nicht genau wissen, was sie tun."

    Auch Dieter Sturma sieht die Notwendigkeit, dass Politik und Recht auf die neu entstehenden Fragen reagieren müssen.

    "Das kann darüber auch reguliert werden, dass die Vergabe von Forschungsmitteln davon abhängig gemacht wird oder mit ganz bestimmten Regelungen auch mit Forschenden im Bereich der Wirtschaft getroffen werden. Die Leute, die darüber forschen, müssen sich darüber im Klaren sein, dass sie, was die Risikoermittlung betrifft, Neuland betreten."

    Doch Dieter Sturma räumt ein, dass die Nanotechnologie – anders als etwa Atomkraft oder Gentechnik "keine Folgen für unser personelles oder kulturelles Selbstverständnis" hat. Anders gesagt: Sie greift nicht so tief in unser Leben ein wie etwa die Frage, ob embryonale Stammzellen zur Bekämpfung von Krankheiten benutzt werden dürfen. Bei allen noch zu erforschenden Risiken, die die Zwergteilchen möglicherweise in sich bergen, sieht er doch vor allem die nützlichen Seiten der Nanotechnologie.

    "Ich rechne schon damit, dass eine ganze Reihe von Möglichkeiten der Verbesserung der Lebensverhältnisse, sei es medizinisch, im Umweltbereich, im Energiebereich möglich wird. Ich bin aber skeptisch, dass die vielen Versprechungen, die uns am Anfang immer gemacht werden, auch tatsächlich eingelöst werden. Aber selbst wenn nur ein Bruchteil der Versprechungen eingelöst wird, wäre die Nanotechnik doch eine sehr willkommene Form der Erweiterung der menschlichen Praxis."