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"Im Norden Malis droht ein afrikanisches Afghanistan"

Die malische Oasenstadt Timbuktu galt über Jahrhunderte als Zentrum der Gelehrsamkeit in Afrika. Nach dem Einmarsch von Islamisten und Tuareg-Rebellen weht über dem UNESCO-Weltkulturerbe nun die Fahne des Dschihad: Es droht die Entstehung eines neuen Gottesstaats.

Alexander Göbel im Gespräch mit Karin Fischer | 12.04.2012
    Karin Fischer: Timbuktu, die sagenumwobene Oasenstadt am Südrand der Sahara in Mali, ist ein kulturelles Kleinod, das nicht nur drei Moscheen beherbergt, zum Teil 700 Jahre alte Lehmbauten, die das Stadtbild prägen, sondern auch eine Vielzahl wertvoller arabischer Bücher und Manuskripte. Die legendäre Zahl dieser Bücher in Timbuktu ist, wie man heute weiß, mit Vorsicht zu genießen, trotzdem war die Stadt lange ein Anziehungspunkt für Touristen ähnlich der anderen westafrikanischen Stadt Djenné, die eine ebenso berühmte Lehmmoschee hat. Die politischen Verhältnisse haben dazu geführt, dass Timbuktu seit Jahren praktisch nicht mehr besucht werden kann, und jetzt hat sich die Lage dort noch mal verschärft, seit die historische Wüstenstadt von Tuareg-Rebellen eingenommen wurde. Frage an den Kollegen Alexander Göbel im Studio Rabat: Wie sieht die Lage dort derzeit denn aus?

    Alexander Göbel: Ja, man muss leider sagen, dass im Norden Malis ein afrikanisches Afghanistan zumindest droht, die Entstehung eines neuen islamischen Gottesstaats. Da haben Tuareg-Rebellen ja letzte Woche den Staat Azawad ausgerufen, Azawad heißt so viel wie "Land der Nomaden". Aber in diesen eroberten Gebieten, von den Rebellen eroberten Gebieten, einschließlich der Städte Timbuktu, Gao und Kidal, haben jetzt Islamisten das Sagen, die praktisch mit den Tuareg zusammen diese Chance genutzt haben, um sich dort breitzumachen. Dort wurde bereits jetzt schon Pop-Musik verboten und auch das Tragen westlicher Kleidung. Diese Islamistengruppe, die sich selbst Ansar al-Din nennt – das sind die Verteidiger des Islams -, die hat in Timbuktu schon die Scharia eingeführt und die schwarze Fahne auch des Dschihad gehisst und das sind wirklich sehr schlechte Vorzeichen für das kulturelle Leben auch in Timbuktu.

    Fischer: Wir wissen von diesen Kulturschätzen in Timbuktu von Reisenden, deren Namen heute fast ebenso legendär klingen wie die Schätze, die sie in der Stadt entdeckt haben. Was wissen Sie, Alexander Göbel, heute über den Zustand dieses Weltkulturerbes und der anderen bedeutenden Kultureinrichtungen dort?

    Göbel: Es ist wirklich faszinierend, diese Aufzeichnungen zu sehen. Ich hatte das große Glück, das vor drei Jahren mir noch selbst anzuschauen. Wenn man jetzt alleine von den Manuskripten ausgeht, die in den Bibliotheken lagern – es sollen bis zu 300.000 Manuskripte sein. Sie haben es richtig gesagt, die Zahl ist wirklich mit Vorsicht zu genießen, weil man es einfach nicht genau weiß, weil sehr viele Menschen diese Schriften, man mag es kaum glauben, sozusagen auf dem Dachboden liegen haben. Es sind wirklich wunderschöne Aufzeichnungen, die meisten mit Blattgold verziert, auf winzigen Blättern, ich würde mal sagen so Taschenkalendergröße, in sehr kleiner ziselierter Handschrift. Allein die Konservierung und die Restaurierung, die kostet ein Millionenvermögen, und da unternehmen internationale Stiftungen mit der Timbuktu Caritative Foundation oder haben bisher einen Wettlauf gegen die Zeit unternommen, denn bisher war ja erst ein Bruchteil dieser Schriften gerettet, also restauriert, und dieser doch manchmal sehr feuchten Wüstenhitze und auch der schlechten Lagerung entzogen. Wie sich das jetzt dann weiterentwickeln wird, ein sehr großes Fragezeichen.

    Fischer: Konnte diese Arbeit in den letzten Jahren denn weitergeführt werden?

    Göbel: Die konnte weitergeführt werden, soweit ich weiß, bis ins letzte Jahr hinein, als dann auch der Druck dieser Offensive der Tuareg immer größer geworden ist, und dann haben diese Stiftungen, soweit mir bekannt ist, auch die Arbeit weitgehend einstellen müssen.

    Fischer: Timbuktu war ein Verkehrsknotenpunkt, daraus erklärt sich der damalige Reichtum, und deshalb wurde aus Timbuktu auch ein Zentrum islamischer Gelehrsamkeit. Es gibt eine Volksweisheit, die besagt: Gold kam aus dem Süden, Salz aus dem Norden und göttliche Weisheit aus Timbuktu. Welche Rolle spielt denn das kulturelle Erbe im Bewusstsein der Tuareg?

    Göbel: Für die Tuareg, mit denen ich sprechen konnte – das sind teilweise schon, ja man muss es sagen, obwohl es Nomaden sind, dort lang eingesessene Familien, die halt immer auch diese Wege der Salzkarawanen abgewandert sind über Jahrzehnte hinweg -, da spielt eine große Rolle dieses Bewusstsein, wir leben in der Perle der Sahara immer noch. Wenn man überlegt, dass Timbuktu eben nicht nur Kreuzungspunkt für die Karawanen-Routen war, sondern auch für lange Zeit eines der wichtigsten Zentren für islamische Gelehrsamkeit in Afrika. Diese Sankoré-Universität dort ist ja ähnlich alt wie Oxford und die soll im 16. Jahrhundert von 25.000 Studierenden besucht worden sein, und das ist wirklich ein Geist, der dort herrscht, den man auch spürt, wenn man diese Stadt besucht, und das ist auf jeden Fall im Bewusstsein der Tuareg vorhanden. Das Problem ist, dass die Tuareg eigentlich gegen diesen Druck der Islamisten, die sich jetzt dort breitgemacht haben, nichts entgegenzusetzen haben.

    Fischer: Nun warnt das Auswärtige Amt dringlich vor Reisen in den Norden Malis. Das berühmte Festival au désert hat dort in der Nähe im Januar erst stattgefunden. Wie sieht die Zukunft aus?

    Göbel: Diese Zukunft für dieses Festival steht wirklich in den Sternen. Es ist ein sehr, sehr berühmtes Festival, was wirklich auch sehr viele Touristen immer wieder angezogen hat, findet eigentlich immer so am Jahresbeginn statt und es waren sehr, sehr viele berühmte internationale Musiker schon da, von Robert Plant bis jetzt vor kurzem Bono von U2, der dort auch gesungen hat mit malischen Musikern zusammen, aber auch sehr viele afrikanische Künstler hat dieses Festival immer wieder angezogen, und unter den jetzigen Bedingungen kann ich mir kaum vorstellen, dass dort im nächsten Jahr wieder ein Festival stattfindet. Die letzten Jahre war die Sicherheitslage immer schon sehr schlecht und wurde eigentlich immer schlechter, sodass das Festival von seinem ursprünglichen Ort, 80 Kilometer nördlich von Timbuktu, immer weiter ins Zentrum der Stadt hineingerückt ist und dort auch veranstaltet wurde, auch immer kleiner geworden ist, und jetzt ist diese Sicherheitslage so dermaßen schlecht, dass man sich kaum vorstellen kann, dass man dort nächstes Jahr ein fröhliches Festival veranstalten kann.

    Fischer: Herzlichen Dank an Alexander Göbel in Rabat für diese Informationen über das UNESCO-Weltkulturerbe und die Situation in Timbuktu.