"Die spezifische Situation der Islamwissenschaft ist, dass sie wohl anders als Fächer wie die Geschichte, die schon immer eine gewisse Art von Politikberatung getrieben haben, also auf einem etwas höheren Niveau staatstragende Ideen geäußert haben zur deutschen Geschichte, dass also im Gegensatz zu solchen Fächern, die eigentlich eine Erfahrung haben, mit Politik umzugehen - die Islamwissenschaft ist eigentlich im Gegensatz dazu erst seit einigen Jahren ins Rampenlicht der Öffentlichkeit gerückt worden oder rückte sich selbst dorthin: und ist eben dementsprechend auch erst seit einigen Jahren mit gewissen Anpassungsschwierigkeiten konfrontiert, die es vorher nicht kannte."
Markus Reinkowski, Professor für Islamwissenschaft in Freiburg und Herausgeber des Sammelbandes über das "Unbehagen in der Islamwissenschaft". Presse und Politik muss das Fach Rede und Antwort stehen, es wird in das Licht der Öffentlichkeit gezogen, und soll jede nur denkbare Entwicklung der Arabischen Welt deuten können. Doch wie kann ein Fach das Wissen über eine so enorme Region abdecken? Schon die verschiedenen für das Fach gebräuchlichen Bezeichnungen deuten die Spannweite der Aufgabe an. Die Islamwissenschaftlerin Ulrike Freitag, Mitautorin des Bandes und Direktorin des Berliner "Zentrums Moderner Orient", bringt Ordnung in die Vielschichtigkeit der Begriffe.
"Nun, fangen wir mit der Arabistik an: Es ist eine sehr stark auf Sprachwissenschaft und Philologie orientierte Wissenschaft. In Ableitung dann auch häufig arabische Literaturwissenschaft und Sprachwissenschaft. Orientalistik ist früher ein sehr viel weiterer Begriff gewesen, der sich dann auf einen weiter zu definierenden "Orient", also "Osten" bezogen hat. Es ist ein Begriff gewesen, der sich auf die Region bezog und insofern auch verschiedenen Wissenschaften in gewisser Weise Raum bot. Häufig finden sie in orientalischen Seminaren auch Wissenschaftler, die sich beispielsweise mit vorderasiatischer Archäologie befassen. Das würden sie in einem islamwissenschaftlichen Institut wahrscheinlich nicht finden, weil dieses doch sehr stark auf die Zeit des Islam fokussiert, das heißt etwa 600, 620 unserer christlichen Zeitrechnung."
Diese Konzentration auf die Religion hat teils aber auch völlig überzogene Erwartung geweckt. Denn vielen gilt der Islam als nicht nur zentrale, sondern oft auch die einzige Kraft in der Region. Was das für sie bedeutet, haben die Islamwissenschaftler insbesondere nach dem 11. September erfahren. Die Attentäter beriefen sich natürlich auf den Islam. Doch es gab auch andere Faktoren, so etwa die politischen Strukturen in Saudi Arabien, dem Land, aus dem die meisten Attentäter stammten, und gegen die sich manche vorherigen Anschläge richteten. Auch die Sozial- und Familienstrukturen kennen eine gewisse Repressivität, die zu solchen Handlungen verleiten kann. Informationen dazu, meint Reinkowski, würde man etwa bei Politik- und Sozialwissenschaftlern einholen. Den Islamwissenschaftler allerdings würde man wegen anderer Auskünfte ansprechen.
"Man fragt ihn danach, was denn nun die islamische Essenz des Handelns sei. Und da sehe ich eigentlich ein Problem, denn man kann den Faktor nicht ignorieren, er ist eindeutig da, und auch die Handelnden in der islamischen Welt berufen sich auf diesen Faktor Religion, aber man kann eben das gesamte Handeln nicht aus diesem Faktor Religion erklären. Und es ist ja auch so, wenn Handelnde in der islamischen Welt von Religion sprechen, bedeutet es ja nicht, dass ihr Handeln wirklich nur von Religion bestimmt ist."
Vor allem Fachleute aus dem arabischen Raum selbst weisen darauf hin, dass die Rolle der Religion oftmals überschätzt wird. Man solle nicht den Koran lesen, fordern sie ihre westlichen Kollegen auf, sondern die politisch-gesellschaftlichen Verhältnisse vor Ort studieren. Tut man dies nicht, unterstellt man dem Islam leicht eine viel zu große Bedeutung, meint Ulrike Freitag.
"Es ist auch sehr interessant, ich hatte heute gerade ein Mittagessen mit einer Reihe von Islamgelehrten aus der arabische Welt - aus Mauretanien, aus Jemen, aus Tunesien - die alle sagten, unser Hauptproblem ist nicht die Religion, auch wenn es natürlich vollkommen klar ist, dass es natürlich religiös begründete Unterschiede gibt. Es ist aber natürlich so, dass die Religion sehr stark zu einem Argumentationsfaktor, einem Erklärungsfaktor auch für politische Gegensätze geworden ist. Und Islamisten ebenso wie ihre erklärten Gegner im Westen beziehen sich daher sehr häufig auf die Religion, um etwas, was ich eigentlich als politische Auseinandersetzung bezeichnen würden, um unterschiedliche politische, teilweise auch ökonomische Interessen, um dieses zu verhandeln."
Das Unbehagen in der Islamwissenschaft: Es rührt auch daher, dass man ihre Vertreter bei jeder politischen Nachricht bittet, sie aus dem Geist des Islams zu erklären, aus einer Logik, die als der westlichen ganz und gar fremd, ja mehr noch, als mit ihr vollkommen unvereinbar gilt. Darüber, meint Maurus Reinkowski, gerät das Fach in einen Zugzwang, der immer weniger Zeit dazu lässt, den Entwicklungen tatsächlich auf den Grund zu gehen.
"Wir haben mittlerweile eher das Problem, dass die Islamwissenschaft immer gefragt wird bei etwa Forschungsprojekten innerhalb der Universitäten, man möchte immer gern auch einen Islamwissenschaftler dabei haben, der eben das "Andere" - heutzutage ist eben nicht mehr der Orient das Andere, sondern vor allem der Islam. Und das heißt, wir bekommen ständig neue Fragen und Aufgaben gestellt, ohne eigentlich uns selbst besinnen zu können. Und eine der wichtigsten Aufgaben der Islamwissenschaften - und das ist natürlich eine sehr, sehr schwierige Aufgabe - ist, sich selbst neu zu positionieren, auch im Verhältnis zu den anderen Fächern und eigentlich auch etwas Eigenständiges beizutragen."
So steht die Islamwissenschaft - oder Orientalistik oder Arabistik, je nach Schwerpunkt - vor ganz neuen Herausforderungen. Derzeit ist es vor allem an ihr, die Frage nach der Relevanz der Geisteswissenschaften zu beantworten, zu zeigen, wie wichtig zumindest manche der entsprechenden Disziplinen sind. Insofern hat sie auch, ganz nebenbei, einen wissenschaftspolitische Verantwortung. Ihre eigentliche Aufgabe jedoch bleibt weiterhin die Deutung der Ereignisse und Entwicklung in der arabischen Welt. Und weil die sich in den letzten Jahren so grundlegend geändert haben, darum, so Ulrike Freitag, sieht sich auch die Islamwissenschaft vor neue Aufgaben gestellt.
"Also eine wichtige Herausforderung inhaltlicher Art besteht natürlich in der ganzen Frage des Islam in Europa und der Frage, inwieweit hier beispielsweise ein eigener Islam entsteht. Meines Erachtens viel zu kurz kommen noch Fragen wie diejenige nach dem Umgang mit den großen globalen Herausforderungen in der islamischen und arabischen Welt. Und unter globalen Herausforderungen würde ich beispielsweise Dinge wie die sich wandelnden Umweltbedingungen verstehen - etwas was viel zu wenig in der Region und für die Region erforscht wird. Was jetzt aber doch zu globalen Lösungsansätzen kommen muss. Eine wichtige Herausforderung scheint mir über solchen neuen, über solchen aktuellen Fragen nicht die philologischen Grundlagen zu vernachlässigen. Und dies ist, wenn man jetzt von der Islamwissenschaft als universitärem Fach her denkt, doch eine der Hauptstärken zumindest in der deutschen Tradition des Faches."
Bibliographische Angaben:
Abbas Poya, Maurus Reinkowski (Hrsg.):
"Das Unbehagen in der Islamwissenschaft. Ein klassisches Fach im Scheinwerferlicht der Politik und der Medien". Bielefeld, 2008: Transcript Verlag
Markus Reinkowski, Professor für Islamwissenschaft in Freiburg und Herausgeber des Sammelbandes über das "Unbehagen in der Islamwissenschaft". Presse und Politik muss das Fach Rede und Antwort stehen, es wird in das Licht der Öffentlichkeit gezogen, und soll jede nur denkbare Entwicklung der Arabischen Welt deuten können. Doch wie kann ein Fach das Wissen über eine so enorme Region abdecken? Schon die verschiedenen für das Fach gebräuchlichen Bezeichnungen deuten die Spannweite der Aufgabe an. Die Islamwissenschaftlerin Ulrike Freitag, Mitautorin des Bandes und Direktorin des Berliner "Zentrums Moderner Orient", bringt Ordnung in die Vielschichtigkeit der Begriffe.
"Nun, fangen wir mit der Arabistik an: Es ist eine sehr stark auf Sprachwissenschaft und Philologie orientierte Wissenschaft. In Ableitung dann auch häufig arabische Literaturwissenschaft und Sprachwissenschaft. Orientalistik ist früher ein sehr viel weiterer Begriff gewesen, der sich dann auf einen weiter zu definierenden "Orient", also "Osten" bezogen hat. Es ist ein Begriff gewesen, der sich auf die Region bezog und insofern auch verschiedenen Wissenschaften in gewisser Weise Raum bot. Häufig finden sie in orientalischen Seminaren auch Wissenschaftler, die sich beispielsweise mit vorderasiatischer Archäologie befassen. Das würden sie in einem islamwissenschaftlichen Institut wahrscheinlich nicht finden, weil dieses doch sehr stark auf die Zeit des Islam fokussiert, das heißt etwa 600, 620 unserer christlichen Zeitrechnung."
Diese Konzentration auf die Religion hat teils aber auch völlig überzogene Erwartung geweckt. Denn vielen gilt der Islam als nicht nur zentrale, sondern oft auch die einzige Kraft in der Region. Was das für sie bedeutet, haben die Islamwissenschaftler insbesondere nach dem 11. September erfahren. Die Attentäter beriefen sich natürlich auf den Islam. Doch es gab auch andere Faktoren, so etwa die politischen Strukturen in Saudi Arabien, dem Land, aus dem die meisten Attentäter stammten, und gegen die sich manche vorherigen Anschläge richteten. Auch die Sozial- und Familienstrukturen kennen eine gewisse Repressivität, die zu solchen Handlungen verleiten kann. Informationen dazu, meint Reinkowski, würde man etwa bei Politik- und Sozialwissenschaftlern einholen. Den Islamwissenschaftler allerdings würde man wegen anderer Auskünfte ansprechen.
"Man fragt ihn danach, was denn nun die islamische Essenz des Handelns sei. Und da sehe ich eigentlich ein Problem, denn man kann den Faktor nicht ignorieren, er ist eindeutig da, und auch die Handelnden in der islamischen Welt berufen sich auf diesen Faktor Religion, aber man kann eben das gesamte Handeln nicht aus diesem Faktor Religion erklären. Und es ist ja auch so, wenn Handelnde in der islamischen Welt von Religion sprechen, bedeutet es ja nicht, dass ihr Handeln wirklich nur von Religion bestimmt ist."
Vor allem Fachleute aus dem arabischen Raum selbst weisen darauf hin, dass die Rolle der Religion oftmals überschätzt wird. Man solle nicht den Koran lesen, fordern sie ihre westlichen Kollegen auf, sondern die politisch-gesellschaftlichen Verhältnisse vor Ort studieren. Tut man dies nicht, unterstellt man dem Islam leicht eine viel zu große Bedeutung, meint Ulrike Freitag.
"Es ist auch sehr interessant, ich hatte heute gerade ein Mittagessen mit einer Reihe von Islamgelehrten aus der arabische Welt - aus Mauretanien, aus Jemen, aus Tunesien - die alle sagten, unser Hauptproblem ist nicht die Religion, auch wenn es natürlich vollkommen klar ist, dass es natürlich religiös begründete Unterschiede gibt. Es ist aber natürlich so, dass die Religion sehr stark zu einem Argumentationsfaktor, einem Erklärungsfaktor auch für politische Gegensätze geworden ist. Und Islamisten ebenso wie ihre erklärten Gegner im Westen beziehen sich daher sehr häufig auf die Religion, um etwas, was ich eigentlich als politische Auseinandersetzung bezeichnen würden, um unterschiedliche politische, teilweise auch ökonomische Interessen, um dieses zu verhandeln."
Das Unbehagen in der Islamwissenschaft: Es rührt auch daher, dass man ihre Vertreter bei jeder politischen Nachricht bittet, sie aus dem Geist des Islams zu erklären, aus einer Logik, die als der westlichen ganz und gar fremd, ja mehr noch, als mit ihr vollkommen unvereinbar gilt. Darüber, meint Maurus Reinkowski, gerät das Fach in einen Zugzwang, der immer weniger Zeit dazu lässt, den Entwicklungen tatsächlich auf den Grund zu gehen.
"Wir haben mittlerweile eher das Problem, dass die Islamwissenschaft immer gefragt wird bei etwa Forschungsprojekten innerhalb der Universitäten, man möchte immer gern auch einen Islamwissenschaftler dabei haben, der eben das "Andere" - heutzutage ist eben nicht mehr der Orient das Andere, sondern vor allem der Islam. Und das heißt, wir bekommen ständig neue Fragen und Aufgaben gestellt, ohne eigentlich uns selbst besinnen zu können. Und eine der wichtigsten Aufgaben der Islamwissenschaften - und das ist natürlich eine sehr, sehr schwierige Aufgabe - ist, sich selbst neu zu positionieren, auch im Verhältnis zu den anderen Fächern und eigentlich auch etwas Eigenständiges beizutragen."
So steht die Islamwissenschaft - oder Orientalistik oder Arabistik, je nach Schwerpunkt - vor ganz neuen Herausforderungen. Derzeit ist es vor allem an ihr, die Frage nach der Relevanz der Geisteswissenschaften zu beantworten, zu zeigen, wie wichtig zumindest manche der entsprechenden Disziplinen sind. Insofern hat sie auch, ganz nebenbei, einen wissenschaftspolitische Verantwortung. Ihre eigentliche Aufgabe jedoch bleibt weiterhin die Deutung der Ereignisse und Entwicklung in der arabischen Welt. Und weil die sich in den letzten Jahren so grundlegend geändert haben, darum, so Ulrike Freitag, sieht sich auch die Islamwissenschaft vor neue Aufgaben gestellt.
"Also eine wichtige Herausforderung inhaltlicher Art besteht natürlich in der ganzen Frage des Islam in Europa und der Frage, inwieweit hier beispielsweise ein eigener Islam entsteht. Meines Erachtens viel zu kurz kommen noch Fragen wie diejenige nach dem Umgang mit den großen globalen Herausforderungen in der islamischen und arabischen Welt. Und unter globalen Herausforderungen würde ich beispielsweise Dinge wie die sich wandelnden Umweltbedingungen verstehen - etwas was viel zu wenig in der Region und für die Region erforscht wird. Was jetzt aber doch zu globalen Lösungsansätzen kommen muss. Eine wichtige Herausforderung scheint mir über solchen neuen, über solchen aktuellen Fragen nicht die philologischen Grundlagen zu vernachlässigen. Und dies ist, wenn man jetzt von der Islamwissenschaft als universitärem Fach her denkt, doch eine der Hauptstärken zumindest in der deutschen Tradition des Faches."
Bibliographische Angaben:
Abbas Poya, Maurus Reinkowski (Hrsg.):
"Das Unbehagen in der Islamwissenschaft. Ein klassisches Fach im Scheinwerferlicht der Politik und der Medien". Bielefeld, 2008: Transcript Verlag