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Im Rausch der Malerei

Ferdinand Hodler hatte es aus traurigen Verhältnissen zu einem gefeierten Maler des Symbolismus und des Jugendstils geschafft; den Schweizern gilt er als ihr bedeutendster Maler des 19. Jahrhunderts. Nun bekommt er eine musikalische Hommage.

Von Christian Gampert | 12.04.2010
    Natürlich ist der Schweizer Maler Ferdinand Hodler ein musikalischer Mensch gewesen: besonders seine späten Landschaftsbilder sind Farbschichtungen, Farb-Klänge, Farb-Rhythmisierungen, die schon die Abstraktion streifen. Manisch hat er am Ende seines Lebens den Genfer See gemalt, immer wieder neu, zu allen Jahreszeiten, meist vom selben Blickwinkel aus: Natur als Spiegel innerer Zustände, aufs Wesentlichste reduziert.

    Das verführt dazu, diese hermetische Hodler-Welt nun tatsächlich musikalisch auszumalen. Der Komponist Ruedi Häusermann will allerdings nichts vertonen, sondern es geht ihm um Stimmungen und Synästhesien. Für Hodlers Seelenlandschaften erfindet er Klangräume, die zunächst relativ statisch daherkommen und in denen sich dann kinderliederhafte abstrakte Themen entwickeln wie dunkles Bienengesumm.

    Allerdings will Häusermann noch mehr: er will Hodler als Figur sichtbar machen, sein Leben erzählen. Dazu braucht man eine Dramaturgie, und Häusermann hat keine. Er müsste zunächst hinabsteigen in die Sümpfe der Depression: Hodler, Mitte des 19.Jahrhunderts in ärmlichen Verhältnissen geboren, verlor früh den Vater, die Geschwister sterben, der Stiefvater lehrt ihn das Malen, dann stirbt auch die Mutter an Schwindsucht – das ist der dumpfe Generalbass dieses Künstlers.

    In Zürich wird all das einfach so erzählt, dazu pinseln vier Schauspieler und vier Musiker leere Leinwände schwarz an und tragen ziemlich viel Kunsthistorisches vor, wie man Dürer-Scheiben nutzt und mit Rasternetzen maßstabgerecht malt und dergleichen. Weil er den Schweizer Nationalheiligen Hodler aber nicht mit falscher Heldenverehrung belästigen will, bricht Häusermann seine Performance immer wieder komödiantisch auf: ständig ruft eine um die Bilder besorgte Versicherungs-Gesellschaft an, ständig muss man die Musiker des Streichquartetts in den Schrank sperren, ständig werden leere Leinwände bedeutungsvoll herumgetragen.

    Dieses bemühte Heimatkunde-Theater hat bisweilen den Charme eines ARTE-Themenabends, angereichert allerdings mit Häusermanns feinen, für Streichinstrumente gesetzten Onomatopoesien, die oft von Hodlers Lebensstationen inspiriert sind. Zum Beispiel: "Die Glocken von Bern läuten den Sonntag ein".

    Oder das düster farbmalende Stücklein "Goldocker, Fleischocker, Dunkelocker, Englisch Rot". Solches Seufzen liegt auch unter Hodlers Leben. 1914/15 begleitete er, intensiv zeichnend, das Sterben seiner Geliebten Valentine Godé-Darel, schließlich malte er, immer neu, den Genfer See – das sind die Werke, die am Ende als Dia-Show gezeigt werden. Natürlich hat das nicht annähernd die Aura und Ruhe, die ein Museum den originalen Werken verschafft. Die allegorischen Frauendarstellungen kommen gar nicht erst vor.

    Der Abend erreicht nie die schlafwandelnden, träumerischen Marthaler-Intensitäten, die Häusermann wohl im Auge hatte; die Tragik des großen Nein-Sagers Hodler, der, von familiärem Unglück verfolgt, gegen die moralischen Konventionen der Zeit rebellierte und gleichzeitig um gesellschaftliche Anerkennung buhlte, ist nicht recht greifbar.

    Am Ende wird ein White Cube hochgezogen, und das Publikum darf an einer echten Hodler-Zeichnung vorbeidefilieren – die hängt freilich so tief, dass man vor ihr knien muss, will man sie betrachten. Ein hübsch ironischer Schluss, der gnädig bemäntelt, dass hier ein eher konventioneller Gedenktag inszeniert wurde. Das musikalische Kostüm allerdings, das hat Klasse.