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Im Reich von Wollgras und Besenheide

Das Ahlenmoor ist ein ausgedehntes Moorgebiet im dünn besiedelten Land Hadeln, im so genannten "Nassen Dreieck" zwischen Weser und Elbe, nicht weit entfernt von der Nordsee. Eine winzige Diesellokomotive zeigt Besuchern das ehemalige Abbaugebiet.

Von Günter Beyer | 12.10.2008
    "So, darf ich jetzt einen ganz kleinen Augenblick um Ruhe bitten. Ich begrüße Sie recht herzlich auf unserem Moorbahnhof in Ahlen-Falkenberg und freue mich, dass Sie hier gut hergefunden sind, und machen jetzt ne kleine Moorbahnfahrt."

    Karl Heinz Schacht lässt den Motor der winzigen Diesellokomotive an. Das froschgrüne Fahrzeug ist kaum größer als ein Sitzrasenmäher, aber doch stark genug, um sechs Wägelchen mit grünen Baldachinen zu ziehen. Wir sind im Ahlenmoor, einem ausgedehnten Moorgebiet im dünn besiedelten Land Hadeln, im so genannten "Nassen Dreieck" zwischen Weser und Elbe, nicht weit entfernt von der Nordsee.

    Die Besucher aus dem Schwäbischen haben es sich auf den Holzbänken bequem gemacht, Wolldecken über die Knie gelegt und gegen den Wind die Planen aus durchsichtigem Kunststoff herabgelassen.

    Knapp sechs Kilometer lang sind die schmalen Gleise der Feldbahn. Noch bis zum Jahre 2002 bauten drei Torfwerke großflächig den so genannten Weißtorf ab, den Gartenbaubetriebe zur Bodenverbesserung verwenden. Dann erlosch die Abbaugenehmigung. Die Torfwerke mussten schließen.

    "Dieses Elbe-Weser-Dreieck ist irgendwie so eine vergessene Landschaft. Und es gab doch auch viele Menschen, die gedacht haben: Dafür ist es eigentlich viel zu schade und viel zu schön hier."

    Die Biologin Karin Fäcke leitet das "Moorinformationszentrum". Sie ist auch Chefin der Moorbahn.

    "Und da kam eben diese Idee auf, mit dem vorhandenen Material auch der Moorbahn, der Torfwerke, etwas zu machen, um auch diese Landschaft Moor erlebbar zu machen."

    Seit drei Jahren befördert die Bahn nun Feriengäste durchs Moor, aus dem Torfwerk mit seinem schon von weitem sichtbaren Turm wurde ein Haus über die Ökologie des Moores.

    Nach Verlassen des Bahnhofs, wo früher die Loren ausgekippt, der Torf aufbereitet und in Plastiksäcke gepresst wurde, ruckelt unser Zug an einer Obstplantage vorbei. In Reih´ und Glied wachsen hier Heidelbeer- oder Blaubeerpflanzen.

    "Diese Kulturen liegen auf ehemals abgetorften Flächen, und es ist auch ganz interessant, dass der ehemalige Torfwerksbesitzer, der den Torf abgebaut hat, jetzt diese Heidelbeerkulturen betreibt und dort Demeter-Heidelbeeren anbaut, und die im Sommer auch direkt bei uns an der Moorbahn verkauft. Das ist immer auch noch mal ein ganz besonderes Highlight, und unsere Gastronomie im ehemaligen Torfwerk bietet dann auch umfangreiche Produkte an. Das geht von Heidelbeerwein über Heidelbeerpfannkuchen, und das ist dann immer noch eine ganz leckere Ergänzung zu einem Ausflug hier ins Ahlenmoor."

    Die Heidelbeere ist eine der wenigen Kulturpflanzen, die mit den nährstoffarmen abgetorften Moorböden vorlieb nimmt. Feste Wege gibt es nicht, bei der Ernte ist auch der Plantagenbesitzer auf die Dienste der Moorbahn angewiesen.

    Das Ahlenmoor ist kein reines Naturschutzgebiet, und das, meint Karin Fäcke, macht seinen besonderen Reiz aus.

    "Das Ahlenmoor kennzeichnet sich vor allem auch dadurch, dass es sehr abwechslungsreich ist. Wir haben eigentlich alles von intakten Hochmoorflächen über landwirtschaftlich intensiv genutzte Flächen, weniger genutzten Flächen, die aus der Landwirtschaft wieder rausgegangen sind. Wir haben sehr viele Wiedervernässungsflächen nach Torfabbau. Dann kommen noch die Seen dazu, die wir haben, und das insgesamt ist ein sehr abwechslungsreiches Bild. Das lädt wirklich ein zum Urlaub machen, und das mal mit Fahrrad, mal zu Fuß, mal mit der Bahn zu erleben."

    Inzwischen hat unser Moorexpress die Station 1 erreicht - ein schmaler, aus Bohlen gezimmerter Bahnsteig mitten im wegelosen Moor. Alles aussteigen!
    Lokführer Schacht lässt unterschiedliche Torfsoden von Hand zu Hand herumgehen und erklärt die Entstehungsgeschichte des Moores.

    "Ein Moor besteht ja aus gewachsenen Pflanzenteilen, die sterben ab, setzen sich am Boden nieder, und man sagt: Ein Moor wächst im Jahr einen Millimeter. Und wir stehen hier auf einer Moormächtigkeit von vier Metern. Wieviel Jahre haben wir jetzt unter uns? Genau. Viertausend Jahre."

    Schacht erzählt, dass Niedermoore auf Grundwasser angewiesen sind, während Hochmoore Regenwasser brauchen. Er zeigt den leichten Weißtorf für die Gärtnereien und den schweren, kompakten Schwarztorf, der früher ein begehrtes Heizmaterial war und fast denselben Brennwert hat wie Braunkohle.

    Am nächsten Haltepunkt erklärt Karl Heinz Schacht die charakteristische, artenarme Pflanzenwelt des Moors. Die kurzgeratene Moorbirke und das wogende Wollgras mit den weißen Püscheln kennen die meisten Besucher. Aber Moosbeere, Krähenbeere und den bitteren Gagelstrauch?

    "Gagelstrauch, inne Bierbrauerei verwendet, kann man heute auch noch, aber der steht unter Naturschutz. Gagelstrauch getrocknet, in den Schrank hängen, vertreibt die Motten, haben Sie keine Motten mehr drin."

    Wer Augen und Ohren aufsperrt, verlässt das Moor als Experte. Karl Heinz Schacht, der früher selber im Torfabbau gearbeitet hat, lässt seine Besucher Schönheit und Tücken der Landschaft gerne mit kleinen Experimenten erleben. An der nächsten Station wartet eine vier Meter lange, dünne Eisenstange auf ihren Einsatz. Schacht bittet einen kräftigen Freiwilligen, die Stange in den weichen, federnden Moorboden zu bohren. Auf diese Weise wurde früher die Mächtigkeit der Torfschicht ermittelt.

    "Fest, nein, es geht noch bisschen, ein bißchen müsste es noch gehen. Ja, wusste ich doch! Und jetzt guckt die noch, n guten Meter guckt sie noch raus. Also haben wir hier noch eine Moormächtigkeit von drei Metern unter uns."

    Auch die Renaturierung abgetorfter Flächen lässt sich entlang der Bahnstrecke beobachten. Dazu hat man mit kleinen Dämmen Becken abgeteilt, in denen sich Wasser sammelt, und ganz allmählich siedeln sich dort wieder Pionierpflanzen wie Wollgras und Torfmoos an. Allerdings: Beim Wachsen zusehen kann man dem Moor kaum. Als frischgebackene Moor-Experten haben wir ja gelernt: in einem Jahr wächst die Torfschicht gerade mal um einen Millimeter.
    Am Ende der Fahrt sind die Besucher jedenfalls sind beeindruckt:

    "Man nimmt das Moor so hin, aber man weiß eigentlich gar nix drüber. Das war sehr aufschlussreich. Das Beispiel mit der Stange im Boden hat mich echt erstaunt. Dass man es so weit runterschieben kann."

    Zur Stärkung gibt es Kaffee mit einem Stück "Torfsoden". Der ist hier nämlich essbar und in Wahrheit eine Torte mit dunklem Boden und Heidelbeerquark.