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Im Schatten des Timoschenko-Prozesses

Im Oktober wählen die Ukrainer ein neues Parlament. Die vereinigte Opposition hat die inhaftierte Julia Timoschenko zwar zur Spitzenkandidatin gemacht, doch die Behörden haben sie von der Teilnahme ausgeschlossen. Trotzdem gewinnt der Wahlkampf allmählich an Fahrt.

Von Gesine Dornblüth | 14.08.2012
    Es wird ein heißes Rennen. Glaubt man den Umfragen des Kiewer Razumkov-Zentrums, dann liegen die "Partei der Regionen" von Präsident Wiktor Janukowitsch und die vereinigte Opposition um Julia Timoschenkos "Vaterlands-Partei" in der Wählergunst zur Zeit fast gleich auf bei jeweils etwa 20 Prozent. Wobei die Regierungspartei die Nase leicht vorn hat.

    Die Wähler interessiert bei der kommenden Parlamentswahl vor allem eines: Lohn und Arbeit. Die Arbeitslosigkeit in der Ukraine ist nach wie vor hoch, die Preise steigen, und viele Menschen sind unzufrieden. Glaubt man den Worten von Mykola Azarow, dem derzeitigen Premierminister und Spitzenkandidaten der Partei der Regionen, dann soll es bald besser werden.
    "Die kommenden fünf Jahre werden entscheidend für die Ukraine. Was wollen wir erreichen? Die Bürger der Ukraine müssen feste und zuverlässige Beschäftigungsgarantien haben – trotz der Rezession in Europa und der Instabilität der Weltmärkte. Wir müssen den Durchschnittslohn und die Renten deutlich anheben. Schrittweise werden wir europäisches Lohnniveau erreichen."

    Aufsehen erregte die Partei der Regionen allerdings mit einem anderen Thema: Pünktlich zu Beginn des Wahlkampfes unterzeichnete Präsident Janukowitsch ein umstrittenes Sprachgesetz, das den Status der russischen Sprache deutlich stärkt. Beobachter gehen davon aus, dass sich das Regierungslager damit die Unterstützung der russischsprachigen Bevölkerung im Osten der Ukraine sichern will.

    Die vereinigte Opposition um die Vaterlandspartei von Julia Timoschenko hat ihrerseits ein großes Wahlkampfthema, nämlich Repressionen und mangelnde Freiheit. Sie hat die inhaftierte Timoschenko zu ihrer Spitzenkandidatin gemacht. Erwartungsgemäß schloss die Wahlkommission Timoschenko jedoch von der Teilnahme an der Wahl aus, ebenso wie ihren Kollegen, den gleichfalls inhaftierten einstigen Innenminister Jurij Luzenko. Julia Timoschenko ist nach wie vor die populärste Oppositionspolitikerin der Ukraine. Viele bemitleiden sie. Doch ob sich das am Ende in Wählerstimmen niederschlagen wird, ist die Frage. Andrej Pyschnyj ist stellvertretender Vorsitzender der "Front für Veränderungen", die mit Timoschenkos Vaterlandspartei gemeinsam antritt:

    "Wir denken so nicht. Uns geht es nicht darum, ob Timoschenkos Haft uns nützt oder nicht. Wir haben nur ein Ziel: Die politischen Repressionen müssen aufhören, und Timoschenko und Luzenko müssen freikommen."

    Derzeit sieht es aber eher danach aus, als müsse Timoschenko lange Zeit im Gefängnis bleiben. In einem international als politisch eingestuften Verfahren wurde sie zu sieben Jahren Haft verurteilt. Derzeit läuft ein zweiter Prozess. Wenn das Gericht sie erneut schuldig spricht, drohen Timoschenko weitere zwölf Jahre Haft. Doch damit nicht genug. Wie die Staatsanwaltschaft letzte Woche bekannt gab, liegt bereits eine dritte Anklage gegen die Oppositionsführerin in der Schublade. Dies Mal geht es um Beihilfe zum Mord.

    Beobachter sprechen angesichts dieser Anschuldigungen von einem "politischen Krieg" zwischen den beiden Lagern.

    Davon könnten die kleineren Parteien profitieren. Insbesondere die Partei "UDAR" des Boxers Vitalij Klitschko oder die Kommunistische Partei. Beide haben Chancen, die Fünf-Prozent-Hürde zu überwinden und ins Parlament einzuziehen.

    Und dann ist da noch Natalja Koroljevska. Die 37jährige Managerin ist seit gut zehn Jahren in der Politik. Mal unterstützte sie Janukowitsch, mal schloss sie sich dem Lager Timoschenkos an. Bei der Parlamentswahl im Oktober tritt sie nun mit einer eigenen Partei an. Sie heißt "Vorwärts, Ukraine". Viele sehen in Koroljevska eine Art neue Julia Timoschenko. Der Wahlwerbespot ist ganz auf sie zugeschnitten, zeigt eine elegante Frau in Großaufnahme vor den goldenen Kuppeln der Kiewer Kirchen.

    "Ich habe einen Traum. Eine freie, starke und blühende Ukraine, die in der ganzen Welt Respekt findet. Wohlhabende, glückliche Ukrainer, die an die Zukunft glauben und stolz auf ihr Land sind. Es ist an der Zeit, diesen Traum wahr zu machen. Vorwärts – Ukraine."

    Ukrainische Beobachter wie der Politologe Andrej Zolotarjow beklagen indes: Keine der Parteien habe schlüssige Reformprogramme.

    "Die Wahlen ändern nichts an der Situation der Ukraine. Die Opposition hat es nicht geschafft, eine alternative Tagesordnung zu setzen. Es geht immer nur um die Verpackung, keiner diskutiert Inhalte. Das ist das Unglück der ukrainischen Politik."


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