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Im Schatten korrupter Baulöwen

Wahlkampf in der Innenstadt von Madrid. Auf dem zentralen Platz Puerta del Sol hat der Jugendverband der konservativen Volkspartei ein Rednerpult aufgebaut. Dort erklären nun junge Kommunalpolitiker, warum sie morgen die Volkspartei wählen. Kein Thema wird ausgelassen: die Erweiterung des U-Bahn-Netzes, die Integration der Einwanderer, die Familienpolitik, die liberale Grundhaltung der Regionalregierung, die es jedem ermögliche, seines Glückes Schmied zu sein. Nur ein Thema spielt keine Rolle: Die immer neuen Skandale um die Bodenspekulation.

Von Hans-Günter Kellner | 26.05.2007
    Dabei berichten die Medien seit Monaten davon, wie die Bauindustrie mit Hilfe korrupter Amtsträger das Land mit ihren Betonburgen verschandelt. Kein Wunder, dass die Politiker im Wahlkampf darüber lieber nicht reden, meint dieser Passant:

    "Natürlich reden die nicht davon, die sind doch alle darin verstrickt. Je kleiner die Gemeinde, um so größer der Einfluss der Bauunternehmer. Die haben doch ihre Leute in den Rathäusern sitzen. Darum reden die jetzt auch lieber von anderen Aufsehen erregenden Themen, vom Terrorismus und der ETA, Themen, die ihnen selbst nicht gefährlich werden können."

    So richtig ernst nimmt die Wahlkampfveranstaltung darum auch kaum jemand. Mit Einkaufstaschen bepackt hetzt das umworbene Wahlvolk vorbei, Verliebte treffen sich unter einem in Bronze gegossenen Bären, dem Wappentier Madrids. Diese Frau wartet auf ihren Freund:

    "Die haben alle keine weiße Weste. Die Gemeinden leben doch von den Immobiliengeschäften, von diesen vielen Neubauten. Das bringt denen Geld. Da werden sie die Korruption hier nicht anprangern. Die einen wie die anderen. Trotzdem glaube ich, ist es wichtig, zur Wahl zu gehen. In allen Parteien gibt es auch ehrliche Leute."

    800.000 Wohnungen wurden in Spanien im letzten Jahr gebaut, so viele wie in Deutschland und Frankreich zusammen. In nur zehn Jahren hat die bebaute Fläche in Spanien um 40 Prozent zugenommen, haben sich die Preise in manchen Regionen mehr als verdreifacht. Wohnungen galten darum lange als eine sichere Investition. Sie versprach hohe Renditen. Damit ließ sich allerdings auch leicht Schwarzgeld waschen. Besonders große Aufmerksamkeit genießt schon seit Jahren der Korruptionsdschungel im andalusischen Jet-Set-Badeort Marbella. Erst recht, seit die 50-jährige Folkloresängerin Isabel Pantoja ins Visier der Staatsanwaltschaft geraten ist und kürzlich für eine Nacht in U-Haft saß. Sie soll dem ehemaligen Bürgermeister der Stadt, Julian Muñoz geholfen haben, mehr als zwei Millionen Euro an illegalen Bestechungsgeldern zu waschen. Unter dem Decknamen "Operation Malaya" ermitteln die Behörden seit fast zwei Jahren. Inzwischen werfen sie 99 Beschuldigten Straftaten wie Steuerbetrug, Dokumentenfälschung, Bestechlichkeit oder Nötigung vor. Im April vor einem Jahr löste die Kommunalaufsicht das Stadtparlament auf und setzte Diego Martín Reyes als Bürgermeister ein.

    "Als wir die Stadt übernahmen, konnten wir die Gehälter nicht mehr bezahlen. Die Stadt nahm nur etwa 350.000 Euro ein, hatte aber monatliche Zahlungsverpflichtungen in Höhe von rund 13 Millionen Euro! Die andalusische Regionalregierung gab uns schließlich einen Kredit in Höhe von 100 Millionen Euro. Nur so ist unsere Zahlungsfähigkeit bis Ende des Jahres gewährleistet."

    300 Bauarbeiten ohne ordentliche Genehmigung stoppte die Interimsverwaltung. Einkaufszentren, Tankstellen, privaten Kliniken und 30.000 illegal errichteten Wohnungen droht der Abriss. Marbella hatte zwischenzeitlich mehr als 3.500 städtische Bedienstete - so viele wie die Großstadt Sevilla – und jeder kümmerte sich nur um seinen eigenen Geldbeutel.

    "Hier wurde für alles die Hand aufgehalten, sogar für eine Lizenz für ein Ladengeschäft! Wir haben jetzt 600 Geschäfte ohne eine ordentliche behördliche Genehmigung in der Stadt. Und die können sie auch nie bekommen: Ich kann doch keinem Eisenwarenladen eine Lizenz geben, wenn dort laut Bebauungsplan eine Schule stehen sollte. Ich kann diese Geschäfte aber auch nicht alle schließen, das würde ja das wirtschaftliche Leben dieser Stadt zum Stillstand bringen."
    Marbella ist beileibe kein Einzelfall. Ob auf Mallorca, den Kanarischen Inseln, in der Region Valencia oder auch in Madrid: In allen Regionen Spaniens ermittelt inzwischen die Justiz gegen Bürgermeister, Stadträte, Anwälte, Notare, Architekten und Bauunternehmer. Zwei ehemalige sozialistische Bürgermeister der Stadt Ciempozuelos bei Madrid werden beschuldigt, auf Konten in Andorra zwei Millionen Euro in bar eingezahlt zu haben - Bestechungsgelder der Bauindustrie, mutmaßen die Ermittler. Die Organisation "Umweltschützer in Aktion" warnt schon seit Jahren vor dem wachsenden Einfluss der Baubranche auf die spanischen Kommunen. Die Sprecherin der Organisation, Angeles Nieto.

    "Bis Marbella in die Schlagzeilen geriet, hat das Thema niemanden interessiert. Unsere Organisation hat die Stadtverwaltung dort in den letzten zehn Jahren 300 mal angezeigt! Nie wurde das ernst genommen, erst jetzt. Ich weiß nicht, warum. Bodenspekulation, illegale Baugenehmigungen - das sind für die Justiz unangenehme Themen. Die Richter müssen sich dabei mit den Behörden anlegen, es ist viel Geld im Spiel. Aber seit Marbella geht man unseren Anzeigen nach, weitere Korruptionsfälle kommen ans Licht, es gibt sogar Baustopps."

    An der Küste Malagas wurden zudem geradezu mafiöse Strukturen aufgedeckt, Immobiliengeschäfte, bei denen Geld aus Drogengeschäften gewaschen wurde. Doch wenn kräftige Renditen winken, beweisen nicht nur Drogenhändler kriminelle Energie. Umweltaktivistin Angeles Nieto erklärt das Grundmuster illegaler Baugeschäfte:

    "Normalerweise sucht sich ein Unternehmer für ein konkretes Projekt billiges Land aus, Ackerflächen zum Beispiel oder Brachland, und setzt sich mit der entsprechenden Stadtverwaltung zusammen. Die Stadt arbeitet dann einen neuen Bebauungsplan aus. Nun müssen Unternehmer und Bürgermeister nur noch die Regionalregierung für das Projekt gewinnen. Das Ganze ist natürlich ein guter Nährboden für Korruption. Am Ende des Verfahrens hat der Unternehmer einen rechtskräftigen Bebauungsplan."

    Ein Investor, der billiges Ackerland aufkauft, das daraufhin zu Bauland umgewidmet wird und damit seinen Wert vervielfacht. Obwohl dieses Drehbuch der Bodenspekulation vielerorts zu beobachten ist und Justizbehörden von klaren Indizien für Korruption sprechen, wurde in solchen Fällen bisher selten ermittelt.

    Auch in dem 10.000-Einwohner-Dorf Seseña in der Region Kastilien-La Mancha kam es erst zur Anzeige, als überraschend die bis dahin völlig unbedeutende Vereinigte Linke die Kommunalwahlen gewann. Seither ist Manuel Fuentes dort Bürgermeister.

    "Die Stadt wurde damals von den Sozialisten regiert. Zum Ende der vergangenen Legislaturperiode verabschiedete das Stadtparlament einen neuen Bebauungsplan für mehr als 900 Tausend Quadratmeter. Das Unternehmen "Onde 2000" hatte das wertlose Ackerland nur wenige Tage vor dem Parlamentsbeschluss gekauft. Es musste damals alles sehr schnell gehen, wenige Tage vor der Wahl. Den Parteien und den Bürgern blieb keine Zeit für Einwände."

    13.500 Wohnungen baut "Onde 2000" nun auf dem Gebiet, fernab des Ortskerns. Das Unternehmen gehört Francisco Hernando, der inzwischen in ganz Spanien unter seinem Spitznamen "Paco der Brunnengräber" bekannt ist. Der Bürgermeister von Seseña kann die 280 jeweils zehnstöckigen Wohnblocks nicht mehr verhindern. Ihm sind durch die geltenden Beschlüsse die Hände gebunden. Aber er kann dem Unternehmen das Leben schwer machen. Fuentes verweigert Baugenehmigungen, so lange Kindergärten und Schulen fehlen und Hochspannungsleitungen das neue Wohngebiet durchziehen. Er besteht auf einer öffentlichen Ausschreibung für die neue Trinkwasserversorgung, mit der ursprünglich auch "Onde 2000" beauftragt werden sollte. Endgültig zum Feind gemacht hat er sich "Paco den Brunnengräber" aber, als er ihn wegen Korruption anzeigte. Seither übt der Bauunternehmer Druck auf die Stadtregierung aus:

    "Der hat unsere Fraktion schon vier mal angezeigt, erklärt uns für befangen, wenn das Parlament seine Anträge behandeln soll, verlangt, dass wir uns enthalten. Das soll uns Angst machen. Mit exakt der gleichen Strategie ist er auch schon in anderen Dörfern vorgegangen. Auf der anderen Seite sucht er politischen Einfluss, lädt Lokalpolitiker zu Essen und Reisen ein, damit sie ihm gefügig werden, oder spendet den Vereinen im Dorf Geld. Dann hat er noch seine kostenlose Zeitung, über die er uns täglich beschimpft. Er droht auch damit, einen Radio- und Fernsehsender in Betrieb zu nehmen, und das wir schon sehen würden, was wir von unserem Verhalten hätten."

    Der Einfluss der Bauindustrie hat für den selbstbewussten Bürgermeister strukturelle Gründe. Unzureichend ausgebildete Stadträte sollen über Planfeststellungsverfahren entscheiden, die sie nicht verstehen. Bürgermeister, die ihr Amt nur nebenberuflich ausüben und Stadtverwaltungen ohne eigene Bauämter sind gezwungen, freie Architektenbüros mit der Prüfung von Bauanträgen zu beauftragen. Doch Spaniens Städten und Gemeinden fehlt es an Geld:

    "Angesichts der Finanzschwäche der Kommunen wird letztlich die Immobilienbranche regieren. Die Städte haben kaum eigene Einnahmen, aber immer mehr Aufgaben. Die städtische Polizei, die Kindergärten, den Sozialdienst für Alte.... Wo soll das ganze Geld denn her kommen? Aus den Steuereinnahmen jedenfalls nicht! Nur aus den Geschäften mit Bauland. Wir erleben gegenwärtig ein Wettrennen: die Städte wollen noch einmal Kasse machen. Damit ein Bürgermeister seinen Wählern sagen kann: ich habe das und das gemacht. Ohne Geld kann er nichts machen."

    Weil sich die Probleme in allen spanischen Kommunen gleichen, ist die Anfälligkeit für Korruption, ist der große Einfluss der Baubranche auch keine Frage der Parteizugehörigkeit. Eine neue Qualität erreichten die Skandale jedoch in Madrid. Dort ernannte die regierende Volkspartei Enrique Porto zum Chef der Regionalplanung, einen Architekten, der bis dahin ein gut gehendes privates Planungsbüro geleitet hatte.

    "Enrique Porto hat selbst zahlreiche Planfeststellungsverfahren entworfen, mit vielen neuen Baugebieten in der Region, von denen jedoch zahlreiche von der damaligen Regionalregierung wegen ihrer Auswirkungen auf die Umwelt abgelehnt worden waren. Diese vielen neuen Baugebiete hätten ein enormes Bevölkerungswachstum in Madrid bedeutet. Kleine Dörfer sollten ihre Einwohnerzahl verdoppeln und verdreifachen. Als er zum Generaldirektor des Bauressorts ernannt wurde, überprüfte er all seine bereits abgelehnten Pläne und genehmigte sie. Im Oktober musste er schließlich zurücktreten, weil die Presse darüber berichtete."

    Die Baubranche selbst kontrollierte folglich nun die für sie zuständige Genehmigungsbehörde. Zumindest in einem Fall hat sich Porto Recherchen spanischer Journalisten zufolge auch persönlich bereichert. Bei Spekulationsgeschäften mit Bauland in Villanueva de la Cañada bei Madrid erzielte er zusammen mit seiner Frau und Geschäftspartnern mehr als 4,2 Millionen Euro Gewinn. Dabei war er an den Entschließungsplänen selbst beteiligt, berichtet im Oktober die spanische Tageszeitung "El País".

    Porto ist in Villanueva de la Cañada kein Unbekannter. Er ist Schwippschwager von Bürgermeister Luis Partida. Dessen Frau entscheidet als Architektin des Bauamts der Stadt über Bauanträge, arbeitete "El País" zufolge aber auch auf Honorarbasis für das Planungsbüro Portos. Die Recherchen über die Vetternwirtschaft in der Madrider Regionalregierung und im Rathaus von Villanueva de la Cañada hatten Folgen: Porto ist inzwischen zurückgetreten, die Staatsanwaltschaft ermittelt. Er werde dem Staatsanwalt alles erklärten, beteuert hingegen Bürgermeister Luis Partida. Für verwerflich hält er nicht die Seilschaften in seinem Ort, sondern die Aufregung darüber:

    "Alle politischen Kräfte müssen sich zusammenschließen und mit diesen unsinnigen Anzeigen und an die Presse lancierten Informationen Schluss machen. Nicht alles ist gerechtfertigt, um Stimmen zu gewinnen. Wir fügen der Demokratie damit großen Schaden zu. Am Ende werden die Bürger denken, wir Politiker sind alle gleich. Nein, nicht alle sind gleich. Die einen arbeiten so, die anderen so. Natürlich werden Fehler gemacht. Wer aktiv ist, macht auch Fehler. Nur wer nichts unternimmt, macht keine Fehler."

    Luis Partida ist seit 1979 im Amt, er ist einer der dienstältesten Bürgermeister Spaniens. Die Vorwürfe gegen ihn, seine Frau und Enrique Porto sind für ihn haltlos.

    "Dann dürfte ja niemand mehr aus der freien Wirtschaft in die öffentliche Verwaltung wechseln. Das ist doch Demagogie. Einst galten wir, die Kommunen, bei den Bürgern nach der Monarchie als die vertrauenswürdigste Institution des Staates. Inzwischen sind wir auf den fünften Platz abgerutscht. Wegen all dieser Anzeigen."

    Miguel Angel Hernández, Sprecher einer kleinen Bürgerinitiative gegen die vielen neuen Siedlungen in Villanueva de la Cañada, fährt zu dem umstrittenen Baugebiet, auf dem Tausende von Einfamilienhäusern entstehen sollen. Die Landschaft um die 15.000-Einwohner-Stadt wird durchkreuzt von Bauarbeiten. Überall entstehen neue Straßen für die vorgesehenen neuen Wohngebiete. Als Bauarbeiter vor einigen Wochen unter Schutz stehende Steineichen fällten, rief er kurzerhand die Polizei. Die neuen Siedlungen würden ein bedeutendes Naturschutzgebiet regerecht ersticken, meint er.

    "In den seltensten Fällen haben die Dörfer etwas davon. Diese Bebauungspläne werden meist gar nicht im Stadtparlament diskutiert, geschweige denn mit den Bürgern. Das machen die Bürgermeister mit den Investoren und den regionalen Behörden unter sich aus. Letztlich geht es um die Gewinne. Sie werden durch die Wertsteigerung des Bodens erreicht, sobald er zum Bauland wird. Ein Teil dieses Geldes landet schließlich auch als Spende bei den Parteien. Das sind die Seilschaften, die diese Bodenspekulation ermöglichen."

    Tatsächlich sind in Spanien anonyme Parteispenden in unbegrenzter Höhe möglich. Ob Unternehmen den Parteien Geld gegen für sie günstige Entscheidungen der Politik und Verwaltung spenden, lässt sich also gar nicht untersuchen. Erst jetzt hat die Regierung Zapatero ein neues Parteienfinanzierungsgesetz auf den Weg gebracht, das solche Spenden verbieten soll. Auch trat vor wenigen Wochen ein neues Gesetz über die Ausweisung von Baugebieten in Kraft.

    Auswirkungen auf die Wahlergebnisse werden die Spekulationsfälle trotz ihres Ausmaßes kaum haben. Meinungsforscher erwarten keine bedeutenden Veränderungen, im Gegenteil: Die Parteien würden ihre Mehrheiten in ihren jeweiligen Hochburgen noch ausbauen. Auch Angeles Nieto von der Organisation‚ Umweltschützer in Aktion’ ist skeptisch, ob die neuen Gesetze der Zentralregierung und die Aufmerksamkeit der Medien das dichte Geflecht aus Bodenspekulation, Vetternwirtschaft und Korruption in Spaniens Kommunen wirklich durchsichtiger machen.

    "Den Leuten wird so viel versprochen: Wie gut diese Bauprojekte für ihr Dorf sind, wie viele Arbeitsplätze damit angeblich entstehen, dass der Wert ihrer Häuser und Grundstücke steigt. In jedem von uns steckt auch ein kleiner Spekulant. Mit dieser Habgier rechnen die Investoren. Zudem betrifft das auch wirklich alle Parteien. Die werden darum nicht grundsätzlich darüber diskutieren wollen. Wer die Korruption bei der anderen Partei denunziert, riskiert, das auch über die Fälle in den eigenen Reihen gesprochen wird. Ich fürchte, das lässt erst nach, wenn die Rentabilität sinkt. Die Preissteigerungen sind an ihre Grenzen gestoßen. Mehr als alles andere wird der Markt diese Entwicklung bremsen."