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Im Schatten Stauffenbergs

Er gilt als Kopf des Kreisauer Kreises - jener Widerstandsgruppe, in der Konservative, Sozialisten und Christen Pläne für ein Deutschland nach Adolf Hitler schmiedeten: Helmuth James Graf von Moltke. Nachdem er bereits im Februar 1944 verhaftet worden war, geriet er nach dem Attentat des 20. Juli ins Visier der Gestapo. Am 23. Januar 1945 wurde er in Plötzensee hingerichtet.

Von Margarete Limberg | 20.07.2009
    Helmuth James Graf von Moltke gehört zu den wichtigsten und faszinierendsten Persönlichkeiten des Widerstands gegen Hitler. Die Machtübergabe an Hitler am 30. Januar 1933 war für ihn und seine Frau Freya eine Katastrophe. Der Herausgeber des Buches, Günter Brakelmann, betont:

    "Und er hat immer in dem Hitler nicht eine politische Möglichkeit unter vielen gesehen, sondern als die Inkarnation des Bösen, das in ihm Geschichte geworden ist."

    Schon vor Beginn des Zweiten Weltkriegs hatte Moltke Kontakt zu Gegnern des Regimes, aber erst 1940 legte er mit seinem Freund Peter Graf Yorck von Wartenburg den Grundstein für den Aufbau einer konspirativen Widerstandsgruppe, dem nach dem elterlichen Gut genannten Kreisauer Kreis.

    In dieser Gruppe trafen sich Menschen der unterschiedlichsten sozialen und politischen Herkunft, preußische Adlige und Gewerkschafter, Konservative, Liberale und Sozialdemokraten, Protestanten und Katholiken. Schon früh machten sie sich Gedanken über das künftige Deutschland. Günter Brakelmann:

    "Und hier liegt die große Bedeutung von Moltke und den anderen Kreisauern, dass sie sich gesagt haben: Wir müssen Entwürfe haben, wenn dieses System zusammenbricht, um sofort wieder politikfähig in Deutschland zu sein. Also seine Leidenschaft ist eigentlich die Politik nach der Zerstörung des Nationalsozialismus. Das ist in dieser ausgeprägten Form in keinem Widerstandskreis da."

    Die meisten Kreisauer waren schon in der Weimarer Zeit Demokraten gewesen. Moltke selbst in einem Tagebucheintrag im Oktober 1944:

    Ich habe mein ganzes Leben lang gegen einen Geist der Enge und der Gewalt, der Überheblichkeit, der Intoleranz, des Absoluten, erbarmungslos konsequent angekämpft, der in den Deutschen steckt und seinen Ausdruck im nationalsozialistischen Staate gefunden hat.

    Die Entwürfe für ein anderes Deutschland muten erstaunlich weitsichtig und modern an. Es ist die Vision eines freiheitlichen Rechtsstaats mit unbedingter Geltung der Grund - und Menschenrechte sowie einer sozialen Wirtschaftsordnung. Und es ist die Vorstellung Deutschlands als Teil eines europäischen Staatenbundes mit einheitlicher Währung.

    Moltke, der aus der Familie des berühmten kaiserlichen Generalfeldmarschalls stammte, erhielt seine Prägung vor allem durch seine südafrikanische Mutter, die aus einer liberal und demokratisch gesinnten bürgerlichen Familie stammte und die auch ihren Sohn gegen Chauvinismus, Rassismus und Militarismus immunisierte.

    Helmuth James Graf von Moltke wurde am 19. Januar 1944 verhaftet, weil er einen Widerstandskreis vor einem Spitzel gewarnt und die Existenz dieses Kreises verschwiegen hatte. Nach mehrwöchiger Haft im Gestapo - Gefängnis in der Berliner Prinz -Albrecht - Straße kam Moltke als Sonderhäftling in den Zellenbau des KZ Ravensbrück. Er begann sofort, regelmäßig Tagebuch zu führen und konnte in den ersten Monaten fast unbegrenzt an seine Frau schreiben und auch Briefe empfangen. Er las unermüdlich: die Bibel, Luthers Schriften, Kant und Rilke und agrarwissenschaftliche Fachliteratur, zum Beispiel ein Schafzuchtbuch. Am 23.Januar schrieb er an seine Frau:

    Die Tage verbringe ich mit Lesen und Nachdenken. Ich poliere eifrig an meinem inneren Menschen herum. Die Voraussetzungen sind natürlich glänzend, denn hier gilt nur, was man in sich hat oder finden kann.

    Weil die Nazis ihm ein aktives Widerstandshandeln nicht nachweisen konnten, genoss Moltke zunächst erstaunliche Privilegien, er durfte sogar weiterhin an völkerrechtlichen Gutachten für seine Dienststelle beim Oberkommando der Wehrmacht arbeiten.

    Durch strikte Disziplin und regelmäßige Gymnastik versuchte Moltke so gut es ging, sich psychisch und physisch zu wappnen. Die Zelle wurde ihm nicht nur zu einem Studierzimmer, sondern zu einem geistigen Widerstandsnest, so Günter Brakelmann:

    "Er bleibt nicht nur geistig ungebrochen, sondern er nimmt an geistiger Geschlossenheit und Konsequenz noch in dieser Situation zu. Und das macht ihn dann sozusagen zu einem geistigen Widerpart im Sinne eines Entweder-Oder zu dem, was der Nationalsozialismus als Weltanschauung zu bieten hat."

    Auch wenn er im Vergleich zu anderen Gefangenen zunächst bevorzugt war, die Schrecken des Regimes blieben ihm nicht verborgen. In Ravensbrück konnte er von seiner Zelle aus auf dem Appellplatz die Misshandlungen anderer Gefangener beobachten und die Schreie der Gefolterten aus der unteren Etage des Zellenbaus hören. Am 28. Februar 1944 schrieb er an seine Frau:

    Man fühlt sich durchaus im Land der Gottlosen. Ich habe nie gedacht, dass das so spürbar wäre.

    Eine zentrale Quelle seines Widerstands war sein christlicher Glaube. Moltke verstand die christliche Botschaft als radikalen Gegenentwurf zum Nationalsozialismus. Er sah in Hitler den Vollstrecker des Bösen.

    Kraft schöpfte Moltke in der Haft vor allem durch die innige Liebe zu seiner Frau und den beiden Söhnen. In einem Brief vom 23.1.1944, vier Tage nach seiner Verhaftung, schrieb er:

    Überhaupt sitze ich manchmal zurückgelehnt mit geschlossenen Augen und denke an die Meinen. All mein Leben mit ihnen steht mir dann vor Augen. Mein Gott, wie reich bin ich doch und wie wenig weiß ich es an normalen Tagen.

    Lange hoffte Moltke auf seine Freilassung. Diese Hoffnung machte das Scheitern des Attentats auf Hitler zunichte. Kurz nach dem 20. Juli verlor er seinen Status als Sonderhäftling, kam in Einzel- und Dunkelhaft, musste Gefängniskleidung tragen und wurde gefesselt zu den Verhören gebracht. Er erfuhr von der Hinrichtung enger Freunde wie Peter Yorck und ahnte, was ihn erwartete. Am 27.9. wurde er ins Gefängnis Berlin-Tegel gebracht, um auf den Prozess vor dem Volksgerichtshof zu warten.

    Der Prozess gegen Moltke fand am 9. und 10. Januar 1945 statt. Er nahm nichts zurück, bekannte sich offen zu seinen Überzeugungen und zur Ablehnung des NS und brachte den Präsidenten des Volksgerichtshofs, Freisler, oft zur Weißglut. In einem Brief vom 10. Januar heißt es:

    Wir haben keine Gewalt anwenden wollen, keinen einzigen organisatorischen Schritt unternommen, mit keinem einzigen Mann über die Frage gesprochen, ob er einen Posten übernehmen soll. Wir haben nur gedacht. Wir werden gehenkt, weil wir zusammen gedacht haben.

    Am 23. Januar 1945 wurde Moltke hingerichtet. Die Briefe und Tagebuchaufzeichnungen, die seine Witwe erst jetzt freigegeben hat, zeigen einen Unbeugsamen, der für das als richtig Erkannte starb. Warum er dennoch stets im Schatten Stauffenbergs stand, erklärt Herausgeber Günter Brakelmann so:

    "Diese Konzentration auf die Aktion wie Mord und Vorbereitung ist natürlich viel spannender als jetzt so nachdenkliche Texte politischer oder philosophischer Art zu lesen. Das kommt nicht so an. Er steht zu Unrecht im Schatten, natürlich. Das ist überhaupt keine Frage."

    Durch die nun vorliegenden Briefe und Tagebücher begegnet der Leser einem faszinierenden Menschen von außergewöhnlicher Standfestigkeit. Dieses Buch gibt Aufschluss über seine inneren Antriebskräfte, aus denen sich sein radikaler Widerstand gegen das NS - Regime speiste. Im Unterschied zu manchen anderen Widerstandskämpfern hatte er an dessen verbrecherischem Charakter nie einen Zweifel.

    Margarete Limberg war das über: Helmuth James von Moltke: "Im Land der Gottlosen. Tagebuch und Briefe aus der Haft 1944 / 1945". Herausgegeben von Günter Brakelmann. Erschienen ist das Buch im C.H. Beck-Verlag. Es hat 350 Seiten und kostet Euro 24,90.