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"Im Sinne gesamtstaatlicher Außenrepräsentanz"

Die Verdrängung der unrühmlichen Vergangenheit von Führungskräften ist nicht neu im deutschen Sport. Nach 1945 mutierten Funktionäre, die im Nationalsozialismus hohe Ämter bekleidet hatten, zu Repräsentanten des neuen demokratischen Sports. Und diese Tradition Grit Hartmann wird auf internationaler Ebene auch nach 1990 fortgeführt.

Von Grit Hartmann |
    Vor einigen Monaten schon wollte der Sportausschuss des Bundestages wissen, was genau es mit den Steuergeldern für deutsche Vertreter in den Gremien der internationalen Sportfamilie auf sich hat. Christoph Bergner, CDU-Staatssekretär im Bundesinnenministerium, erklärte den Haushaltsposten: "Im Sinne der gesamtstaatlichen Außenrepräsentanz und wegen der Notwendigkeit, bei der Entscheidungsbildung der internationalen Verbände Einfluss nehmen zu können", habe die Bundesregierung großes Interesse an deutscher Präsenz im Weltsport. Deshalb bezuschusse sie die Reise-Aktivitäten von 179 Funktionären mit insgesamt 310.000 Euro im Jahr.
    Dieser schriftlichen Information war eine Namensliste beigegeben, die bis heute keinen der Abgeordneten beunruhigt hat. Dabei enthält das Verzeichnis, das dem Deutschlandfunk vorliegt, einen veritablen Skandal. Für "gesamtstaatliche Außenrepräsentanz" sorgen nämlich laut Liste auch prominente Dopingaktivisten der DDR. Zum Beispiel Georg Wieczisk, einst Präsident der ostdeutschen Leichtathleten, der heute Ehrenpräsident des Deutschen Leichtathletik-Verbandes ist und, "auf Lebenszeit", auch Ehremitglied des Weltverbandes. Im Ringer-Weltverband FILA ist dem vom Leipziger Institut für Angewandte Trainingswissenschaften gefeuerten Sportwissenschaftler Harold Tünnemann eine zweite Karriere vergönnt. Selbst sein früherer Vorgesetzter findet sich auf der Liste: Günter Erbach, im Jahr 2000 wegen Beihilfe zur Körperverletzung in 137 Fällen verurteilt. Erbach war DDR-Staatssekretär für Körperkultur und Sport, hauptverantwortlich für den Dopingstaatsplan 14.25, wird vom Weltrat für Sportwissenschaft und Leibeserziehung ICSSPE als Ehrenmitglied geführt.

    Der angesehene Weltrat, der 260 Institutionen aus rund 60 Ländern zu seinen Mitgliedern zählt, reagierte auf die Anfrage des Deutschlandfunks ausgesprochen skurril. Das in Berlin residierende Generalsekretariat wusste zwar genau, dass Erbach seit 1997 an keiner Sitzung teilgenommen hat. Doch die Mitgliederkartei scheint nachlässiger geführt als in jedem Schrebergarten-Verein: Weder war bekannt, wann Erbach Ehrenmitglied wurde, noch auf wessen Betreiben er diesen Gunstbeweis erhielt. Gudrun Doll-Tepper, seit 1990 im Weltrat und zwischen 1997 und 2008 Präsidentin, mochte auch nicht konkret antworten. Die Berliner Professorin konterte Fragen zu Erbach mit einem Hinweis, der stabile gesamtdeutsche Funktionärssolidarität ahnen lässt: Der Weltrat habe - so wörtlich - "stets deutlich gemacht, dass Doping im Sport nicht zu akzeptieren ist". Deshalb unterstütze sie "auch alle weiteren Bemühungen des neuen Präsidiums auf diesem Feld".

    Dabei hätte man gern gewusst, wie sich der Ehrenplatz für einen verurteilten Dopingstraftäter mit den positiven Werten des Sports vereinbaren lässt, die der ICSSPE laut Satzung befördert, und wie mit der vom DOSB vorgetragenen Null-Toleranz-Politik gegen Doping. Oder mit dem Dutzend achtbarer Ehrenämter von Doll-Tepper, der DOSB-Vizepräsidentin für Bildung und Olympische Erziehung, dem Mitglied der IOC-Frauenkommission, der Vorsitzenden der Deutschen Olympischen Akademie Willi Daume - um nur einige zu nennen.
    Erbach ist über die, wie sie sich nennt, "Gesellschaft für Rechtliche und Humanitäre Unterstützung" GRH zu erreichen. Dabei handelt es sich um einen Verein der einstigen SED-Granden und Stasi-Obristen. Dort publiziert Erbach in eigener Sache. Etwa über den DDR-typischen "Fortschritt" sportmedizinisch begründeter Dopinggaben oder über, wörtlich, "die Urteile einer falsch verstandenen Rachepolitik der BRD". Im Moment hüte er allerdings, lässt die GRH wissen, nach einem Verkehrsunfall ein Krankenhausbett und könne sich deshalb nichts äußern.
    Bleibt das Bundesinnenministerium. Das bemüht - wie schon in der Frage der Dopingtrainer - die Standardformel von der Autonomie des Sports. Andererseits sponsert das Ministerium die kleine Geschäftsstelle des Weltrates mit großzügigen 131.000 Euro im Jahr. Dieser Betrag stehe, wie die BMI-Sprecherin mitteilt, "in keinerlei Zusammenhang mit der Ehrenmitgliedschaft von Herrn Erbach". Weder er noch Tünnemann hätten von den Zuwendungen des Bundes profitiert. Außerdem habe der Weltrat erklärt, Erbachs Ehrenmitgliedschaft "unverzüglich aberkennen zu wollen".

    Tatsächlich verschwand Erbach in dieser Woche still und heimlich von der Liste der Honorary Members auf der Homepage des Weltrates. So einfach kann das gehen. Ungeachtet der Autonomie des Sports.