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Im Sinne preußischer Salonkultur

Die Königin von Preußen, Sophie Charlotte, hatte im 18. Jahrhundert einen Salon als Gegenwelt zum militärisch geprägten Preußentum gegründet. Die heutige Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften lud nun zur Erinnerung an Königin Sophie Charlotte ein. Über 1800 Menschen folgten der Einladung und es scheint, dass immer noch viele die preußische Kultur schätzen.

    Doris Schäfer-Noske: Als die Königin von Preußen Sophie Charlotte 1705 überraschend starb im Alter von nur 37 Jahren, da soll der Philosoph Gottfried Wilhelm Leibniz erschüttert gewesen sein, denn die Königin war für ihn eine interessante Gesprächspartnerin und eine gute Freundin gewesen. Auf Schloss Lietzenburg, das ihr zu Ehren später in Charlottenburg umbenannt wurde, hatte Sophie Charlotte einen Salon gegründet, eine Gegenwelt zum militärisch geprägten Preußentum ihrer Zeit. Zu ihren Gästen zählten Literaten, Musiker, Maler und Gelehrte, auch Leibniz, den sie in seinem Vorhaben unterstützte, eine Akademie der Künste und Wissenschaften zu eröffnen. Die heutige Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften hat nun unter der Fragestellung "Kennen Sie Preußen wirklich?" zu einem Salon eingeladen, in Erinnerung an Königin Sophie Charlotte. Arno Orzessek, es wurde da also eine Salonkultur wiederbelebt, die ans 17. Jahrhundert anknüpft. Warum hat man das dann gemacht?

    Arno Orzessek: Also, ich denke, in erster Linie ist die Veranstaltung so eines Salons für die Akademie eine gute, eine plausible Möglichkeit, neben der rein wissenschaftlichen auch größere gesellschaftliche Präsenz und Wirkung zu entfalten. Salon, das ist ja praktisch so ein geistiges Label, eine preußische beziehungsweise eine Berliner Marke, und damit verbinden in der Tat viele etwas und fühlen sich angezogen, denn gestern, also zur dritten Ausgabe des Salons, da kamen – handgezählt vom Türwächter, wie ich erfahren habe – über 1800 Personen in die Akademie, während der verregnete Gendarmenmarkt in seltener Verlassenheit dalag. Das heißt also, die Akademie weckt ein Bedürfnis, aber sie stillt auch ein Bedürfnis mit dem Salon, das es offenbar gibt. Es gibt eben Leute, die preußische Kultur schätzen und Gelehrsamkeit und Geschmacksbildung im alten Stil lieben, und diesen Nerv spricht die Berlin-Brandenburgische Akademie mit dem Salon ziemlich erfolgreich an.

    Schäfer-Noske: Wie ist das Ganze denn dann abgelaufen?

    Orzessek: Sechs Stunden lang Programm in sieben verschiedenen Räumen, literarischer Salon, wissenschaftlicher Salon, Kindersalon, Konzerte vom Klavina Quartett, eine Paternoster-Performance und, und, und, insgesamt über 40 Lesungen, Vorträge, Diskussionen, Theater, Konzerte, all diese Dinge. Und drum herum – und das ist wichtig – drum herum null Komma null Event-Firlefanz, also: Kein Eintrittsgeld, die Würstchen an Kartoffelsalat für 2,50, und das Publikum, das war nämlich offenkundig an den Stoffen interessiert und nicht an dem Drumherum. Als Günter de Bruyn im literarischen Salon aus seinem neuen Buch "Als Poesie gut" die Abenteuer von Schadow, dem knarzigen Quadrigaschöpfer, vorgetragen hat, da haben sich die Leute im berstenden Leibniz-Saal trotz ihrer erlesenen Kleidung auf den Boden gehockt, genauso als Anna Thalbach mit dem Bildungsromanexperten Wilhelm Vosskamp aus Kleists Briefen vorgelesen hat. Man merkte jederzeit, da hört ein Publikum zu, das ist unverdorben von televisionären Krawallpointen, das hört auch die zartesten Zwischentöne. Man kann sagen, das Niveau der Veranstaltung und der Besucher, das passte gut zusammen.

    Schäfer-Noske: Inwieweit ging es denn auch darum, dem Bild vom militärischen Preußen und den typisch preußischen Tugenden da etwas entgegenzusetzen?

    Orzessek: Ja, Preußen war natürlich ein übler Militär- und Machtstaat, das würde keiner bestreiten, aber er war es ja nie nur, und Rezeptionen, die unterliegen Moden. Im wissenschaftlichen Salon, da hat der Historiker Jürgen Kocka davon gesprochen, dass es augenblicklich – also, auch in seinem Fach – so etwas wie einen Generaltrend gebe: Man interessiert sich also für Preußen jetzt mal wieder vermehrt als einen famosen Kulturstaat. Und Christopher Clark ist auch da gewesen – er hat ja jüngst einen sehr opulentes Buch über Preußen, vielgelobt, geschrieben –, und der sagte, für die Zeit nach den Napoleonischen Kriegen, also nach 1815, Paris war vielleicht gewaltiger, Rom vielleicht geschichtsträchtiger, aber Berlin, das hatte Relevanz, zumal natürlich in der Kultur- und Wissenschaftspolitik, wo der Name Wilhelm von Humboldt natürlich einschlägig hieß, es gebe viele andere. Und Gustav Seibt, der immer von der deutschen Herrlichkeit spricht, Hauptsache, sie ist bürgerlich und elitär, der hat einen richtig flotten Preußen-Slogan formuliert, der sagte nämlich: wissenschaftliche, begriffliche, diskursive Kultur verbunden mit ästhetischer Kultur und das als Politik. Das ist vielleicht jetzt eine Übertreibung von Glanz und Gloria, aber haltlos ist es nicht.

    Schäfer-Noske: Eine Podiumsdiskussion stand unter der Frage "Preußens Kulturblüte – ein Modell für heute?". Hat denn die Veranstaltung auch interessante Anstöße für die Gegenwart gegeben, oder war es ehe rückwärtsgewandte Veranstaltung, eine Gedenkveranstaltung für Königin Sophie Charlotte?

    Orzessek: Na, angesichts der vielen Leute würde ich erst mal sagen, es war ein gegenwärtiges Ereignis von gesellschaftlicher Signifikanz. Es kommen einfach mal wieder die Namen, Gedanken, Texte, Melodien und so weiter ins Spiel, nicht regierungsamtlich, aber auch nicht rein privat, sondern eben in dieser spezifischen Öffentlichkeit so eines Salons. Man kann sich jetzt überlegen, was bedeutet das eigentlich? Und ich habe mich erinnert gefühlt an Karl-Heinz Bohrer, der vor einigen Jahren behauptet hat, die Deutschen hätten keine Fernbeziehung zu ihrer Geschichte, alles Große und Gute sei wie abgeschnitten vom Holocaust. Und der Salon Sophie Charlottes, der war ein kleiner informeller Gegenbeweis. Es gab da Leute, die Preußen offenkundig irgendwie in Liebe verfallen sind. Und der Vorteil: Wenn es vorbei ist, dann ist es vorbei. Das macht den Salon – jetzt mal verglichen mit der Schlossfassade, die uns droht – irgendwie zum besseren Preußen-Revival, finde ich.

    Schäfer-Noske: Inwieweit wurde man denn auch auf einen unbekannten Aspekt Preußens aufmerksam gemacht?

    Orzessek: Ich glaube, die Leute, die dort waren, waren so informiert, dass das meiste bekannt war, aber es ist natürlich nicht jederzeit präsent. In diesem Durchlauf durch 40 Veranstaltungen konnte man viele Schätze heben, die man zwar schon mal gehoben hatte, aber das macht ja nichts nach einigen Jahren.

    Schäfer-Noske: Arno Orzessek war das über preußische Salonkultur an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften.